# taz.de -- „Energie-Union“ der EU: Brüssel wird energisch | |
> Die EU-Kommission präsentiert ihren Plan für eine „Energie-Union“. Der | |
> ist eine Kampfansage aus Brüssel an Moskau – und an die 28 | |
> EU-Hauptstädte. | |
Bild: Alles andere als übersichtlich: Teile des Stromnetzes in Deutschland. | |
BERLIN taz | Die Drohung aus Moskau kam wie bestellt: Wegen unbezahlter | |
Rechnungen erwäge man einen Lieferstopp für Gas in die Ukraine, erklärte | |
Alexej Miller, der Chef des russischen Energiekonzerns Gazprom, am | |
Dienstag. Eine mögliche Einstellung der Lieferungen sei auch „eine Gefahr | |
für Westeuropa“. | |
Einen Tag später kam die Antwort: Maros Sefcovic, Vizepräsident der | |
EU-Kommission, präsentierte am Mittwoch in Brüssel zusammen mit | |
Klimakommissar Miguel Arias Canete das „ambitionierteste Energiekonzept in | |
Europa seit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ von 1951: | |
die „Energie-Union“, die als Reaktion auf den Konflikt mit Russland, die | |
Klimakrise und die Uneinigkeit der EU-Länder gedacht ist und eines der fünf | |
wichtigsten Themen der Juncker-Kommission werden soll. | |
Brüssel geht es darin vor allem um fünf Punkte: sichere Versorgung, ein | |
einheitlicher EU-Binnenmarkt für Energie, höhere Effizienz, eine | |
Energieversorgung mit immer weniger CO2-Ausstoß und mehr Forschung und | |
Investition. Nötig für diese Vision der EU-Kommission sei allerdings eine | |
„fundamentale Veränderung von Europas Energiesystem“. | |
## Länder wie Finnland sind abhängig | |
Das nämlich quietscht an allen Ecken, schreibt die Kommission in ihren | |
Unterlagen. Die EU importiert 53 Prozent ihrer Energieversorgung aus Öl und | |
Gas, so viel wie kein anderer Wirtschaftsblock, und zahlt dafür jährlich | |
400 Milliarden Euro ans Ausland, einen großen Teil davon an Russland. Zwölf | |
EU-Staaten haben so schwache Stromnetze, dass sie praktisch vom Strommarkt | |
abgekoppelt sind; der Energiesektor benötigt bis 2020 Investitionen in Höhe | |
von einer Billion Euro. | |
Und Länder wie Bulgarien, die Slowakei, Finnland und die baltischen Staaten | |
sind vom Gas für Industrie und Heizung komplett von Russland abhängig. Weil | |
diese Abhängigkeit mit Beginn der Ukrainekrise vor einem Jahr besonders | |
brisant wurde, forderte der damalige polnische Premier Donald Tusk eine | |
„Energie-Union“, mit der vor allem die Ostländer ihre Position gegenüber | |
Moskau durch gemeinsames Einkaufen stärken sollten. | |
Tusk ist inzwischen Chef des Europäischen Rats und die neue Kommission hat | |
seinen Vorschlag aufgegriffen und umgeschrieben: Die Idee einer | |
Einkaufsgemeinschaft für Gas findet sich in dem 18-seitigen Papier nur noch | |
in einem Satz als Prüfauftrag. Dafür hat die Kommission die Gelegenheit | |
ergriffen, sich in der Energiepolitik breitzumachen, wo bisher nationale | |
Alleingänge herrschen. Denn hier sind die Zuständigkeiten zwischen der | |
Kommission und den EU-Staaten nicht immer klar abgegrenzt. | |
## Die Staaten sollen ihre Märkte öffnen | |
„Wir haben fünf Jahre, um unser Konzept umzusetzen“, sagte Sefcovic. Dazu | |
gehört erst einmal eine andere Infrastruktur in Osteuropa, die die | |
Kommission unterstützt: neue Gasterminals, die Einfuhren aus Afrika und | |
Amerika zulassen, eine verstärkte Zusammenarbeit mit Lieferländern wie | |
Turkmenistan und Algerien. In Zukunft will die EU Verträge der Länder mit | |
Gaslieferanten vorher auf Einhaltung des EU-Rechts überprüfen. | |
Sie will Gesetze durchsetzen, die sicherstellen, dass die Stromnetze für | |
mindestens 10 Prozent der Elektrizität aus den Nachbarländern ausgelegt | |
sind. Die einzelnen Staaten sollen ihre Märkte öffnen, Subventionen | |
abbauen, aber auch Fördermittel für erneuerbare Energien angleichen. | |
Behörden, die den Stromfluss über Grenzen regeln, sollen gestärkt werden. | |
„Energieeffizienz muss zu einer eigenen Energiequelle werden“, sagte | |
Klimakommissar Canete. Diese alte Forderung will die EU durch Mittel aus | |
dem geplanten Milliardeninvestitionsprogramm EFSI unterstützen. Brüssel | |
will auch die Regeln für den CO2-Ausstoß bei Autos verschärfen und die | |
Effizienz bei Gebäuden voranbringen, wo drei Viertel aller Häuser noch | |
Energiefresser sind. Die Forschungsgelder fließen aber auch weiterhin in | |
die Erkundung der umstrittenen CCS-Technik zur Speicherung von CO2 und in | |
die jahrzehntelange Forschung an der Kernfusion. | |
## Nicht auf den Klimaschutz konzentriert | |
Der Konflikt mit den Mitgliedstaaten für die Juncker-Kommission ist | |
programmiert. Denn die Konstruktion der EU ist in diesem Punkt unklar. | |
Brüssel ist zuständig für den Binnenmarkt und die Klimapolitik und kann auf | |
Fortschritte beim Energie-Binnenmarkt drängen. Die 28 EU-Staaten wiederum | |
haben im Lissabon-Vertrag ausdrücklich das Recht festgeschrieben, selbst | |
über ihren nationalen Energiemix zu entscheiden. Und so wachen die | |
Hauptstädte eifersüchtig darüber, dass Brüssel ihnen nicht bei der | |
Energiepolitik reinredet. | |
Auch wegen der verschiedenen nationalen Vorlieben für Kohle, Erneuerbare | |
oder Atom sind in den EU-Klimazielen von 2014 die Ziele zur | |
Effizienzsteigerung und zur Steigerung der Erneuerbaren um 27 Prozent bis | |
2030 für die einzelnen EU-Staaten nicht bindend. Da wird es für die | |
Kommission sehr schwer, die Länder auf wirksame Maßnahmen zu verpflichten. | |
Während im EU-Parlament die EVP den Vorstoß zur „Energie-Union“ begrüßt… | |
weil er einheitliche Regeln für die Subvention von Ökostrom vorsieht, kam | |
von SPD und Grünen Kritik: In der „Wundertüte Energie-Union“ gebe es keine | |
Konzentration auf Stromsparen und Erneuerbare. Miguel Arias Canete | |
verwahrte sich gegen diesen Vorwurf: Der Klimaschutz liege „im Herzen der | |
Energie-Union“, sagte der spanische Kommissar ganz am Ende seiner | |
Ausführungen in Brüssel. Da hatten er und Sefcoviv schon 12 Minuten | |
geredet. Ohne Umwelt oder Klima groß zu erwähnen. | |
25 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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