| # taz.de -- Masernepidemie in Berlin: Grandiose Fahrlässigkeit | |
| > Ein Kind ist an Masern gestorben. Jetzt ist Pragmatismus statt | |
| > Impfpflicht gefragt: Ungeimpfte müssen ab sofort raus aus Kitas und | |
| > Schulen. | |
| Bild: „Mal kurz husten bitte.“ Ups, schon ist die Masernimpfung passiert. | |
| In Berlin ist nun also ein erstes Kleinkind gestorben an den Masern seit | |
| Ausbruch der Epidemie im vorigen Herbst. Das teilte der Gesundheitssenator | |
| am Montag mit. Zeitgleich informierte der Berliner Senat, die Masern hätten | |
| eine komplette Schule lahmgelegt: 1.025 Schülerinnen und Schüler aus dem | |
| Stadtteil Lichtenrade können nicht unterrichtet werden, weil einer ihrer | |
| Mitschüler schwer erkrankt ist an dem hoch ansteckenden Virus. | |
| Niemand weiß, wie viele weitere Kinder akut gefährdet sind und | |
| möglicherweise ebenfalls um ihr Leben fürchten müssen wegen der schweren | |
| Komplikationen, die Masern bei Ungeimpften an Lunge und Hirn verursachen | |
| können. Davon betroffen sind vor allem Kleinstkinder: Erst ab dem 11. Monat | |
| darf gegen Masern geimpft werden. | |
| Was eigentlich muss noch passieren, möchte man rufen. Denn so sehr die | |
| erkrankten Kinder Mitgefühl verdienen und vor allem: bestmögliche ärztliche | |
| Versorgung, so sehr dürfen sich ihre Eltern ob ihrer grandiosen | |
| Fahrlässigkeit schämen: Es sind Eltern, die bewusst darauf verzichteten, | |
| ihre eigenen Kinder durch eine von den Krankenkassen bezahlte, seit | |
| Jahrzehnten erprobte, wirksame und verträgliche Impfung verlässlich | |
| schützen zu lassen. | |
| Es sind Eltern, die entgegen den Mahnungen der Weltgesundheitsorganisation | |
| wider besseres Wissen und oft aus einer ideologisch-verbrämten Weltsicht | |
| ihren eigenen Nachwuchs und den anderer Menschen gefährden. Es sind Eltern, | |
| die hinter dem guten Rat von Kinderärzten bevorzugt Geldgier wittern, den | |
| Stand der medizinischen Wissenschaft als Verschwörungstheorie abtun und | |
| ansonsten gern davon profitieren, dass die große Mehrheit der anderen, die | |
| sie selbst für ignorant halten und belächeln, ihrerseits sich und ihre | |
| Familien schon impfen lassen wird. | |
| ## Sie galten als ausgerottet | |
| Die Masern, sie galten in Deutschland wie Europa bereits als beinahe | |
| ausgerottet. Und jetzt das: 574 Neuerkrankungen allein in Berlin binnen | |
| knapp fünf Monaten; das sind mehr Fälle, als es bundesweit im gesamten | |
| vergangenen Jahr gegeben hat. | |
| So weit, so wütend. Aber rechtfertigen das Fehlverhalten und der Egoismus | |
| Einzelner tatsächlich die Einführung einer Gesundheitsdiktatur, pardon: | |
| einer gesetzlichen Impfpflicht, wie Gesundheitspolitiker der Großen | |
| Koalition sie jetzt fordern? Darf der Staat so weitgehend in die private | |
| Gesundheitsvorsorge eingreifen? Das dürfte zumindest schwierig werden. | |
| Denn abgesehen von den nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken | |
| gegen eine solche Maßnahme (das Recht auf körperliche Unversehrtheit und so | |
| weiter und so fort) – mit welchen Mitteln sollte ein Impfzwang durchgesetzt | |
| werden? | |
| ## Drohgebärden helfen nicht | |
| Drohte dann Eltern, die sich weigern, Geldstrafe oder Ordnungshaft? | |
| Wahlweise der Entzug des Sorgerechts oder die Streichung des Kindergelds? | |
| Oder sollten die Jugendämter künftig Mitarbeiter ausschicken, die | |
| ungeimpfte Kleinkinder per Gerichtsbeschluss aus den Wohnungen zerren, zum | |
| Gesundheitsamt fahren und dort gegen den Elternwillen impfen lassen? Eben. | |
| Zwang und Strafe allein haben selten zu gesellschaftlich erwünschtem | |
| Verhalten geführt. Notorische Impfgegner, das jedenfalls steht zu | |
| befürchten, dürften durch derlei Drohgebärden kaum erreicht werden. | |
| Widerstand kann langfristig eher aufgelöst werden durch bessere Aufklärung | |
| über vermeintliche Nebenwirkungen und Spätrisiken von Impfungen. | |
| Und kurzfristig? Wäre Pragmatismus, wie so oft im Leben, vermutlich ein | |
| ebenso charmantes wie wirksames Mittel: Eltern, die den Impfschutz ihrer | |
| Kinder nicht nachweisen können, sollten ab sofort selbst zusehen müssen, | |
| wie sie die Betreuung organisieren. Staatliche Krippen, Kindergärten und | |
| Schulen sollten hierfür jedenfalls nicht länger zur Verfügung stehen: Wer | |
| nicht geimpft ist, muss leider draußen bleiben – zum Schutz der vielen | |
| anderen, die statt zu sterben lieber lernen wollen. | |
| 23 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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