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# taz.de -- Atomausstieg geht weiter: Noch lange nicht Schluss
> Das berühmte AKW Grafenrheinfeld geht am Sonntag vom Netz. Ohne Blackout.
> Doch die radioaktiven Reste wird der Ort so schnell nicht los.
Bild: Der Dampf wird am Sonntag verschwinden, die Kühltürme bleiben stehen: A…
Der Vorgang als solches ist wenig spektakulär: In der Nacht zu Sonntag
werden im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld mit einem Knopfdruck die
Steuerstäbe in den Reaktorkern eingefahren, um die atomare Kettenreaktion
zu unterbrechen. Der Prozess ist derselbe wie bei jeder jährlichen Revision
des Kraftwerks – doch diesmal ist er endgültig. Grafenrheinfeld, das mit 33
Jahren älteste deutsche AKW, wird nie wieder Strom produzieren.
Mehrere Tausend Atomkraftgegner haben bereits Ende Mai – am zunächst
geplanten Abschalttermin – ein großes Fest im nahen Schweinfurt gefeiert,
unter anderem mit der Autorin Gudrun Pausewang. Die hatte mit ihrem
Besteller „Die Wolke“ und dem gleichnamigen Film, der einen Super-GAU in
Grafenrheinfeld beschreibt, den Reaktor berühmt gemacht – und der
Anti-Atom-Bewegung viel Zulauf verschafft.
Doch auch langjährige Befürworter der Atomkraft nehmen das Ende von
Grafenrheinfeld gelassen hin. Betreiber Eon schaltet es sogar ein halbes
Jahr früher ab, als vom Gesetzgeber infolge der Fukushima-Katastrophe
verlangt – die ansonsten erforderliche Anschaffung neuer Brennstäbe hätte
sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt.
Selbst die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, deren Präsident Alfons
Gaffal vor einem Jahr noch vor Strom-Engpässen gewarnt und eine
Laufzeitverlängerung gefordert hat, ist zurückgerudert. Für die
Stromversorgung wird das AKW durch den Ausbau der erneuerbaren Energien
längst nicht mehr gebraucht. Selbst wenn alle noch laufenden AKWs sofort
abgeschaltet würden, gäbe es laut einer neuen Studie im Auftrag der
Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt keinen Blackout.
Auch bei der Gemeinde Grafenrheinfeld hält sich die Trauer in Grenzen. Zwar
hat der Ort finanziell über viele Jahre stark vom AKW profitiert – davon
zeugen die moderne Grundschule, die üppig ausgestattete Bibliothek und die
riesige Kulturhalle ebenso wie die perfekt gepflegten Straßen und
Grünanlagen. Doch Gewerbesteuer zahlt Eon schon seit drei Jahren nicht
mehr, weil das Unternehmen die Gewinne des AKWs mit Verlusten an anderer
Stelle verrechnen konnte – darum ändert sich finanziell durch die
Abschaltung nicht viel. „Grafenrheinfeld definiert sich nicht nur durch das
Atomkraftwerk“, macht sich Bürgermeisterin Sabine Lutz Mut.
Doch verschwinden wird das AKW, das mit seinen 143 Meter hohen Kühltürmen
die 65 Meter hohe Dorfkirche weit überragt, ohnehin nicht so schnell. Die
Belegschaft habe sich zwar vor wenigen Tagen zu einer
„Abschlussveranstaltung“ versammelt, berichtet Kraftwerksprecher Hermann
Liebhaber, „doch die Arbeit geht am Montag natürlich normal weiter“.
## Erst muss das Kraftwerk „kernbrennstofffrei“ sein
Aus den Türmen wird in Zukunft kein Dampf mehr aufsteigen, doch die
eigentliche Stilllegung beginnt erst in einigen Jahren. Zwar setzen die
Betreiber – anders etwa als in der Vergangenheit beim AKW Lingen – heute
nicht mehr auf den sogenannten „sicheren Einschluss“, bei dem das komplette
AKW für mehrere Jahrzehnte unverändert bestehen bleibt, damit die
Radioaktivität abklingt. Doch auch bei der Alternative, dem „sofortigen
Rückbau“, kann mit dem Großteil der Arbeit erst begonnen werden, wenn die
Anlage „kernbrennstofffrei“ ist, also im Kraftwerk selbst keine
Brennelemente mehr vorhanden sind. Und das kann dauern.
Denn die verbrauchten Brennelemente, in denen über 99,9 Prozent der im AKW
vorhandenen Radioaktivität steckt, müssen erst mal abkühlen. Dazu bleiben
sie zunächst eine Weile im Wasserbecken des Reaktordruckbehälters, bevor
sie für mehrere Jahre ins benachbarte Abklingbecken gebracht werden. Nach
etwa fünf Jahren können sie in Castorbehälter gepackt und ins Zwischenlager
auf dem AKW-Gelände gebracht werden – zumindest theoretisch.
Denn in der Praxis gibt es derzeit massive Probleme. Das Kraftwerk Isar I
etwa, das unmittelbar nach Fukushima im März 2011 abgeschaltet wurde,
sollte eigentlich 2016 kernbrennstofffrei sein. Inzwischen geht Betreiber
Eon nach Angaben des Bundesumweltministeriums von 2018 aus – und selbst das
ist keineswegs sicher.
Ein Grund dafür: Die Castor-Behälter, die durch die Transporte nach
Gorleben berühmt wurden, sind derzeit knapp: Aus einer Aufstellung des
Umweltministeriums geht hervor, dass allein zum Verstauen der Brennelemente
aus den acht im Jahr 2011 stillgelegten AKWs in den nächsten Jahren jeweils
die maximale Jahresproduktion von 80 Behältern benötigt würde. Doch bei der
Verteilung der Castoren haben laufende Atomkraftwerke Vorrang.
## Keine genehmigten Behälter
Dazu kommt, dass es für einen Teil des hochradioaktiven Atommülls –
sogenannte „Sonderbrennstäbe“, die beschädigt oder anderweitig verändert
sind – noch gar keine genehmigten Behälter gibt. Der erste Antrag dafür,
der vom AKW Biblis eingereicht wurde, ist nach Auskunft des
Bundesumweltministeriums noch immer nicht vollständig. „Belastbare
Schätzungen über die Dauer des Pilotverfahrens können deshalb derzeit nicht
abgegeben werden“, teilt das Ministerium lapidar mit. Grünen-Atomexpertin
Sylvia Kotting-Uhl ist empört. „Die Langsamkeit der Betreiber beim
Pilotverfahren zu den Sonderbrennstäben verschleppt das von den Alt-AKWs
ausgehende Risiko unnötig“, sagte sie der taz.
Das Fehlen der Genehmigung ist nicht nur für Biblis ein Problem. Denn
Sonderbrennstäbe lagern an allen Standorten, in Grafenrheinfeld gibt es 45
davon.
Dort will Eon frühestens 2018 mit dem Rückbau beginnen; dieser wird
mindestens 1,2 Milliarden Euro kosten und zehn Jahre dauern. Anschließend
folgt noch der Abriss der konventionellen Anlagen, für den weitere
zweieinhalb Jahre veranschlagt sind. Doch von der „grünen Wiese“, die die
Betreiber als Endzustand versprechen, wird auch dann noch nichts zu sehen
sein. Zumindest der hochradioaktive Müll muss im Zwischenlager am Standort
verbleiben, bis es ein Endlager dafür gibt – was nach derzeitigen Plänen
frühestens im Jahr 2045 der Fall sein wird.
Und auch den weniger stark strahlenden Abfall wird Grafenrheinfeld wohl auf
absehbare Zeit nicht los. Zwar können etwa 97 Prozent der Materialien eines
Atomkraftwerks nach Angaben des Deutschen Atomforums auf normale Deponien
gebracht oder recycelt werden; der Beton aus Grafenrheinfeld könnte sich
also eines Tages in den Autobahnen der Region wiederfinden. Doch die
restlichen 3 Prozent summieren sich immerhin auf rund 4.000 Tonnen schwach
radioaktiven Müll, der endgelagert werden muss – etwa die inneren Teile des
Druckbehälters und der Betonhülle des Reaktors, die von Spezialfirmen unter
großen Sicherheitsvorkehrungen teils unter Wasser und mit Robotern
zerkleinert werden müssen.
Dieses Material soll im Schacht Konrad bei Salzgitter landen, dem geplanten
Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll. Doch das wird nach
derzeitigem Stand nicht vor 2022 fertig sein. Und bevor der Müll dort
eingelagert werden kann, muss er noch in speziellen Behältern in Beton
verpackt werden; allein das dürfte nach Ansicht von Experten mehrere Jahre
dauern. Bis dahin wird für den schwachradioaktiven Müll ein weiteres
Zwischenlager in Grafenrheinfeld notwendig sein.
## Andachten gehen weiter
Die Arbeiter im AKW müssen sich darum um ihre Jobs keine Sorgen machen.
Kündigungen wird es laut Sprecher Liebhaber nicht geben. Nur durch
Vorruhestandsregelungen und natürliche Fluktuation soll die Belegschaft bis
2020 um ein Drittel auf rund 180 Personen sinken.
Und auch die Gegner des Atomkraftwerks wollen nach dem Abschalten ihre
Arbeit nicht einstellen. Sie kritisieren, dass das bestehende Zwischenlager
nicht ausreichend sicher sei. Und die geplante Wiederverwendung des
Großteils der Kraftwerksmaterialen halten sie für unverantwortlich. Auch
die Andachten, die seit fast 30 Jahren jeden letzten Sonntag im Monat nahe
dem AKW stattfinden, sollen darum fortgesetzt werden, sagt die
Organisatorin Maria Mündlein: „Zu Ende ist die Gefahr schließlich noch
lange nicht.“
27 Jun 2015
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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