# taz.de -- Debatte Grüne Familienpolitik: Zeit ist das neue Glück | |
> Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt schlägt vor, früher mehr zu | |
> arbeiten, um sich später um die Kinder zu kümmern. Wie realistisch ist | |
> das? | |
Bild: Wenn Eltern gestresst sind, werden auch die Kinder unruhig. | |
„Holst du heute die Kinder aus der Kita ab?“ „Klar, hab ja noch ein dickes | |
Arbeitszeitkonto.“ „Meins ist schon mächtig geschmolzen, die | |
Kinderbetreuung frisst ganz schön viel Zeit.“ „Dafür hast du zwischendurch | |
diese super Reise gemacht.“ „Und du warst bei einer langen Weiterbildung.“ | |
Quatsch? Quatsch. Obwohl sich die Grünen das so oder ähnlich vorstellen mit | |
einer entschleunigten Familienphase der sogenannten gestressten Generation, | |
jener Frauen und Männer zwischen 30 und 50, die Job, Kinder und | |
pflegebedürftige Eltern unter einen Hut kriegen müssen. Zumindest hat | |
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kürzlich das Modell eines | |
„Zeitkontos“ angepriesen: In den ersten Berufsjahren sollen die jungen | |
Menschen mehr arbeiten und diese Stunden auf einem Zeitkonto ansammeln, um | |
sie später wieder abzubummeln. Wenn Kinder da sind oder um die Eltern zu | |
pflegen. | |
Die Idee, Eltern zu entlasten, ist goldrichtig. Geld – beispielsweise in | |
Form von Kinder- und Elterngeld – ist nicht alles. Vielmehr brauchen | |
Familien heute Zeit. Das zeigen alle Umfragen unter Müttern und Vätern, und | |
das wird von Eltern goutiert. Sowohl von Besserverdienenden und erst recht | |
von denen mit den prekären Jobs. Glück und Qualität einer Familie hängen | |
maßgeblich davon ab, wie viel Zeit alle Familienmitglieder mit- und | |
füreinander haben. | |
Das hatte auch schon Exfamilienministerin Kristina Schröder erkannt. Sie | |
fand dafür ein schönes Bild: „Zeit ist die neue Währung.“ Leider hat sich | |
die CDU-Politikerin nie ernsthaft die Mühe gemacht, das in die Realität zu | |
übertragen. Das wollen jetzt verstärkt die Grünen tun und debattieren | |
mehrere Modelle. Doch die meisten der Vorschläge halten einem | |
Realitätscheck nicht stand. | |
## Zwei, drei, vier? | |
Beispielsweise Göring-Eckardts Zeitkonto. Das gilt selbst bei den Grünen | |
nicht als der heißeste Scheiß. Aber der Vorschlag ist nun mal in der Welt, | |
also sollte er debattiert werden. Doch schon der erste Blick zeigt, dass | |
ein Zeitkonto kaum funktionieren wird. | |
Ab wann und wie lange sollen junge Berufstätige denn ihre Arbeitskonten | |
auffüllen? Sie müssten über viele Jahre hinweg jeden Tag über ihre | |
gewöhnliche Arbeitszeit hinaus länger arbeiten, um irgendwann in der | |
Zukunft eine Auszeit nehmen zu können. Wie viele Stunden täglich sollen es | |
denn sein? Zwei, drei, vier? Wie lange soll man das durchhalten? Welcher | |
Partner, welche Partnerin macht diesen Wahnsinn mit? Und: Wann sollen die | |
Paare denn die Kinder machen, deretwegen sie ja so viel vorarbeiten? | |
Und dann sind da auch noch die Arbeitgeber. Welcher Chef stellt schon | |
jemanden neu ein, der am ersten Arbeitstag sagt: „Ich bin dann mal weg.“ | |
Was, wenn ein Unternehmen Zeitkonten führt, das andere aber nicht?Und wer | |
zahlt, wenn ein Unternehmen pleitegeht? Alles ungeklärte Fragen. | |
## Müllmann geht leer aus | |
Ohnehin könnten sich ein Zeitkonto – selbst bei wohlwollender Betrachtung – | |
nur Angestellte mit einem guten Einkommen leisten, die jetzt schon weniger | |
als 40 Stunden arbeiten. Wer bereits am zeitlichen Limit schuftet wie | |
prekär Beschäftigte und jene mit zwei und mehr Jobs, braucht über diese | |
Idee gar nicht erst nachzudenken. Mehr arbeiten geht schlicht nicht. Und | |
wie sollten der Müllmann und die Lidl-Verkäuferin ihre Auszeit bezahlen, | |
wenn sie jetzt schon kaum über die Runden kommen? | |
Göring-Eckardt hat eine Idee: Das soll der Staat übernehmen. Man ahnt, dass | |
sich Wolfgang Schäuble nicht einmal die Mühe machen muss, um diesen | |
Vorschläge abzumoderieren. Vermutlich wird er über ihn lachen, weil er | |
weltfremd ist. Nun könnte man mitlachen und hämische Kommentare schreiben. | |
Aber dafür ist die Vereinbarkeitsfrage viel zu brisant. | |
Realistischer ist da schon der SPD-Vorschlag der sogenannten | |
Familienarbeitszeit, die Familienministerin Manuela Schwesig gern als | |
„gesellschaftliches Großthema“ bezeichnet: Mütter sollen mehr, Väter | |
weniger arbeiten – jeder Elternteil etwa 32 Stunden in der Woche. Klingt | |
nicht abwegig, denn bislang verbringen Väter in der Regel deutlich mehr | |
Zeit im Büro, während Mütter häufig in Teilzeit oder in Minijobs | |
festhängen. | |
Doch wie kriegt man die Männer dazu, freiwillig auf Arbeitsstunden zu | |
verzichten? Schließlich geht mit dem Stundenverzicht ein Einkommensverlust | |
einher. Ganz einfach, sagt die SPD: Man gibt den Männern Geld dafür. Stellt | |
sich auch hier die Frage: Woher soll das Geld kommen? Die SPD findet: von | |
der Gemeinschaft. Die Union hat erwartungsgemäß abgewunken und | |
Regierungssprecher Steffen Seibert Schwesigs Vorschlag als „persönlichen | |
Debattenbeitrag“ abgetan. | |
## Karriere auch noch später | |
Doch ganz so abwegig ist der 32-Stunden-Vorschlag für beide Elternteile | |
nicht. Und weil das mit dem finanziellen Zuschlag von der Gemeinschaft dem | |
Koalitionspartner und auch generell schwer zu vermitteln ist, diskutiert | |
die SPD jetzt nicht nur über ein weiteres Zeitmodell, bei dem die | |
Stundenzahl variieren soll. Sondern laut Frankfurter Allgemeine | |
Sonntagszeitung auch über ein neues Steuerkonzept, das Familien entlasten | |
soll. Wie das konkret aussehen könnte, ist unklar. Die liebste SPD-Antwort | |
auf Fragen zur Familienpolitik lautet derzeit ohnehin: „Rechnen wir gerade | |
durch.“ | |
Vielleicht sollten die FamilienpolitikerInnen der Parteien öfter mal bei | |
FamilienexpertInnen außerhalb der Politik nachfragen, was Eltern brauchen | |
und was realistisch und finanzierbar ist. So plädieren Elternverbände seit | |
langem dafür, den Berufsalltag so zu organisieren, dass nicht bis zum 35. | |
Lebensjahr alles geschafft sein muss: Traumjob, Chefposten, der Sack voller | |
Kinder. So wie das Manager gern predigen. | |
Gerade erst zitierte das Handelsblatt eine Karriereberaterin mit den | |
Worten: „Wer mit 35 Jahren noch Projektleiter ist, bringt es wahrscheinlich | |
nicht mehr zum Vorstandschef.“ Solche „Ratschläge“ zementieren einerseits | |
Geschlechterstereotype – Mann macht Karriere, Frau kriegt Kinder. | |
Andererseits lassen sie keinen Spielraum für eine berufliche Entwicklung | |
während und nach der Elternphase. Das (Arbeits-)Leben nach den Kindern geht | |
nämlich noch eine ganze Weile weiter. | |
4 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
## TAGS | |
Familienarbeitszeit | |
Familienministerin | |
Manuela Schwesig | |
Katrin Göring-Eckardt | |
Familienpolitik | |
Grüne | |
Katrin Göring-Eckardt | |
BGH | |
Verdi | |
Länder | |
Save the children | |
Familie | |
Familie | |
Familie | |
Herdprämie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Politologin über Familienarbeitszeit: „Die Idee ist ein wenig lebensfern“ | |
Die Grünen wollen Eltern mit einem Kontomodell mehr Zeit mit ihren Kindern | |
ermöglichen. Nichts für Geringverdiener, sagt Barbara König. | |
Dämpfer für Zigarettenwerbung: Ökologisch Rauchen verboten | |
Obwohl sie die Kriterien der EU-Öko-Verordnung erfüllt, darf die | |
Zigaretten-Marke „Natural American Spirit“ damit nicht werben. Das klinge | |
zu gesund. | |
Bundesweiter Kita-Streik: Was ist soziale Arbeit wert? | |
Im Kita-Tarifstreit kommt es nun zu unbefristeten Streiks von Erziehern. | |
Familienministerin Manuela Schwesig fordert eine Debatte über gerechte | |
Entlohnung. | |
Kita-Streik ab Freitag: Am Ende vielleicht nur Verlierer | |
Die ErzieherInnen wollen mehr Geld, doch die kommunalen Arbeitgeber sind | |
blank und sagen nein. Beide haben gute Gründe für ihre Forderungen. | |
Lebensbedingungen von Müttern: „Enorme Kluft zwischen den Ländern“ | |
Norwegen ist das beste Land für Mütter, Somalia das schlechteste. | |
Deutschland ist unter den Top Ten. Eine neue Studie zeigt die großen | |
globalen Unterschiede auf. | |
Behörden wollen sozialer werden: Relaxter im Ministerium | |
Der Kanzleramtschef radelt ins Büro, Ökostrom gibt es bald auch im | |
Verteidigungsministerium. Die Bundesbehörden wollen sozialer und grüner | |
werden. | |
Aktive Großeltern: Von wegen alt und grau | |
Sie sind aktiver und geistig jünger: Das Netz ist voll mit Tipps für den | |
Umgang mit Enkeln. Ein Besuch bei einer Frau, die nicht wie eine Oma wirkt. | |
Babyboom bei den Grünen im Bundestag: „Eine großartige Herausforderung“ | |
Angesichts von 11 Kindern in der Fraktion denkt Katrin Göring-Eckardt über | |
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach. Ihre Ideen: Zeitkonten und | |
Sabatical. | |
Klage gegen Betreuungsgeld: Schwesig gegen Schwesig | |
In dieser Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die | |
Herdprämie. Das Familienministerium ist der Beklagte. |