# taz.de -- Kampf gegen Industriefischerei im Pazifik: Nie wieder blutende Meere | |
> Große ausländische Fischfangschiffe räubern das Meer. Die Bewohner der | |
> Südseeinsel Palau wollen das nicht länger dulden. | |
Bild: Palau hat seine Gewässer bereits 2009 zum Haischutzgebiet erklärt. Aber… | |
KOROR taz | Als Dearmot Keane nach Palau kam, ging es blutig zu, hässlich | |
und stinkend. „Der Hafen war ein Schlachthaus“, sagt er. An diesem Abend | |
ist davon nichts mehr zu spüren. Die Sonne ist fast untergegangen, über den | |
Schiffen im kleinen Hafenbecken von Koror, der Hauptstadt des Inselstaats | |
Palau, liegt nur schwärzer werdende salzige Luft. Keane, Mitte fünfzig, | |
lehnt an der Theke im Hafenrestaurant, in seinen Lederslippern, beiger Hose | |
zu hochgeschlagenem Polokragen, ein Yachtskipper. | |
„Die Fischfänger hatten ihre Zeit. Jetzt ist sie abgelaufen“, sagt er, wie | |
der Meeresgott, der gekommen ist, um Rache zu nehmen an allen, die sich an | |
seinem Reich vergehen. Tatsächlich könnte Keane am Ende seiner Tage mehr | |
Wassergetier gerettet haben als der berühmte Walschützer Paul Watson. | |
Vor zwanzig Jahren verschlug es den Iren Keane nach Palau. Er sah die | |
Südsee und wollte nie mehr weg. „Das Paradies“, sagt er. Doch im Hafen von | |
Koror landeten damals taiwanesische Trawler an. Sie fingen Thunfisch – und | |
Haie. Den Haien schnitten sie bei lebendigem Leib die Flossen ab, die | |
Körper warfen sie zurück ins Wasser. Nicht nur auf hoher See, auch im | |
Hafen. Die Kadaver mischten sich mit dem Blut, das die Fischer vom Deck | |
schrubbten, während ihre Thunfische und die Haiflossen gefroren und | |
umgeladen wurden. | |
## Fang-Armadas, groß wie Marinevrbände | |
Der Umschlagplatz lag direkt neben der Tauchbasis, in der Keane als Lehrer | |
angeheuert hatte. Er machte Fotos von den Haikadavern; zehn Jahre zeigte er | |
sie herum. 2009 hatte er Palaus Präsidenten so weit: Der Zwergstaat | |
erklärte seine Gewässer, ein Gebiet vom Ausmaß Frankreichs, zum | |
Hai-Schutzgebiet. Es war das weltweit erste dieser Dimension. | |
Dann wollte Keane mehr: das Verbot von Fischfang überhaupt. | |
Er setzt sich an den Tisch, bestellt Eistee und Tofu, empfiehlt aber den | |
Thunfisch; hier sei das okay, „der Wirt fängt von Hand, nur für den | |
Eigenbedarf“. Die, die Keane vertreiben will, haben Fang-Armadas, groß wie | |
Marineverbände. Auf ihren Schiffen befinden sich Helikopter, die den | |
Fischen nachspüren, die Flotten dirigieren, bis deren kilometerlange | |
Fangleinen mitten durch die Schwärme gleiten. „Die Thunfische haben keine | |
Chance“, sagt Keane. Und nicht nur sie: die kleinen Inselstaaten nicht, ja | |
die Ozeane insgesamt nicht. | |
Sie seien der Gier und der technologischen Übermacht der Industriefischer | |
ausgeliefert. „Sie lügen, stehlen und betrügen. Sie fischen alles leer, so | |
schnell sie können“, sagt Keane. „Der Pazifik ist groß, aber so groß auch | |
wieder nicht.“ | |
## Auf Augenhöhe mit den Staatschefs der Welt | |
Inzwischen ist Keane Berater von Palaus Präsidenten Tommy Remengesau. Genau | |
ein Jahr vor diesem Abend hat dieser vor der UN in New York angekündigt, | |
jede Form der Fischerei für den Export zu verbieten. „Wir haben keine Wahl. | |
Der Ozean ist unser Erbe, unsere Kultur, unser Leben“, sagte Remengesau | |
damals. Dass er überhaupt in New York gesprochen hat, ist schon eine der | |
vielen Kuriositäten Palaus: Der Vertreter eines Volks von 11.000 Menschen | |
auf Augenhöhe mit den Staatschefs der Welt. Vielleicht trieb Remengesau der | |
Wunsch, gesehen, geachtet zu werden. | |
Der Zwergstaat am Rand des Pazifiks, von dem die wenigsten wissen, dass es | |
ihn überhaupt gibt: Ein Land, das sonst nichts hat, verzichtet auf seinen | |
Reichtum aus dem Wasser, während der Rest der Welt die Ozeane plündert. | |
Palau hat die Fläche Bremens, aufgeteilt in absurde 16 Bundesstaaten. | |
11.000 Autochthone und 9.000 Ausländer leben hier. Seit 21 Jahren ist Palau | |
unabhängig, vorher war es Kolonie Spaniens, Deutschlands, Japans, der USA. | |
Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg rosten hier vor sich hin, die | |
mikronesische Kultur ist fast verschüttet auf diesen mit tiefgrünen Büschen | |
bedeckten Felsen über einer türkisen Untiefe des Ozeans. | |
## Ein Riff so bunt als sei das Wasser mit LSD gesättigt | |
Strände gibt es keine; was die Menschen hierher treibt, liegt im Meer: Wer | |
seinen Kopf hineinhält, dem leuchtet das Riff entgegen, so bunt, als seien | |
im Wasser nicht Kalk und Salz gelöst, sondern LSD. Palau gilt als einer der | |
besten Tauchplätze und einer der reichsten Fischgründe der Welt. | |
Und der steht jedem, der unverfroren genug ist, zur Plünderung offen: Im | |
Scheitelpunkt des Hafenbeckens ist eine Art Carport, es ist die Basis der | |
Küstenwache. Ihr einziges Schiff dümpelt im Wasser: die „H. I. Remeliik“, | |
eine Leihgabe Australiens. Bis zum Rand von Palaus Gewässern braucht es 20 | |
Stunden. Piraten haben leichtes Spiel. | |
Ihre Gegnerin ist Mitte dreißig, trägt Pferdeschwanz und kurze Hose. Sie | |
setzt durch, was Keane erstritten hat. Und anders als sonst hat sie heute | |
Erfolg. Bester Laune sitzt Jennifer Koskelin in ihrem Büro an der einzigen | |
Hauptstraße der Insel. Es liegt im ersten Stock über einem Supermarkt, die | |
Abluft der Klimaanlage aus dem Supermarkt verbreitet einen modrigen Geruch. | |
## Das winzige Land hat vermögende Freunde in den USA | |
Seit dem 21. Januar blicken einige der modernsten Satellitenkameras, die es | |
gibt, auf die palauischen Gewässer. Und jeden Morgen steht in Koskelins | |
E-Mails, was sie sehen. „Eyes on the Seas“ heißt das Projekt. Die | |
High-Tech-Überwachung wäre für Palau unbezahlbar, doch das kleine Land hat | |
Gönner: die amerikanische Pew-Stiftung und die Oceans Five, vermögende | |
Freunde der Weltmeere. | |
„Altes Geld“, sagt Koskelin, die von ihnen bezahlt wird. Genau genommen | |
handelt es sich um altes Öl-Geld. In der Pilotphase sucht „Eyes on the | |
Seas“ in den Gewässern von Palau und Teilen Chiles nach Raubfischern. | |
Solchen wie dem Trawler „Shin Jyi Chyuu“. | |
Koskelin, geboren in Paulau, studiert hat sie in den USA, zeigt Seekarten | |
aus ihrem Maileingang. Die in Washington sitzenden Satellitenbild-Analysten | |
haben den Kurs des taiwanesischen Kutters markiert. Es sieht aus wie der | |
missratene Versuch, ein Sternbild zu zeichnen. Die Besatzung hatte Hunderte | |
Haie gefangen. „Ein Traum, sie auf frischer Tat zu ertappen“, sagt | |
Koskelin. | |
## Die Regularien sind eine Farce | |
Drei Häuser neben ihrem Büro sind die Polizeistation und das Gefängnis, der | |
räuberischen Crew bleibt der Aufenthalt hier erspart: Sie hätten nicht | |
hineingepasst. Also stehen sie in einem Hotel unter Hausarrest, bis der | |
Reeder das in die Millionen gehende Bußgeld bezahlt. | |
Für Koskelin war die „Shin Jyi Chyuu“ nur der Testlauf. „Das totale | |
Fangverbot ist der einzige Weg“, sagt sie. Fischfangregularien sind in | |
Palau – wie in vielen armen Ländern – eine Farce. Alle betrügen, jeder we… | |
es. 35 Cent Gebühren müssen die Trawler je Pfund zahlen, nur wenige Arten | |
dürfen sie in begrenzter Menge fangen. Zur Kontrolle müssen sie die Ladung | |
im Hafen von Koror umschlagen. Tatsächlich ziehen sie aus dem Meer, was und | |
soviel sie wollen. „Die Chinesen dominieren den Fang und verstoßen gegen | |
alles“, sagt Koskelin. Große Schiffe nehmen die Ladungen auf hoher See auf | |
und bringen sie nach Asien. | |
Nur hin und wieder schlagen die Trawler mit den paar legal gefangenen | |
Thunfischen in Koror auf. „Aber bislang war es für uns fast unmöglich, das | |
nachzuweisen“, sagt Koskelin. „Es gibt fast keinen Fisch mehr. Wir selbst | |
essen heute fast nur noch importierten, gezüchteten Fisch aus Vietnam.“ | |
## Angriff auf die letzten Ressourcen des Meeres | |
Das ist weniger die Wahrheit als ein Vorgriff auf eine Wahrheit, die sich | |
einstellen wird, wenn nichts geschieht. „Brot für die Welt“ hat | |
ausgerechnet, dass der Fischverzehr in Deutschland für 2015 schon seit dem | |
6. April durch Einfuhren gedeckt werden muss – die Fänge der deutschen | |
Fischer sind aufgebraucht. Die Afrikanische Union spricht in ihrer | |
Entwicklungsagenda vom „blauen Jahrhundert“: Die Reichen und die Armen | |
blasen zum Angriff auf die letzten Ressourcen des Meeres, das am Ende | |
zurückbleiben könnte wie eine überflutete, tote Mondlandschaft. | |
Ein Prozent der Ozeane weltweit ist heute geschützt. Die Pew-Stiftung will, | |
dass es zehn Prozent werden. Der radikale Anti-Extraktivismus Palaus ist | |
ein Schritt dazu. Sobald das totale Fang-Moratorium gilt, ist jeder | |
Trawler, der von den Satellitenaugen mit ausgefahrenen Netzen fotografiert | |
wird, automatisch der Raubfischerei überführt. Doch nach wie vor ist Palaus | |
Küstenwache nicht im Stande, die Schiffe aufzuhalten. | |
Palau setzt auf ein internationales Abkommen der UN-Ernährungsorganisation | |
FAO, die Port State Measures: Wen Palau als Raubfischer meldet, den sollen | |
die Hafenmeister woanders an die Kette legen, bis die Strafe beglichen ist. | |
Ob das funktioniert, ist offen. Nur 2,5 Millionen Dollar Lizenzgebühren | |
nimmt Palau heute jährlich durch die Fischerei ein. „Wir verlieren fast | |
nichts“, sagt Koskelin. | |
## Am Fischfang haben nur sechs Familien verdient, heißt es | |
Was sie nicht sagt: Palau will Teil des so genannten Nauru-Abkommens | |
bleiben, mit dem acht Pazifikstaaten den Thun-Fang in ihren Gewässern | |
kollektiv regeln – und weiter Lizenzgebühren für Fische kassieren, die in | |
den Gewässern der übrigen Staaten gefangen werden. Die lehnen dies | |
allerdings entrüstet ab. Wenn Palau konsequent bleibe, sei der Vorstoß „ein | |
starkes Zeichen“, sagt der Fischereiexperte Francicso Marí von Brot für die | |
Welt. „Wenn man erlebt, wie in der EU um Fangquoten geschachert wird, ist | |
es schon erstaunlich, dass ein so armer Staat bereit ist, einen solchen | |
Schritt zu gehen.“ | |
Seinen Tofu hat Kean jetzt verspeist. Am Vortag hat sein Präsident den | |
Entwurf für das totale Fangverbot ins Parlament eingebracht. „Wir gewinnen | |
die Sache“, sagt Kean. Ausgemacht ist das noch nicht. Ein paar Monate wird | |
sich das Gesetzgebungsverfahren hinziehen. Laut Umfragen tragen die meisten | |
Palauer den Plan mit. Am Fischfang wirklich verdient haben hier nur sechs | |
Familien, heißt es, 100 Menschen vielleicht. | |
Die Elite ist klein, Palau ein Mikrokosmos der Macht. „Die wehren sich | |
natürlich“, sagt Keane. „Sie sagen: Was fällt dir als Ausländer überhau… | |
ein? Und sie bedrohen meine Frau. Aber ich bin störrisch.“ Und er will, | |
dass Palaus Meere nie wieder bluten. | |
15 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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