# taz.de -- Wie Island die Krise überwand: Fünfmal schlimmer als die Griechen | |
> Von der Rekordverschuldung in nur sieben Jahren zur Erholung: Island kann | |
> Griechenland durchaus als Inspiration dienen. | |
Bild: Abwarten und Fisch essen? Von wegen: Island hat viel unternommen und risk… | |
Donnerstag vorletzter Woche fällte Islands oberster Gerichtshof ein | |
historisches Urteil. Vier Bankmanager wurden zu Haftstrafen zwischen vier | |
und fünfeinhalb Jahren wegen betrügerischer Marktmanipulationen und Untreue | |
verurteilt. | |
Die härtesten Strafen im Bereich der Wirtschaftskriminalität, die in | |
Islands Justizgeschichte bislang verhängt worden sind. Und historisch war | |
das Verfahren unter dem Aktenzeichen 145/2014 auch deshalb, weil sich | |
Bankdirektoren selbst für die von ihnen veranlassten Betrügereien | |
verantworten mussten, mit denen sie Gläubiger, Investoren, Sparer, aber | |
auch die Regierung geschädigt hatten. | |
Staatsanwalt Ólafur Hauksson arbeitet sich seit 2009 als Leiter einer | |
speziellen Anklagebehörde durch die Hinterlassenschaften des Finanzcrashs, | |
der Island ein Jahr zuvor an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte. | |
Hauksson hofft, dass Islands Umgang mit betrügerischen Bänkern „ein starkes | |
Signal an andere Länder“ sendet: „Tut es unserem Beispiel gleich!“ | |
Island könne auch noch in anderer Beziehung zur Inspiration dienen, meint | |
Thórólfur Geir Matthíasson, Ökonomieprofessor an der Háskóli Íslands, der | |
Universität von Island. Nämlich für die Eurozone und was die Abschreibung | |
von Schulden angeht. Griechenland mit Staatsschulden in Höhe von 175 | |
Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts? Peanuts! Island stand 2008 | |
vor einem Schuldenberg, der dem Zehnfachen des BIPs entsprach. Hätte, ja, | |
hätte der Staat sich die aufhalsen lassen, wie „die Märkte“, der | |
Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU es damals von Reykjavík | |
verlangten. | |
## Nicht nur Banker verurteilt | |
Es waren Schulden pleite gegangener privater Banken, die diese in | |
EU-Ländern mit verantwortungslosen und betrügerischen Geschäften aufgehäuft | |
hatten und die nun über den Weg der Einlagensicherung „sozialisiert“ und | |
von den isländischen SteuerzahlerInnen übernommen werden sollten. Dass | |
Reykjavík sich dagegen wehrte, war pure Verzweiflung. | |
Beim Zweifachen des BIPs hätte man darüber vielleicht reden können, sagt | |
der damalige Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon rückblickend: „Aber | |
zehnfach? Da hatten wir keine andere Wahl als Nein zu sagen.“ | |
Zumal die PolitikerInnen auch gar nicht anders konnten. Dafür sorgte das | |
isländische Volk. In einer Bewegung, die so etwas wie der Vorläufer von | |
„Occupy Wallstreet“ war, gingen die IsländerInnen nach dem Crash auf die | |
Straße. Mit ihrer „Kochtopfrevolution“ jagten sie nicht nur die für die | |
Finanzen mitverantwortliche Regierung davon. Mit Hilfe von | |
Dauerdemonstrationen und über Volksabstimmungen stoppten sie anschließend | |
auch noch jeden Versuch, dem Staat auch nur einen Teil der Bankschulden | |
aufzuhalsen. „Kompromisse“, die von Reykjavík mit den Hauptgläubigerländ… | |
Großbritannien und den Niederlanden ausgehandelt wurden und vom Parlament | |
auch abgesegnet worden waren, wurden kurzerhand mit einem Referendumsnein | |
von bis zu 94 Prozent wieder gekippt. | |
Es half nichts, dass Großbritannien sogar seine Antiterrorgesetzgebung | |
bemühte, Island auf eine Stufe mit al-Qaida stellte und sämtliche Guthaben | |
des Landes einfrieren ließ. Das heizte den Widerstandswillen auf Island | |
eher noch an. Von Prophezeiungen, man mache sich zum Kuba oder zum | |
Nordkorea des Nordens, ließ man sich nicht einschüchtern. | |
## Schuldenschnitt bei Immobilienkrediten | |
Klagen vor internationalen Gerichten musste Reykjavík notgedrungen | |
riskieren. Nachdem alle Erpressungsversuche der vereinten Front der | |
EU-Staaten nichts genutzt hatten, gingen London und Den Haag auch diesen | |
Weg. Doch wegen Lücken in der EU-Bankendirektive wurde 2013 vom Gerichtshof | |
der Europäischen Freihandelszone eine isländische Staatshaftung endgültig | |
abgelehnt. | |
Mit der Abwehr der drohenden immensen Staatsverschuldung war es für Island | |
allerdings nicht getan. Im Gefolge der Finanzkrise war der Wert der | |
isländischen Krone wie ein Stein gefallen. Die Inflationsrate schnellte in | |
die Höhe, die Reallöhne sanken und der Immobilienmarkt kollabierte. Die | |
rot-rot-grüne Regierung versuchte, die Lasten gerechter zu verteilen, | |
führte eine Reichensteuer ein und verschärfte die Progression bei der | |
Einkommensteuer. Firmen bekamen spezielle Umschuldungsprogramme, und später | |
gab es noch einen Schuldenschnitt bei Immobilienkrediten: Die Banken wurden | |
verpflichtet, alle Kredite abzuschreiben, die über 110 Prozent des | |
Immobilienverkehrswerts lagen. | |
„Man kann sagen, dass Island den Weltrekord im Schuldenerlass hält“, sagt | |
Lars Christensen, Chefanalytiker der Danske Bank in Kopenhagen: „Island | |
folgte den akademischen Lehrbüchern zur Überwindung einer solchen Krise auf | |
Punkt und Komma.“ Wirtschaftsprofessor Matthíasson stimmt ihm zu: „Wenn es | |
in anderen Ländern um die Abschreibung von Schulden geht: Von Islands Krise | |
können sie eine Lektion lernen.“ | |
## „Erfolg unorthodoxer Antworten auf die Krise“ | |
Ironischerweise scheint das auch der IWF so zu sehen. Nachträglich. Auf | |
einen IWF-Kredit von 10 Milliarden Dollar war nämlich auch Island | |
angewiesen, um im chaotischen ersten Jahr nach dem Crash nicht bankrott zu | |
gehen. Worauf Reykjavík aber peinlich achtete, waren die Bedingungen, auf | |
die man sich einließ. Das Sozialsystem musste zwar abgehobelt werden, aber | |
der Kern blieb intakt. IWF-Ansinnen eines allzu radikalen Kahlschlags | |
lehnte man ab. | |
„Was soziale Gerechtigkeit angeht, stehen wir in allen internationalen | |
Vergleichen weiterhin ganz oben“, konnte Ministerpräsidentin Jóhanna | |
Siguršardóttir zum Jahreswechsel 2012 bilanzieren. Da hatte man alle | |
IWF-Auflagen erfüllt. Was der Währungsfonds offenbar so beeindruckend fand, | |
dass er dem links-grünen Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon das | |
Angebot machte, IWF-Hauptverantwortlicher für einen anderen Schuldenstaat | |
zu werden – Griechenland. Was dieser allerdings ablehnte. | |
Island wandelte sich in Rekordzeit vom vermeintlichen Paria und | |
abschreckenden Beispiel dafür, wie man Märkte und Finanzinstitutionen nicht | |
provozieren sollte, zum weithin gelobten Vorbild. Als die Ratingagentur | |
Fitch die Bonität Islands 2012 heraufstufte, begründete das die | |
Ratingagentur explizit mit „dem Erfolg unorthodoxer Antworten auf die | |
Krise“. Aus einem Negativwachstum von 7 Prozent 2009 war drei Jahre später | |
ein Plus von knapp 3 Prozent geworden. Womit man deutlich über dem der | |
Eurozone lag. Die Isländische Krone hat sich nun mit einem Minus gegenüber | |
Euro und Dollar von 25 bis 30 Prozent gegenüber Vorkrisenzeiten | |
stabilisiert. Die Arbeitslosenrate liegt bei 4 Prozent, und Inflation ist | |
kein Thema mehr. | |
## Kapitalverkehrskontrollen eingeführt | |
Zwar traf die Abwertung der Krone zunächst weite Teile der Bevölkerung hart | |
– auch wenn dieser Effekt etwas abgefedert wurde durch eine | |
höchstrichterliche Entscheidung, die an Auslandswährungen gebundene Kredite | |
nachträglich kurzerhand für ungesetzlich erklärte. Und es mussten | |
Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden, um Kapitalflucht zu | |
verhindern. Dafür half die schwache Währung der Exportwirtschaft. Export | |
heißt in Island vorwiegend Fisch. Und der ging unbeeindruckt vom | |
Finanzcrash auch weiterhin reichlich in die Netze und ist weltweit gefragt. | |
Die eigene Währung – selbst wenn sie erst einmal schlagartig an Wert verlor | |
– beschleunigte nicht etwa den Untergang, sondern war entscheidende | |
Voraussetzung für die Rettung. Könnte das nicht vielleicht | |
„Inspirationsquelle“ für südeuropäische Euroländer sein, fragt Finn Øs… | |
Finanzwirtschaftsprofessor an Dänemarks Copenhagen Business School. | |
Beispielsweise für Griechenland? | |
Islands Staatspräsident Ragnar Grimsson hat noch einen anderen Tipp für | |
verschuldete Länder: „Nicht auf die Finanzmärkte hören, sondern auf das | |
Volk.“ | |
21 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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