| # taz.de -- Musikfilme auf der Berlinale: Auf dem Grund der Seele | |
| > Die Sektionen Panorama und Berlinale Special zeigen fünf Filme über | |
| > musikalische Ausnahmetalente, ihre Motive und ihre Krisen. | |
| Bild: Paul Dano spielt in „Love & Mercy“ Brian Wilson, den Kopf der Beach B… | |
| Ohrwürmer, die sich dauerhaft im Gedächtnis einnisten, hat der | |
| Musikwissenschaftler Peter Szendy einmal charakterisiert, würden Besitz von | |
| den Hörern ergreifen, weil ihr nostalgischer Gefühlsstrom derart mitreißt, | |
| als wäre er „das Hier und Jetzt“. | |
| Die Musikdokumentationen und das Biopic „Love & Mercy“ triggern ebenfalls | |
| nostalgische Gefühle an und ergreifen ganz aktuell Partei. Der Trip zurück | |
| in die Vergangenheit lohnt dennoch, weil er bekannte Storys aus neuen, aus | |
| anderen Perspektiven erzählt und hie und da Verschüttetes zutage fördert. | |
| So auch „What happened, Miss Simone?“ von Liz Garbus, einer Doku, die sich | |
| dem Leben der US-Sängerin und -Pianistin Nina Simone widmet. Simones | |
| Lebensgeschichte wird kaleidoskopartig aus Interviewausschnitten und | |
| Konzertaufnahmen zusammengesetzt und mit der Sicht ihrer Tochter Liza | |
| Simone Kelly abgeglichen. Diese hat unter den manisch-depressiven Schüben | |
| der Mutter gelitten, wurde von ihr misshandelt, was aber nichts daran | |
| ändert, wie hoch sie das musikalische Ausnahmetalent der Mutter einschätzt. | |
| Ihr Martyrium illustriert die Torchsongs von Nina Simone, ihre auf dem | |
| Grund der Seele schürfende Baritonstimme, die damit ihr eigenes Martyrium | |
| erfahrbar gemacht hat: Die akademische Ausbildung als klassische Pianistin | |
| fand unter der Knute der Apartheidspolitik gegen die Schwarzen ein abruptes | |
| Ende. Die Ersatzkarriere als Sängerin von blues- und jazzgetönten | |
| Eigenkompositionen verfing sich in der gewalttätigen Ehe mit Andrew Stroud, | |
| einem ehemaligen Polizisten, der sie managte. | |
| Und ihr Eintreten für die Emanzipation der Schwarzen führte zur | |
| Radikalisierung, aber endete nach 1968 im Nervenzusammenbruch und einer | |
| künstlerischen Existenz auf dem Abstellgleis. Das Scheitern ist in „What | |
| happened, Miss Simone?“ die Coda. Auf die Frage, was ihr Freiheit bedeutet, | |
| antwortet Nina Simone: „Leben ohne Angst“. | |
| ## Ein aushaltbares Wimmelbild | |
| „Ich mag meine Eltern, aber ich hasse all das, wofür sie stehen.“ Eine | |
| Tagebuchaufzeichnung von Kurt Cobain aus den Achtzigern. Repräsentatives | |
| Beispiel für seine komplexe Gedankenwelt. Berühmt wurde Cobain als | |
| Gitarrist und Sänger der Grungeband Nirvana. Leider, denn er wurde dadurch | |
| zur „Stimme einer Generation“ erhoben, einer Rolle, die ihm zu viel | |
| aufbürdete. Von ihm Geschriebenes, aber auch Zeichnungen und Trickfilme | |
| tanzen durch „Montage of Heck“, einer Dokumentation, die seine Tochter | |
| Francis produziert hat. | |
| Anders als der Spielfilm von Gus Van Sant, der sich auf die Tage vor | |
| Cobains Suizid beschränkt, beginnt er mit seiner Geburt und gibt Cobain die | |
| Würde zurück, gerade weil von dessen prekärer Kindheit erzählt wird, von | |
| Heroinsucht und psychischen Problemen. Animierte Sequenzen kollidieren mit | |
| privaten Super-8-Filmen, Talking-Head-Aussagen und einer brachialen Tonspur | |
| aus Gitarrenwimmern und Verstärkerbrummen. So entsteht ein Wimmelbild, das | |
| die späte Phase von Selbstzerstörung und medialer Treibjagd besser | |
| aushalten lässt. | |
| Es war einmal wie im Märchen behauptet dagegen „B-Movie. Lust and Sound in | |
| Westberlin“. Der Brite Mark Reeder, ein Protagonist der Punk- und | |
| New-Wave-Szene der frühen Achtziger, kehrt darin zurück an die alten | |
| Tatorte hinter der Mauer und garniert jene Mythen aus den alten | |
| Filmausschnitten mit seiner charmanten, dem britischen Understatement | |
| verpflichteten Erzählweise. Die künstlerische Freiheit und Liberalität der | |
| frühen Achtziger mag längst Folklore sein, dennoch verblüfft das | |
| Nebeneinander aus Naivität, Müll und Geschäftssinn immer wieder aufs Neue. | |
| ## Rock aus Grönland | |
| Ein Gitarrenamp im Packeis ist das wiederkehrende Symbol von „Sumé – The | |
| Sound of a Revolution“. Der Film erzählt die Geschichte der grönländischen | |
| Rockband Sumé. Die vier Musiker – mehrere Mitglieder sind Nachfahren der | |
| Inuit – studierten in den sechziger Jahren in Dänemark und kamen dort auf | |
| die Idee, in ihrer Landessprache zu singen, um die Kolonialgeschichte zu | |
| bewältigen, was enorm zur Unabhängigkeit der Insel beigetragen hat, wie | |
| alle Zeugen in der Doku bekunden. | |
| In dem Biopic „Love & Mercy“ entwickelt die Inszenierung der Karriere von | |
| Beach Boy Brian Wilson ebenfalls dokumentarischen Charakter, denn | |
| heimlicher Hauptdarsteller ist Wilsons Songwriting, das in den | |
| nachgestellten Studioaufnahmen in Einzelteilen aufgefächert wird. Ihr | |
| Reenactement stellt die Arbeitsbedingungen überzeugend dar und überzeichnet | |
| die Wunderkindisierung seines künstlerischen Talents nie unangenehm. | |
| Erleichtert geht es nun zurück in die Gegenwart. | |
| 11 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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