# taz.de -- Eltern in Sorge vor Masern: Rückzug ins Private | |
> Für Säuglinge sind Masern besonders gefährlich. Aus Angst vor einer | |
> Ansteckung sagen Eltern Treffen und Kurse ab. Kinderärzte empfehlen, | |
> Babys zu Hause zu betreuen. | |
Bild: Wird erst ab dem elften Lebensmonat empfohlen: die Masern-Impfung. | |
Der kleine Emil hat an diesem Montag ganz besonders viel Platz im Becken. | |
Beim Babyschwimmen in Pankow planschen sonst zehn Eltern mit ihren | |
Säuglingen im Wasser herum. Diesmal sind nur zwei Mütter mit ihren Kindern | |
gekommen. Auch in den Kursen vorher und nachher sieht es ähnlich aus. Wegen | |
der Masern meldeten sich einige ab, berichtet ein Mitarbeiter der | |
Aquaphine-Geschäftsstelle. Auch die Mutter des sechs Monate alten Emils hat | |
am Wochenende noch darüber nachgedacht, ob sie besser zu Hause bleiben | |
soll. „Aber das fand ich dann doch übertrieben“, sagt sie. | |
Vor allem Eltern von Babys sind durch die Masernepidemie in Berlin | |
verunsichert. Die Zahlen steigen weiter: Insgesamt 660 Menschen erkrankten | |
seit vergangenem Oktober, heißt es am Montag von der Gesundheitsverwaltung. | |
Für Säuglinge in Emils Alter kann das Virus besonders gefährlich werden. | |
Der Schutz über das Immunsystem der Mutter wirkt nur in den ersten Monaten, | |
eine Impfung gilt aber erst ab dem elften Lebensmonat als verträglich und | |
wirksam. In der Zwischenzeit sind die Babys ungeschützt. | |
Gleichzeitig kann bei sehr kleinen Kindern als Spätfolge der Masern auch | |
eine tödliche Hirnhautentzündung auftreten. Der Berufsverband der | |
Kinderärzte hatte daher Ende vergangener Woche die Empfehlung | |
ausgesprochen, Säuglinge bis zum Abebben der Welle zu Hause zu betreuen. | |
Ein Vorschlag, der – befolgt man ihn konsequent – den Alltag von Familien | |
drastisch verändern würde. Institutionen, die mit Babys arbeiten, bekommen | |
das bereits zu spüren. „Bei uns klingelt unentwegt das Telefon“, berichtet | |
eine Mitarbeiterin des Geburtshauses in Kreuzberg, das zahlreiche | |
Eltern-Kind-Kurse anbietet. Die Mütter und Väter wollten wissen, ob | |
Impfausweise kontrolliert würden oder ob die Kurse überhaupt stattfänden, | |
erzählt sie. „Das ist ein völliger Irrsinn.“ | |
Auch im Kindercafé Amitola in Friedrichshain macht sich die Angst vor den | |
Masern bemerkbar. Die Teilnehmerzahlen bei Eltern-Kind-Kursen hätten sich | |
mehr als halbiert, berichtet Inhaberin Ines Pavlou. Im Café mit 45 Plätzen, | |
wo Mütter und Väter Cappuccino schlürfen, während die Kinder toben, ist | |
ebenfalls weniger los als sonst. Pavlou erzählt: „An guten Tagen sind alle | |
Tische besetzt. Aber letzte Woche war teilweise gar niemand mehr da. Dann | |
bricht uns auch der Umsatz ein.“ | |
Klemens Senger, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und | |
Jugendärzte, relativiert am Montag gegenüber der taz die Empfehlungen von | |
vergangener Woche: „Man soll keine Panik machen. Selbstverständlich können | |
die Eltern weiter am Landwehrkanal auf und ab spazieren oder einkaufen | |
gehen.“ Vor allem, wenn Eltern selbst nicht geimpft seien, rate er jedoch | |
von Massenveranstaltungen oder von Kindergruppen ab. Auch einen Arztbesuch, | |
der nicht unbedingt nötig sei, sollte man besser verschieben. Senger sagt: | |
„Der beste Schutz für die Säuglinge ist, wenn sich die Menschen in ihrer | |
direkten Umgebung impfen lassen und so einen Wall um die Kinder bilden.“ | |
Die Mutter des sechs Monate alten Emils aus Pankow bleibt gelassen – auch | |
weil sie und ihr Mann geimpft sind. Sie kann dem Alarm sogar etwas | |
Positives abgewinnen. „Wenn außer uns kaum einer zum Babyschwimmen kommt, | |
ist das auch eine Art Schutz.“ | |
2 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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