# taz.de -- Drogenpolitik in Berlin: Da glimmt kein Gras mehr | |
> Ab 31. März wird der Görlitzer Park zur Null-Toleranz-Zone. Damit schafft | |
> die CDU mitten in Kreuzberg einen Testraum für konservative | |
> Drogenpolitik. | |
Bild: Darf im Görli nicht wachsen und auch nicht konsumiert werden. | |
Es war das bestgehütete Geheimnis der Stadt. Am 31. März wird aus dem | |
Görlitzer Park in Kreuzberg eine Null-Toleranz-Zone für Cannabis. Jeder | |
Krümel Haschisch wird dort dann verfolgt. Aber wie soll das gehen? Werden | |
Verbotsschilder aufgestellt? Werden alsbald Hunderte von Kiffern in | |
Handschellen abgeführt? Oder wird es doch wieder nur die üblichen | |
Verdächtigen treffen – Menschen mit schwarzer Hautfarbe? | |
In Berlin gilt: Der Besitz von Cannabis ist strafbar, aber bei Mengen von | |
bis zu 15 Gramm für den Eigenverbrauch stellt die Staatsanwaltschaft das | |
Verfahren in der Regel ein. Nun haben die CDU-Senatoren Frank Henkel | |
(Inneres) und Thomas Heilmann (Justiz) eine neue Verordnung zum Paragraphen | |
31a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) erlassen. | |
Künftig können Grün- und Erholungsanlagen in Berlin vom Polizeipräsidenten | |
und Generalstaatsanwalt zur Null-Toleranz-Zone erklärt werden, wenn das | |
Leben dort durch Drogenhandel erheblich beeinträchtigt wird. Als erstes ist | |
der Görlitzer Park dran. | |
Die Sonne scheint. Menschen liegen auf der Wiese, reden und lachen. Mütter | |
schieben Kinderwägen. Ein Flaschensammler macht die Runde. Der Görlitzer | |
Park erwacht aus seiner Winterdepression: Rodungsmaßnahmen und | |
Polizeikontrollen hatten der 14 Hektar großen Grünanlage im Herzen von | |
Kreuzberg in den letzten Monaten schwer zugesetzt. Und das alles wegen der | |
Drogenhändler. Politik und Polizei hätten viel eher reagieren müssen, sagen | |
Anwohner. Viel zu lange sei zugesehen worden, wie der Konkurrenzdruck unter | |
den Dealer wuchs, sie sich gegenseitig bekriegten, Passanten bedrängten. | |
## Noch härter durchgreifen | |
Der Justizsenator nennt die geplante Null-Toleranz-Zone im Görlitzer Park | |
„eine Experimentierzone, aus der wir lernen wollen“. Er glaubt, dass wenn | |
Cannabis schwerer zugänglich ist, der Konsum abnimmt. Auch an den | |
Oberschulen will er noch härter durchgreifen. Dabei gilt der | |
Kiffer-Freifahrtschein schon jetzt nicht vor und in Schulen, Kindergärten, | |
Jugendheimen, auf Spielplätzen. | |
Der Kinderbauernhof im Görli hat einen neuen Praktikanten. Ein junger Mann | |
aus Uganda. Als dieser sich vorstellte, waren die Kinder geschockt, erzählt | |
eine Bäuerin. „Was macht denn der Dealer hier auf dem Hof?“, fragten die | |
Kids. Eine Umfrage des Bauernhofs letztes Jahr hatte ergeben, dass viele | |
Kinder glauben, alle Schwarzen sind Dealer. | |
Und nun wird der Park zur Null-Toleranz-Zone. Das muss man sich mal vor | |
Augen führen: In einer Zeit, in der immer mehr Staaten in den USA Cannabis | |
legalisieren, die Grünen dazu einen Gesetzesentwurf in den Bundestag | |
einbringen, und selbst Teile der Berliner SPD verhalten eine | |
Entkriminalisierung fordern, drückt die CDU in der Regierungskoalition ihre | |
ewig gestrigen Vorstellungen von Law and Order durch. Ausgerechnet im | |
liberalen Berlin, wo der Konsum von Marihuana längst zum Alltag gehört. Der | |
Vorstoß der Konservativen ist eine Kampfansage, die Kifferszene reagiert | |
prompt. Im Internet ruft sie für den 1. April zum [1][großen | |
Solidaritäts-Kiff-in] im Görlitzer Park auf. „Take back the Park“ – | |
„Leagalize Görli“ lauten die Parolen. | |
Kritik kommt auch aus Fachkreisen. Die modifizierte Verordnung zum §31a | |
BtMG sei unausgegoren und ohne ausreichende Rückkoppelung erfolgt, sagen | |
Mitarbeiter von Drogenprojekten. Nicht einmal Polizei, Staatsanwaltschaft | |
und Gerichte waren einbezogen worden, als Henkel und Heilmann ihr Baby im | |
Januar der Presse präsentierten. Dabei sind es diese Behörden, die das | |
Vorhaben umsetzen müssen. | |
## Akademisches Reagenzglas | |
Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, spricht | |
von einer rein politischen Entscheidung. „Im akademischen Reagenzglas mag | |
das funktionieren. Aber auf der Straße?“ Knispel hat Bedenken. Er ist nicht | |
der einzige. Auch die Leiter der Staatsanwaltschaften und | |
Gerichtspräsidenten halten wenig von den Plänen des Justizsenators. Man | |
würde die Kapazitäten lieber sinnvoller einsetzen. | |
Die Toleranzregelung für Cannabisbesitz beruht auf der Rechtssprechung des | |
Bundesverfassungsgerichts. Mit 15 Gramm für den Eigenbedarf ist die | |
Freigrenze in Berlin höher als in anderen Bundesländern. | |
Die Regelung entlastet Polizei und Justiz von vielen Kleinverfahren, | |
Haschischkonsumenten werden nicht kriminalisiert. | |
Rund 15.000 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind | |
bei der Staatsanwaltschaft pro Jahr anhängig. Dabei geht es um alles: | |
Crystal Meth, Kokain, Heroin, Amphetamine, Cannabis. 5.000 Verfahren, also | |
ein Drittel der Verfahren, wird derzeit mit Blick auf die | |
Eigenbedarfsregelung eingestellt. Das sind die sogenannten | |
Cannabis-Kleinstmengenverfahren. | |
Konkret sieht das so aus: Die Polizei leitet immer Ermittlungsverfahren | |
ein, wenn sie Personen mit geringen Mengen Cannabis erwischt. Diese werden | |
aber von der Staatsanwaltschaft in der Regel mit Blick auf die 15 Gramm | |
Eigenbedarfsrichtlinie §31a BtMG eingestellt. | |
In Zukunft werden alle Verfahren gegen Konsumenten, die in einer | |
Null-Toleranz-Zone auffallen, bis zur bitteren Konsequenz zu Ende geführt. | |
Das bedeutet für die Staatsanwaltschaft eine deutliche Zunahme an | |
Verfahren: Je mehr Kontrollen die Polizei im Rauschgiftbereich durchführt, | |
umso mehr Delikte kommen zu Tage. | |
Was genau ändert sich? Bisher erstattete die Polizei nur Strafanzeige gegen | |
Konsumenten. In Zukunft muss sie auch Beschuldigtenvernehmungen | |
durchführen. Und: Die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle (KTU) muss | |
fortan jedes Tütchen Cannabis, das in der Sonderzone beschlagnahmt wurde, | |
auf seinen Wirkstoffgehalt untersuchen. Bisher wurde das Gras einfach | |
entsorgt. Bereits jetzt, ohne die Kleinstmengenverfahren, hat die KTU alle | |
Hände voll zu tun. Schon jetzt dauert es Monate, bis ein | |
Untersuchungsergebnis vorliegt. | |
Ohne Befund kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Konsumenten | |
aber nicht abschließen – also einen Strafbefehl beantragen oder Anklage | |
erheben. Dem Konsumenten wiederum steht bis zum rechtskräftigen Abschluss | |
seines Verfahrens ein Auskunftsverweigerungsrecht zu. Die Folge: Die | |
Staatsanwaltschaft verliert dadurch Zeugen und hat damit ein Beweismittel | |
weniger, um potenzielle Drogenhändler zu überführen. | |
Die aktuelle Entwicklung in Kreuzberg zeigt: Es bedarf keiner | |
Null-Toleranz-Zone, um mutmaßliche Drogenhändler aus dem Verkehr zu ziehen. | |
Seit November 2014 – als die sogenannten Brennpunktstreifen und eine | |
Sonderermittlungsgruppe eingeführt wurden – sind 55 Haftbefehle erlassen | |
worden. Das ist eine deutliche Steigerung im Vergleich zu früher. | |
## Keine Verbotsschilder | |
Man muss schon ein bisschen Fantasie aufbringen, um sich auszumalen, wie | |
die Null-Toleranz-Zone funktionieren soll. Gilt dann auf der einen | |
Straßenseite die Null-Maxime und auf der anderen die 15-Gramm-Regel? Monika | |
Herrmann, grüne Bürgermeisterin des Bezirks, hat den Innensenator deshalb | |
im Februar angeschrieben. Antwort hat sie nicht bekommen. Auch eine | |
Presseerklärung, die Heilmann und Henkel am Freitag verschickten, gibt | |
keinen Aufschluss. Auf Nachfrage sagt Heilmann: Ziel sei es den | |
Kreuzbergern ihren Park zurückzugeben. Wie das funktioniere, werde man | |
sehen. Verbotsschilder will er nicht aufstellen, die Null-Toleranz-Zone | |
werde sich schon herumsprechen. Irgendwann werde das auch in den | |
Reiseführern stehen, so Heilmanns Hoffnung. | |
Auf einer Bürgerversammlung haben Anwohner Vorschläge gemacht, wie das | |
Leben im Park wieder zu einem sozialen Miteinander werden könnte – ohne | |
Polizei und ohne Null-Toleranz-Zone: Bezahlte Parkwächter und | |
Sozialarbeiter könnten eine Lösung sein. | |
Fragt man die Afrikaner im Park lautet die Antwort: „Gebt uns eine | |
Arbeitserlaubnis.“ Die Polizeikontrollen empfinden sie als rassistisch. | |
„Its getting worse and worse“, klagt ein Mann. Alle würden von der Polizei | |
gejagt, dabei sei der Park für sie ein Treffpunkt, nicht jeder handle mit | |
Drogen, sagt ein Mann mit Rastalocken. Lachend erzählt er, wie er selbst zu | |
einer Aufenthaltserlaubnis gekommen ist. „Die einzige Chance zu bleiben, | |
ist, man trifft eine deutsche Frau.“ | |
Dass der Görlitzer Park Null-Toleranz-Zone wird, hören die Männer heute zum | |
ersten Mal. Man muss ihnen erklären, was das bedeutet. Spontan fragt einer: | |
„Auch Hasenheide?“ Er klingt besorgt. | |
Noch an seinem Probearbeitstag auf dem Kinderbauernhof hat der Praktikant | |
aus Uganda die Herzen der Kinder beim Fußball erobert. Am 1. Mai fängt er | |
richtig an. Im Team fragt man sich nun, ob es nicht besser wäre die Polizei | |
zu informieren. „Sonst denken die bei der nächsten Razzia, ein Dealer hat | |
sich auf unserem Hof versteckt.“ | |
30 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/events/350961028445960/ | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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