# taz.de -- Terrorstudie gefährdet Atomausstieg: Es droht die nukleare Verstop… | |
> Bund und Länder wollten sich einigen, wer deutschen Atommüll aus dem | |
> Ausland aufnimmt. Die Zwischenlagersuche ist offiziell gescheitert. | |
Bild: Wohin mit den gelben Fässern? | |
BERLIN taz | Es sind Albträume in bestem Behördendeutsch: Terroristen | |
überwältigen die Wachmannschaft eines atomaren Zwischenlagers in | |
Deutschland. Sie sprengen die massiven Türen zur Lagerhalle. Dort steht ein | |
Dutzend der fünf Meter hohen Castor-Behälter voller Atommüll. Zwei der | |
Selbstmordattentäter feuern tragbare panzerbrechende Raketen auf einen der | |
Container, in dem 52 hoch radioaktive Brennelemente vor sich hin strahlen. | |
Die Region um AKW und Zwischenlager wird kilometerweit nuklear verseucht. | |
Auch das andere Szenario für eine „Störmaßnahme oder sonstige Einwirkung | |
Dritter“ (SEWD) macht einen deutschen Atomstandort weitläufig zur | |
Todeszone: Nach dem Vorbild der Attentäter des 11. September 2001 in New | |
York und Washington bringen Terroristen einen Airbus A 380 im deutschen | |
Luftraum in ihre Gewalt und lassen ihn punktgenau auf ein nukleares | |
Zwischenlager abstürzen. Die Wucht des Einschlags und die Explosion des | |
leicht entzündbaren Kerosins verwüsten das Zwischenlager. | |
Solche Planspiele stehen in einem geheimen Dokument der Bundesregierung mit | |
dem Titel „Sicherung von Zwischenlagern – relevante | |
Einwirkungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und | |
resultierende Nachrüstmaßnahmen“. Die Studie ist streng unter Verschluss, | |
seit sie am 15. April 2011 in kleinstem Kreis verteilt wurde. Vier Jahre | |
später entfaltete das Papier seine Langzeitwirkung, und zwar am Mittwoch | |
dieser Woche vor dem Umweltausschuss des Bundestags: Der Parlamentarische | |
Staatssekretär im Umweltministerium, Florian Pronold, bekräftigte vor den | |
Abgeordneten, der Konsens bei der Suche nach einer Heimat für 26 | |
Castor-Behälter aus dem Ausland sei gescheitert. | |
Der Zeitplan für den Atomausstieg gerät ins Wanken. Ursache ist die | |
Geheimhaltung genau jener Studie. Denn seit dem 8. Januar 2015 stehen die | |
Atom-Uhren in Deutschland still. Da entschied das Bundesverwaltungsgericht, | |
dass der Entzug der Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel | |
rechtmäßig sei. Dort wo die Elbe in die Nordsee fließt sollten ein Teil der | |
26 Castor-Behälter mit nuklearen Abfällen aus Großbritannien gelagert | |
werden, die 2016 nach Deutschland zurückkommen sollen. Die erfolgreichen | |
Kläger gegen Brunsbüttel hatten argumentierten, dass das zuständige | |
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bei der Genehmigung nicht ausreichend | |
bewiesen habe, dass die Sicherheitsanforderungen aus der Geheimstudie vom | |
April 2011 erfüllt seien. Zwar riefen Bund, Land und Energiekonzerne | |
sofort: „Das Lager ist sicher!“ Aber den Prozess verloren sie trotzdem. | |
Das startet nun eine Kettenreaktion: Ohne Brunsbüttel keine Einigung bei | |
der Verteilung der Castoren; ohne Einigung keine Klarheit über die Zukunft | |
der Zwischenlager an den AKWs; ohne Zwischenlager keine Planung für | |
Abschaltung und Abriss der AKWs; ohne Abschaltung kein Atomausstieg. Das | |
Umweltministerium schreibt an einem Konzept, wie die Castoren verteilt | |
werden sollen. Das ist der letzte Schuss: „Auf Freiwilligkeit der Länder | |
können wir nicht länger setzen“, sagt der zuständige Staatssekretär Jochen | |
Flasbarth gegenüber der taz. „Sollte das Konzept nicht akzeptiert werden, | |
müssen die Betreiber selbst einen Ausweg finden.“ Wie der aussehen könnte, | |
weiß niemand. | |
## Sicherheit vor Öffentlichkeit | |
Die Behörden haben sich selbst in eine Sackgasse manövriert. Denn seit den | |
Selbstmordanschlägen vom 11. September 2001 treibt sie eine Angst: Im | |
nächsten Jahrzehnt werden sich an den deutschen Atomstandorten über 1.000 | |
Castoren mit stark strahlender Fracht ansammeln – ein möglicherweise | |
lohnendes Ziel für Anschläge. Um Terroristen keine Einzelheiten über die | |
Sicherung der deutschen Atomanlagen zu geben, machten die Behörden die | |
Schotten dicht. Sicherheit vor Öffentlichkeit. | |
Daran ist nun der Brunsbüttel-Prozess gescheitert, sagt die | |
Bundesregierung. Und verhandelt gerade aufgeschreckt zwischen Umwelt- und | |
Justizministerium darüber, wie „geheimschutzbedürftige Informationen | |
angemessen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeführt werden können“, | |
heißt es. Das nächste Urteil zu den Zwischenlagern – diesmal am AKW | |
Unterweser – steht wahrscheinlich noch in diesem Jahr an, vor dem | |
Oberverwaltungsgericht Lüneburg. | |
Im Endeffekt ist bisher nur eines von zwölf geplanten Zwischenlagern | |
ausgefallen. Nicht so schlimm, könnte man denken. Aber Robert Habeck sagt: | |
„Wir stehen vor dem Nichts. Das Urteil fordert die Diskussion völlig neu.“ | |
Habeck ist als grüner Umweltminister Schleswig-Holsteins zuständig für das | |
abgeurteilte Zwischenlager Brunsbüttel. | |
Habeck hatte sein Land für die Aufnahme der Castoren angeboten. 2013 | |
versprachen Angela Merkel und ihr damaliger Umweltminister Peter Altmaier | |
den Ländern, sie könnten selbst darüber entscheiden, wo die insgesamt 26 | |
Castoren mit dem deutschen Müll aus den Aufbereitungsanlagen in Sellafield | |
und La Hague gelagert werden sollten. Aber außer Schleswig-Holstein und | |
Baden-Württemberg wollte kein Land das strahlende Erbe des Atomstroms | |
aufnehmen. Frustriert zog nun Berlin das Problem wieder an sich. | |
## Zerbröselter Konsens | |
Und plötzlich wackelt der ganze Plan vom geordneten Rückzug aus dem | |
Atomzeitalter. Was vor vier Jahren nach Fukushima mit dem Atomgesetz und | |
dem Ausstieg bis 2022 begann, der schöne Konsens über die Lösung einer | |
Zukunftsfrage, zerbröselt an wirtschaftlichen Interessen, Egoismen und dem | |
Gefühl, alte Rechnungen begleichen zu müssen. | |
Dabei haben die Energiekonzerne und die Behörden nach dem doppelten Schock | |
vom Frühjahr 2011 – Fukushima und „neue Gefährdungslage“ durch | |
Terrorangriffe – allerhand getan. Die Atomkonzerne haben ihre Zwischenlager | |
mit Genehmigung der Behörden, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit | |
„gehärtet“, also nachgerüstet: Sie bestellen mehr Wachmannschaften, | |
schicken gepanzerte Fahrzeuge auf Patrouille, lassen neue Wände bauen, | |
mauern Gitteröffnungen zu oder stellen Castor-Behälter um. Und schweigen | |
sich aus. Denn die Maßnahmen sind mit der zweithöchsten Sicherheitsstufe | |
des Staats belegt: „geheim“. Personen, die die Aktenordner mit der | |
SEWD-Richtlinie im Tresor stehen haben, sagen nicht einmal, wie viele | |
Seiten die Studie von 2011 hat. | |
Ging der Prozess um Brunsbüttel tatsächlich wegen dieser strikten | |
Geheimhaltung verloren? Unsinn, sagt eine Gerichtssprecherin gegenüber der | |
taz. Die Behörde habe einfach „Ermittlungs- und Bewertungsfehler“ gemacht. | |
Die Ironie der Geschichte: Jahrzehntelang haben Atomgegner mit der | |
„Verstopfungstheorie“ versucht, das Ende der deutschen AKW | |
herbeizuboykottieren. Weil im Atomgesetz für den Betrieb der Atomkraftwerke | |
gefordert wurde, dass es Fortschritte bei der Entsorgung gibt, waren die | |
Proteste gegen Gorleben und die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf | |
auch Proteste gegen die Atomkraftwerke. | |
## Grüne Umweltminister | |
Jetzt aber bringt die atomare Verstopfung in Deutschland bei den letzten | |
Atomtransporten aus dem Ausland genau das in Schräglage, was alle | |
Atomgegner immer wollten: den geordneten Rückzug aus der Nuklearwirtschaft. | |
Und die nächste Ironie: Wer damals protestierte, ist heute für die | |
Zwischenlagerung zuständig; in vier von fünf Ländern mit aktiven | |
Atomstandorten stellen die Grünen die Umweltminister. Wer damals die | |
Transporte rollen ließ – das Land Bayern etwa – verweigert jetzt die | |
Rücknahme und verschärft die Situation. | |
Die Zeit wird knapp. 2016 sollen die Castoren aus England zurückkehren, | |
jede Verzögerung kann Millionen kosten. Dafür müssen die Konzerne Anträge | |
stellen, wo sie hin sollen. Das ist bislang nicht passiert. Die Konzerne | |
wollen den Strahlenmüll nach wie vor am liebsten nach Gorleben bringen, wo | |
sie bereits 1,6 Milliarden Euro investierten. Das aber haben Bund und | |
Länder politisch ausgeschlossen, damit in der „Endlagerkommission“ des | |
Bundestags eine offene Debatte beginnen kann. | |
Wenn der Vorschlag des Bunds keine Lösung bringt, verstopft der Müll das | |
System: Es wird mehr Verfahren beim BfS geben, das bereits jetzt so viel | |
Atom-Bürokratie zu bewältigen hat wie noch nie. Es wird noch mehr Prozesse | |
geben als die bislang zwei Dutzend Verfahren mit einem Streitwert im | |
zweistelligen Milliardenbereich. Und es wird die Suche nach einem | |
nationalen Endlager noch weiter belasten, den alten Streit zwischen | |
Atomfans und -gegnern mit frischem Streit über Standorte und Verantwortung | |
aufladen. | |
21 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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