# taz.de -- Aktive Großeltern: Von wegen alt und grau | |
> Sie sind aktiver und geistig jünger: Das Netz ist voll mit Tipps für den | |
> Umgang mit Enkeln. Ein Besuch bei einer Frau, die nicht wie eine Oma | |
> wirkt. | |
Bild: Wegen ihres Enkelkindes ist Ute Heinze von Rostock nach Güstrow gezogen | |
GÜSTROW taz | Als Ute Heinze hörte, dass ihr Sohn Vater wird, dachte sie: | |
„Oh, ich werde Oma, wie schön.“ Sie dachte aber auch: „Oma, wie das klin… | |
so alt und grau.“ Irgendwie nach ausgedient. Damals war Ute Heinze 47 Jahre | |
alt. Jetzt ist sie 50, ihr Enkel fast zwei Jahre alt, und die Gedanken an | |
Alter und Grau sind wie weggewischt. | |
Ute Heinze, die Ausländer unterrichtet, die Deutsch lernen wollen, ist das, | |
was man eine aktive Großmutter nennt. Sie holt den Jungen von der Kita ab, | |
geht mit ihm spazieren und Enten füttern, auf den Spielplatz und in die | |
Eisdiele. Seinetwegen ist sie vor gut zwei Monaten von Rostock nach | |
Güstrow, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern, gezogen. | |
„Wenn ich mit meinem Enkel zusammen bin, ist es ein wenig wie früher, als | |
ich mich um meinen Sohn gekümmert habe“, sagt Heinze. „Nur dass ich jetzt | |
nach Hause gehen kann, wenn ich will. Weil ich meinen Enkel nach einer | |
bestimmten Zeit abgeben kann.“ | |
Das ist nicht anders als in den Großelterngenerationen zuvor. Auch früher | |
haben Omas und Opas schon auf die Kinder ihrer Kinder aufgepasst, haben mit | |
ihnen gespielt und sie betreut, wenn die Eltern selbst nicht konnten. Doch | |
die Großeltern der Gegenwart sind anders als die der Vergangenheit. Sie | |
sind aktiver, flexibler, gelassener. Jünger im gesamten Habitus. | |
## Keine Oma-Attitüde | |
Das beginnt schon bei Fragen der Erziehung. Ute Heinze, die neben dem Sohn | |
noch zwei erwachsene Töchter hat, würde sich nie in die Erziehung | |
einmischen. | |
„Das ist deren Sache“, sagt Ute Heinze: „Sie sind schließlich die Eltern… | |
Ihre eigenen Eltern hingegen haben, als Heinze selbst Mutter wurde, mit | |
Ratschlägen nicht gespart: Mach das so, mach mal das. Da fehlte weder das | |
berühmte „Kinder kann man auch mal schreien lassen, das stärkt die Stimme“ | |
noch das „Pass auf, dass du die Kinder nicht so verwöhnst“. Und dann immer | |
dieser Satz: „Das haben wir früher immer so gemacht.“ | |
„Ich halte mich mit Ratschlägen bewusst zurück“, sagt Heinze. Ihre | |
Schwiegertochter wäre irritiert, käme die Großmutter plötzlich mit | |
Allerweltsweisheiten und Oma-Attitüden daher. „Ich bin froh, dass Ute nicht | |
besserwisserisch mit unserem Sohn umgeht und Vertrauen in unsere Erziehung | |
hat“, sagt die junge Frau. | |
Agile Großeltern sind im Kommen. Das Netz ist voll mit Ratschlägen für den | |
lockeren Umgang mit den Enkeln. Es gibt Spiele- und Reisetipps, | |
Geschenkideen, Erlebnisberichte. Im vergangenen Jahr war unter den Top Ten | |
der besten Seniorenwebseiten Großeltern.de, eine Plattform, die von einem | |
Juristen und einem „Seniorenexperten“ gemacht wird. | |
## Breites gesellschaftliches Phänomen | |
Aktive Großeltern fliegen mit ihren Enkeln nach Fuerteventura an den Strand | |
und nach Schweden, um Pippi Langstrumpf zu suchen. Sie gehen mit ihnen ins | |
Kino und ins Kindertheater. Sie lesen ihnen Bücher vor und reden mit ihnen | |
über die Welt. Zwischen den meisten Großeltern und Enkeln herrscht heute | |
eine große Nähe – ähnlich stark wie zwischen den Großeltern und ihren | |
eigenen Kindern. | |
Das gab es früher zwar auch, aber als breites gesellschaftliches Phänomen | |
ist das neu. Familienforscher machen eine Art neuen Frieden zwischen den | |
Generationen aus. Der Berliner Soziologe Heinz Bude erkennt darin auch eine | |
Angst der Älteren vor Einsamkeit. „Die einzig unkündbaren Beziehungen, die | |
es heute gibt, sind die zwischen Eltern und Kindern“, sagte er jüngst in | |
der Zeit. | |
Denkt Ute Heinze an ihre eigenen Geschichte zurück, kann sie sich nicht an | |
eine solch große Nähe erinnern. „Da ist eine andere emotionale Bindung“, | |
sagt sie. Natürlich haben ihre Eltern nicht weniger geliebt und gelitten, | |
sagt Ute Heinze: „Aber sie haben nie gelernt, ihre Gefühle zu zeigen oder | |
zu artikulieren.“ | |
Die früheren Eltern- und Großelterngenerationen konnten sich | |
überschwängliche Gefühle nicht leisten, sie hatten zu funktionieren, wenn | |
sie überleben wollten. Der Krieg und die Nachkriegszeit sorgten dafür, dass | |
Frauen und Männer schneller alterten. Die heutige Großelterngeneration ist | |
körperlich fit, geistig rege, mobil und agil. Die jungen Alten kümmern sich | |
mehr denn je um sich selbst. | |
Ute Heinze macht Yoga und Entspannungsübungen, fährt Rad, geht schwimmen | |
und pflanzt ihr eigenes Gemüse an. Die meisten Großmütter und Großväter | |
arbeiten heute noch und würden das auch nicht aufgeben. Und doch gehört ihr | |
Enkelsohn mittlerweile zu ihrem Alltag, sagt Ute Heinze. „Er ist aus meinem | |
Leben nicht mehr wegzudenken“, sagt sie. Eine klassische Win-win-Situation: | |
Die junge Familie wird entlastet und die Großmutter bleibt automatisch | |
jünger und flexibler. | |
Die jetzigen 50-Jährigen sind so, wie früher die 40-Jährigen waren. Und die | |
sind dynamischer und nicht so festgefahren wie die einstigen Generationen, | |
glaubt Heinze. Wenn ihr Enkel bei ihr zu Hause die Schränke ausräumt, dann | |
lässt sie ihn gewähren. Kann man ja wieder einräumen. Wenn ihre Kinder | |
früher bei ihren Eltern in den Schränken kramten, wurden Oma und Opa schon | |
mal ungeduldig und sauer. Ihre Ordnung durcheinanderbringen, das ging gar | |
nicht. | |
## Nicht „altersgerecht“ | |
Ute Heinze probiert ständig neue Dinge aus. Momentan ist sie auf der Suche | |
nach einem Musiklehrer, um sich endlich den Traum zu erfüllen. Sie will | |
Akkordeon spielen. | |
Wenn sie Wörter wie „alt“ oder „altersgerecht“ hört, winkt sie ab. �… | |
fühle mich nicht so“, sagt sie. Sie schläft schon mal mit Freunden im Auto, | |
irgendwo auf dem Feld, mitten in der Pampa, weil sie während einer Reise | |
dort gerade gestrandet sind. | |
Ute Heinze wohnt nur wenige Fußminuten von ihrem Enkelsohn entfernt. Als | |
sie nach Güstrow zog, musste sie nicht lange nach einer Wohnung suchen. Sie | |
hätte auch in das Haus einziehen können, in dem ihr Sohn und seine Familie | |
leben. „Aber das wollte ich nicht, das wäre dann doch zu viel Nähe | |
gewesen“, sagt sie. | |
Mehrgenerationenwohnen mag für manche großartig sein. Für die aktive | |
Großmutter Ute Heinze kommt das nicht infrage. Sie will trotz allem | |
unabhängig sein. | |
25 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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