# taz.de -- Merkel vor Biblis-Ausschuss: Rumstehen im Regen | |
> Nach Fukushima ging es schnell mit dem Aus alter AKWs. An möglichen | |
> Schadenersatzansprüchen will Merkel nicht schuld sein. | |
Bild: Besucher bei Biblis Block B. | |
Die Erinnerung der Kanzlerin an einen der prägendsten Momente ihrer | |
Kanzlerschaft scheinen lückenhaft zu sein. Am 11. März 2011 begann in Japan | |
die Tsunami- und Atomkatastrophe von Fukushima, am Morgen des 15. März 2011 | |
trafen sich Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder, | |
anschließend verkündete sie: Die sieben ältesten Atomkraftwerke in | |
Deutschland gehen vom Netz, sofort. | |
Die Entscheidung war vorläufig, geplant als Moratorium zunächst für drei | |
Monate – doch die Meiler gingen nie wieder ans Netz. Über vier Jahre später | |
sitzt Merkel im Bundeskanzleramt vor einem Untersuchungsausschuss des | |
hessischen Landtages, die Abgeordneten waren eigens nach Berlin gereist. | |
Sie muss sich rechtfertigen für das, was sie damals durchgeboxt hat. Nicht | |
für den Atomausstieg, sondern für das Wie. | |
Denn die Betreiber der AKWs wollen Schadenersatz, und die Chancen dafür | |
stehen gut. Die Frage ist, wer die politische Verantwortung dafür trägt. | |
Und wer zahlt. „Wir werden die Länder nicht im Regen stehen lassen“, soll | |
Merkel laut des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) am 15. | |
März 2011 gesagt haben. Daran, so sagt es Merkel vor dem | |
Untersuchungsausschuss, kann sie sich nicht mehr erinnern. Sollte Merkel | |
den Satz gesagt haben, scheint aber völlig unklar, was sie damit gemeint | |
hat. | |
Zur Einordnung: Die Betreiber der abgeschalteten Kernkraftwerke klagen auf | |
verschiedene Weise, um Geld für den Atomausstieg zu bekommen. Anhängig ist | |
ein Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht, Vattenfall klagt zudem vor | |
einem internationalen Schiedsgericht, in dem Fall vor dem | |
Untersuchungsausschuss aber geht es um einen für die Konzerne besonders | |
aussichtsreichen Weg, den RWE gegen das Land Hessen eingeschlagen hat: Das | |
hessische Umweltministerium hatte am 18. März RWE angewiesen, das | |
Atomkraftwerk Biblis herunterzufahren, nachdem sich Bund und Länder auf das | |
AKW-Moratorium geeinigt hatten. | |
## Abschaltung war „materiell rechtswidrig“ | |
RWE hat dagegen geklagt – und recht bekommen: Der Verwaltungsgerichtshof | |
Kassel hat Anfang 2014 entschieden, dass die Anordnung des hessischen | |
Umweltministeriums formell rechtswidrig gewesen sei, weil der Konzern nicht | |
gehört worden war. Außerdem sei die Abschaltung von Biblis „materiell | |
rechtswidrig“ gewesen: Das hessische Ministerium hatte sich auf Paragraf 19 | |
im Atomgesetz berufen, mit dem Anlagen stillgelegt werden können, wenn es | |
eine konkrete Gefahr für „Leben, Gesundheit oder Sachgüter“ gibt. Frei | |
formuliert: Das Gericht hat entscheiden, dass diese Gefahr nicht gegeben | |
sei, wenn in Japan ein Tsunami anrollt. | |
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Revision abgelehnt, was bedeutet, | |
dass die AKW-Betreiber nun zivilrechtlich Millionen Euro Schadenersatz | |
einfordern – allein RWE will 235 Millionen für Biblis. Wer hat nun den | |
Schlamassel zu verantworten, dass im März 2015 keine juristisch wasserfeste | |
Regelung getroffen worden ist? | |
Merkels Verteidigungslinie vor dem Ausschuss ist klar: Immer wieder sagt | |
sie, ihr sei es nur um Sicherheit gegangen, die Entscheidung zum | |
AKW-Moratorium sei mit den Ländern gemeinsam getroffen worden. Eine | |
politische Entscheidung, betont sie immer wieder, keine juristische. Das | |
Bundesumweltministerium hat die Länder quasi nur auf die Idee gebracht, | |
Paragraf 19 des Atomgesetzes heranzuziehen, um die Abschaltungen zu | |
begründen. Formal war dann jedes Land für sich zuständig, weil es keine | |
Weisung des Bundes gab, die Kraftwerke abzustellen – was theoretisch | |
möglich gewesen wäre. | |
Fraglich ist, ob bei dieser Hau-ruck-Aktion tatsächlich niemand daran | |
gedacht hat, dass die AKW-Betreiber auf Schadenersatz klagen könnten. Denn | |
natürlich hätte die Abschaltung per Gesetz geregelt werden können. Das aber | |
hätte länger gedauert – und in Baden-Württemberg standen Landtagswahlen an. | |
Die Vermutung der Linken-Fraktionsvorsitzenden im hessischen Landtag, | |
Janine Wissler, lautet deshalb: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mögliche | |
Schadenersatzklagen bewusst in Kauf genommen, um mit Blick auf die | |
Landtagswahlen ihren Atomkurs schnell zu korrigieren. Merkels Antwort auf | |
die Frage, ob dem so war: „Nein“. | |
6 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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