| # taz.de -- Angst vor Nebenwirkungen unberechtigt: Die Mär von der gefährlich… | |
| > Berlin und Brandenburg wollen den Impfschutz für Flüchtlinge verbessern. | |
| > Die aktuelle Masernepidemie begann in einem Flüchtlingsheim. | |
| Bild: Einige europäische Länder haben bereits eine Impfpflicht gegen Masern �… | |
| BERLIN taz | Es ist der bislang größte Masernausbruch in Berlin seit | |
| Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001. Doch die | |
| Bundesländer ziehen daraus unterschiedliche Konsequenzen. Während das | |
| Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales noch in diesem Jahr eine | |
| zentrale Impfstelle für Flüchtlinge schaffen will, sieht das Land | |
| Niedersachsen hierfür keinen Anlass. | |
| Das Impfen sei eine Sache der Kommunen und der dortigen | |
| Gesundheitsbehörden, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am | |
| Wochenende der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings würden Neuankömmlinge in | |
| den Erstaufnahmeeinrichtungen unter anderem auf Tuberkulose getestet. Auch | |
| werde ein Bluttest gemacht und der Masern-Impfstatus überprüft. In | |
| Brandenburg werden Flüchtlinge nach ihrer Ankunft schon heute in einer | |
| zentralen Einrichtung geimpft. | |
| Seit dem vergangenen Oktober sind in Berlin 652 Menschen an Masern | |
| erkrankt, ein Kleinkind ist gestorben. Die Epidemie begann damals in einem | |
| Flüchtlingsheim, in dem viele Flüchtlinge aus Bosnien lebten. Aufgrund des | |
| dortigen Bürgerkriegs in den 90er Jahren waren viele von ihnen nicht | |
| geimpft und steckten sich untereinander an. Dass die Krankheit dann aber so | |
| rasant um sich griff, lag vor allem am fehlenden Impfschutz vieler | |
| Berliner. | |
| Das Robert-Koch-Institut, Deutschlands oberste Seuchenbehörde, hat kürzlich | |
| errechnet, dass nur 37 Prozent aller Kleinkinder in Deutschland | |
| entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zeitgerecht und | |
| zweifach gegen Masern vor Vollendung des zweiten Lebensjahres geimpft sind. | |
| Viele Eltern verschieben die Impfung ihrer Kinder auf das dritte, vierte | |
| oder fünfte Lebensjahr. | |
| ## Säuglinge besonders gefährdet | |
| Und: Nur 46,7 Prozent der 30- bis 39-jährigen Deutschen haben überhaupt | |
| einen Impfschutz gegen Masern. Das heißt: Mehr als jeder Zweite in dieser | |
| Altersgruppe ist gar nicht geimpft. Von den 18- bis 29-Jährigen sind etwa | |
| 20 Prozent nicht geimpft. Bei den vor 1970 Geborenen wird davon | |
| ausgegangen, dass die meisten die Masern durchgemacht haben und insofern | |
| immun sind. | |
| Bei dem aktuellen Ausbruch in Berlin waren laut Landesamt für Gesundheit | |
| und Soziales 88 Prozent der gemeldeten Erkrankten ungeimpft. | |
| Die Impfung selbst gibt es seit 1973. Sie wurde zunächst durch die Ständige | |
| Impfkommission der Regierung als Einfachimpfung empfohlen, ab 1991 dann – | |
| um wirklich annähernd 100 Prozent Schutz zu bieten – als Zweifachimpfung. | |
| Vollständiger Impfschutz besteht 7 bis 10 Tage nach der Impfung. | |
| ## Kinderkrankheit: vermeintlich harmlos | |
| Besonders gefährdet sind Säuglinge, denn die Masernimpfung ist erst etwa ab | |
| dem 11. Lebensmonat wirksam und verträglich. Deswegen sind Neugeborene nur | |
| dann geschützt, wenn ihre Mutter über einen vollständigen Impfschutz | |
| verfügt. Während der Schwangerschaft ist die Immunisierung nach Angaben des | |
| Kinder- und Jugendärzteverbands nicht mehr möglich. | |
| Die großen Impflücken bei den heute 30- bis 40-Jährigen erklären sich | |
| dadurch, dass die Impfung in den 70er und 80er Jahren noch relativ neu war | |
| und viele Eltern, aber auch Ärzte ihr damals mit Skepsis begegneten oder | |
| sie nicht für zwingend hielten. Zudem galten die Masern lange als | |
| Kinderkrankheit, weil sie so ansteckend sind, dass man in den meisten | |
| Fällen schon als Kind daran erkrankt ist, bevor es die Schutzimpfung gab. | |
| Irrtümlicherweise verbanden viele mit dem Begriff Kinderkrankheit eine | |
| vermeintliche Harmlosigkeit. Das Gegenteil ist der Fall: Das Masernvirus | |
| ist seit jeher unverändert gefährlich. | |
| Impfskepsis bis hin zu militanter Impfgegnerschaft gibt es indes bis heute. | |
| Die Angst vor unerwünschten Wirkungen und schweren Impfkomplikationen ist | |
| groß. Tatsächlich kann jede Impfung – und das gilt auch für die | |
| Masernimpfung – unerwünschte Nebenwirkungen haben. Das | |
| Paul-Ehrlich-Institut, zuständig für die Zulassung und Überwachung von | |
| Impfstoffen in Deutschland, hat deswegen alle Verdachtsfallberichte über | |
| Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen nach Masernimpfungen, die aus | |
| Deutschland zwischen 2001 und 2012 gemeldet wurden, zusammengefasst, | |
| bewertet und im Bundesgesundheitsblatt (Ausgabe 9/2013) veröffentlicht. | |
| ## 0,9 Prozent der Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang | |
| Danach wurden dem PEI in den 12 Jahren insgesamt 1.696 Verdachtsfälle von | |
| Nebenwirkungen mit 5.297 Reaktionen nach einer Masernimpfung gemeldet durch | |
| Patienten, Ärzte, Apotheker, Pharmahersteller, Arzneimittelkommissionen und | |
| Gesundheitsämter. | |
| 76,7 Prozent der Meldungen wurden vom PEI als schwerwiegend eingestuft. Die | |
| Mehrzahl der Meldungen (56,6 Prozent) bezog sich auf Kinder, die jünger als | |
| zwei Jahre waren. | |
| Aus der Anzahl der vom PEI für Deutschland freigegebenen Impfdosen | |
| errechnete sich eine mittlere Melderate von 5,7 Fallmeldungen auf 100.000 | |
| freigegebene Impfdosen. Bei 53,7 Prozent der gemeldeten Verdachtsfälle kam | |
| es zu einer vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit. Bei 16 Prozent | |
| wurde der Allgemeinzustand der geimpften Personen als noch nicht | |
| wiederhergestellt, bei 2,7 Prozent als gebessert und bei 23,3 Prozent als | |
| nicht bekannt angegeben. Bei 3,4 Prozent der gemeldeten Verdachtsfälle (die | |
| allesamt geimpft waren) wurde im Zusammenhang mit der Impfung ein | |
| bleibender Schaden mitgeteilt, bei 0,9 Prozent wurde ein tödlicher Ausgang | |
| berichtet. | |
| ## Nebenwirkungen vernachlässigenswert | |
| Die 30 am häufigsten gemeldeten Impfreaktionen bezogen sich auf | |
| Nebenwirkungen wie Fieber, Fieberkrämpfe, Ausschlag und Impfmasern. Zudem | |
| erhielt das PEI 15 Berichte über Verdachtsfälle mit einem tödlichen | |
| Ausgang. In keiner dieser 15 Meldungen, so das Institut, wurde jedoch der | |
| ursächliche Zusammenhang als „gesichert“, „wahrscheinlich“ oder „mö… | |
| bewertet. | |
| Fünf Meldungen hätten sich auf plötzliche ungeklärte Todesfälle bezogen, | |
| bei denen auch im Rahmen einer Autopsie keine eindeutige Todesursache | |
| festgestellt werden konnte. Die geringen Fallzahlen deckten sich mit einer | |
| Studie aus Finnland, wo Nebenwirkungen zwischen 1982 und 1996 analysiert | |
| worden waren. | |
| Verglichen mit den hohen, mitunter tödlichen Gesundheitsrisiken, die bei | |
| einer Maserninfektion bestehen, dürfen die Nebenwirkungen der Masernimpfung | |
| somit als vernachlässigenswert gelten. | |
| ## Andere europäische Länder haben Impfpflicht | |
| Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Ausrottung der Masern als | |
| globales Ziel für 2015 ausgegeben. Als wichtigste Maßnahme gilt dabei die | |
| Erhöhung der Impfraten auf jeweils über 95 Prozent der gesamten | |
| Bevölkerung. Damit, so die WHO, könnte die jährliche Inzidenz auf unter 1 | |
| Fall pro 1 Million Einwohner gesenkt werden. Deutschland ist von diesem | |
| Ziel weit entfernt: Allein 2013 traten hierzulande statt der für die | |
| Ausrottung geforderten Höchstzahl von 80 noch 1.771 Masernfälle auf, fast | |
| alle davon bei Ungeimpften. | |
| In einigen europäischen Ländern besteht derzeit, anders als in Deutschland, | |
| eine Impfpflicht gegen Masern – unter anderem in Bulgarien, Estland, | |
| Kroatien, Serbien und Ungarn. | |
| Update: In einer früheren Version des Textes war missverständlich die Rede | |
| davon, dass 3,4 Prozent der geimpften Personen einen bleibenden Schaden | |
| davongetragen hätten, 0,9 Prozent mit tödlichem Ausgang. Das bezog sich | |
| natürlich nicht auf die Gesamtheit aller geimpften Personen, sondern auf | |
| die 1.696 Verdachtsfälle über einen Zeitraum von 12 Jahren. | |
| 1 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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