Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Medienpropaganda im Ukrainekrieg: Du bist nicht allein
> Das Minsker Abkommen sieht vor, schwere Waffen abzuziehen. Wie berichten
> TV-Sender in Russland und der Ukraine?
Bild: Russische Fernsehsender – von Riga aus angeschaut.
## Nachrichten aus der Ukraine
Dienstag, der 17.Februar. Der Tag, an dem laut Minsker Friedensabkommen die
schweren Waffen im Osten der Ukraine abgezogen werden müssen. Aber „es wird
wohl auch heute keinen Frieden geben“. Das verkündet die Moderatorin des
populären ukrainischen Senders 1+1 bereits in der Morgennachrichtensendung
„TSN“ – zu Deutsch „Fernsehnachrichtendienst“. Sie ist mit 20 Prozent
Zuschaueranteil die mit Abstand populärste Nachrichtensendung im
ukrainischen Fernsehen.
Die Moderatorin wirkt professionell, elegant und charismatisch. Dieser
Umstand hilft einigermaßen das zu verdauen, was sie sagt, und vor allem mit
welchen Bildern sie das hinterlegt. „Laut der Leitung der
antiterroristischen Operation bestehen keine Voraussetzungen für den
Rückzug schwerer Waffen.“ Also erst mal kein Abzug.
In den folgenden Beiträgen ist von Dutzenden Artilleriebeschüssen von der
feindlichen Seite die Rede, stets mit genauer Kennzeichnung der Orte
belegt.
Begriffe wie „Separatisten“ oder „Rebellen“ fallen nicht. Die Anhänger…
sogenannten Volksrepubliken werden als „Bojowyky“ (Schlägertrupps oder
Feindeskämpfer) bezeichnet, die der ukrainischen Seite – „Bijzi“ (Kämpf…
Gelegentlich spricht die Moderatorin auch von den „russisch-terroristischen
Einheiten“. Zu sehen sind von den „Feindestrupps“ zerbombte Straßen und
Lkws, der Brand nach einem Raketenbeschuss in der Nähe eines Kraftwerkes in
Wuglegirsk tief im ukrainischen Hinterland, kaputte Häuser, ein OP-Arzt,
der mehrere Schwerverletzte allein an diesem Tag zu versorgen hatte. Kurz:
die Nöte des Krieges.
Von den zwei Dutzend Nachrichten des Tages finden sich nur einige wenige,
die nichts mit Krieg zu tun haben. Nicht verwunderlich angesichts der
30.000 Soldaten und fast einer Million Vertriebener. Zahlreiche Schaltungen
zu den Korrespondenten vor Ort, Statements von Militärsprechern und anderen
Verantwortlichen, Interviews mit Betroffenen.
Die Ehefrauen der Armeeangehörigen blockieren eine Landstraße bei Kiew, um
vom Verteidigungsministerium mehr Entschlossenheit zu fordern. In einer
Schule bei Ternopil wird ein Museum eröffnet zum Andenken an einen Schüler,
der während des Euromaidan umgekommen ist. Ein junger gefallener Soldat
wird von 500 Einwohner seines Heimatdorfs mit Ehren zu Grabe getragen. 45
Heimkinder aus Artemiwsk werden nach einem Artilleriebeschuss nach Charkiw
evakuiert. Ein neues Flüchtlingsheim im westlichen Zaporishje wird
eingeweiht. Der allukrainische Automobilclub und FC-Bayern-Boss Karl-Heinz
Rummenigge vermelden großzügige Spenden.
Die Nachmittagssendung endet mit einem Beitrag über einen Zeichentrickfilm.
Er basiert auf wahren Begebenheiten, die vor zwei Wochen nach Angaben des
Senders „das Internet zum Bersten brachten“. Damals sind in der Nacht sechs
ukrainische Kämpfer ins Feindesland eingedrungen und haben einen
T-72-Panzer erbeutet. In dem Fahrzeug wurden Papiere von russischen
Streitkräfteangehörigen samt Fertigmahlzeiten gefunden. Eine
Heldenerzählung, wenn man so will. „Wie die Kosaken ihrem Kommandeur einen
Panzer geschenkt haben“, so die Anmoderation.
Was folgt, ist eine witzige, minimalistisch gehaltene 2-Minuten-Geschichte,
die zugegeben nicht nur dem ukrainischen Patrioten gute Laune macht.
„Unsere Jungs sind im Krieg, und die Mädels hochzeitsreif. Keine Sorge, sie
werden bald zurück sein!“ Dann ist die Sendung vorbei. Jetzt prangt nur
noch das Logo des Senders in großen Ziffern 1+1 und darunter klein „Du bist
nicht allein“. Ein Wortspiel: auf Ukrainisch sind die Wörter „allein“ und
„1“ identisch. (JARINA KAJAFA)
***
## Nachrichten aus Russland
Mindestens 5.000 ukrainische Soldaten sind in diesem Ort eingeschlossen“,
sagt der Reporter des russischen Senders Lifenews. Seinen Standort
beschreibt er mit „Ortseingang von Debalzewe“. Die Kamera schwenkt und
bleibt bei entkräfteten und verängstigten Soldaten hängen. Sie werden als
ukrainische Gefangene dargestellt. Einige sollen sich ergeben haben, andere
festgenommen worden sein. Es kursieren unterschiedliche Zahlen. Die
höchsten Angaben liegen bei 150 Gefangenen. Die Stimme des Reporters hat
den Rhythmus von Salven angenommen. Als müsste auch das Erzählen die
Echtzeit imitieren. Russlands Zuschauer sind an diesen nervösen Kurztakt
seit Monaten gewöhnt.
Die Kamera sucht nach ukrainischen Details, ein Gefangener hält in der
zitternden Hand auf dem Rücken ein Band in den Farben Gelb und Blau. Die
Besiegten. Dann kniet sich der „Ministerpräsident“ der selbsternannten
Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, vor die Gefangenen hin. Von
ihnen sind nur einige vage zu erkennen. Wer sich ergäbe und die Waffen
strecke, hatte er vorher versprochen, denen garantiere er das Leben, sie
könnten Debalzewe verlassen. Alle russischen Sender verbreiten das.
Sachartschenko hockt vor den Gefangenen und klärt sie auf: „Petro
Poroschenko benutzt euch nur als Kanonenfutter, ihr interessiert ihn
nicht“, sagt er mit einem Anflug von Lächeln. Sie lassen es über sich
ergehen, stimmen aber nicht zu. Einer räumt später ein, vom vereinbarten
Waffenstillstand in Minsk nichts erfahren haben zu wollen. Sachartschenko
fordert seine Mitkämpfer danach auf, mit ihm Debalzewe zu „säubern“. 80
Prozent seien schließlich schon „befreit“.
Auch Rossija 24 zeigt ähnliche Bilder aus Debalzewe. Für die
Nichteinhaltung der Waffenruhe macht der „Vizeverteidigungsminister“ von
Donezk, Eduard Bassurin, den Gegner verantwortlich. „Wir reagieren nur auf
Provokationen der ukrainischen Seite“, die Lage in Debalzewe habe sich
dramatisch verschlechtert, sagt er. Nur an dieser Front werde noch
gekämpft. Der selbsternannte Chef von Lugansk, Igor Plotnizki, berichtet
unterdessen vom Rückzug der Artillerie von ruhigen Frontabschnitten. Bilder
von vier verpackten Geschützen ohne Ortsangaben sollen es belegen. „Wir
haben wie immer unser Wort gehalten“, sagt er.
Es folgt ein Bericht über die Einsetzung eines Antikorruptionsstaatsanwalts
in Kiew. Auch Korruptionsbekämpfung in der Ukraine stellt sich als ein
besonders perfider antirussischer Trick heraus. Zumal der Staatsanwalt
gebürtiger Georgier ist. Es klingt nach Weltverschwörung.
Tagsüber bleibt unklar, wie die Lage in Debalzewe tatsächlich aussieht.
Gibt es noch einen Korridor raus aus dem Ort? Wie viele ukrainische
Soldaten sind noch dort? Stimmen die Angaben der „Separatisten“, dass sie
80 Prozent des Gebietes kontrollieren würden? Beweise werden nicht vor Ort
gesucht. Ehefrauen und Mütter angeblich ukrainischer Soldaten werden
gezeigt, die mit ihren Angehörigen im Kessel über Handy gesprochen haben
wollen.
Zurück zu Lifenews: Der Journalist inspiziert einen kleinen Beutel eines
Ukrainers mit Mais, Weizenkörnern und Samen. „Was in der Ukraine wächst,
sollte ihn schützen.“ Es hätte ihm nichts genützt, „denn es ist unser
Land“, sagt er noch. Das Moskauer Museum für zeitgenössische Geschichte
wird eingeblendet. Die Direktorin Irina Welikanowa kündigt eine Ausstellung
über die Befreiung der Ukraine im Großen Vaterländischen Krieg an. Sie
wolle mit den Mythen aufräumen, ukrainische Nationalisten hätten gegen zwei
totalitäre Systeme gekämpft. Es werde sich zeigen, „wer Verräter und wer
Held war“. Tourt die Ausstellung später durch Europa?, fragt die
Moderatorin noch und gibt sich selbst die Antwort. „Europa hat nicht den
Mut, Mythen zu entlarven.“
Die Nachrichten „Vesti“ auf dem 1. Kanal am Abend teilen mit, zwei
westliche Teams, darunter ein deutsches, seien des Platzes verwiesen
worden, da sie gefälschte Bilder benutzt hätten.
Schon am Nachmittag war die Nachricht eingetroffen, Sachartschenko sei bei
der „Säuberung“ durch einen Granatsplitter leicht verletzt worden. Der
erste russische Kanal zeigt in den Spätnachrichten gegen Mitternacht Igor
Plotnizki am Krankenbett des schweigenden Kollegen aus Donezk. Es ist die
erste belegte und nachprüfbare Nachricht aus dem Kriegsgebiet an diesem
Tag. Die Beobachter der OSZE, der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, könnten aus Sicherheitsgründen nicht nach
Debalzewe vorgelassen werden, sagt Denis Puschilin vom „Volksrat“ in
Donezk. Niemand fragt nach dem Warum. Allen ist klar, dass die Separatisten
diesen Eisenbahnknotenpunkt noch besetzen wollen und dafür wohl auch das
Placet des Kremlchefs besitzen. Der wird danach aus Budapest
dazugeschaltet. (KLAUS-HELGE DONATH)
19 Feb 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Propaganda
TV-Sender
Russland
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Separatisten
Barack Obama
Mariupol
Propaganda
Waffenlieferung
Friedensprozess
UN-Sicherheitsrat
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach dem Anschlag in Charkiw: Letztes Geleit für Igor Tolmatschew
Hunderte trauern in Charkiw um den Mitorganisator des Euromaidan. Er und
drei weitere Personen wurden bei einem Anschlag getötet.
Europa, Russland und Minsk II: „Was hier geschieht, ist schamlos“
Die Juristin Constanze Stelzenmüller sieht die europäische Friedensordnung
in Gefahr. Ein Gespräch über Putin, Obama und rote Linien.
Krieg in der Ukraine: Die Kämpfe gehen weiter
Trotz der Minsker Vereinbarungen schweigen die Waffen immer noch nicht.
Kiew wirft Russland vor, weitere Panzer in den Donbass geschickt zu haben.
Konflikt in der Ukraine: Hilferuf an die UN
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wirbt für eine
UN-Friedensmission. Die Separatisten nutzen einen Besuch von deutschen
Linken-Politikern als Propaganda.
Konflikt in der Ukraine: Gebell von allen Seiten
Russland solle seine Truppen aus dem Osten der Ukraine abziehen, fordert
die Nato. Der russische Außenminister warnt den Westen vor weiteren
Waffenlieferungen.
Kommentar Lage in der Ukraine: Von Frieden kann keine Rede sein
Die Vereinbarungen von Minsk-II werden nicht umgesetzt, das macht die
Situation in Debalzewe klar. Dennoch muss weiter auf Diplomatie gesetzt
werden.
Krieg in der Ukraine: Rückzug aus Debalzewe
Die Stadt wurde von den ukrainischen Truppen aufgegeben. Die EU wirft den
Separatisten den Bruch der Waffenruhe vor. Es ist ein erneutes
Gipfeltreffen in Minsk geplant.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.