# taz.de -- ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #1: Gut für die Verkehrssicherheit | |
> Kurz vorm 60. Eurovision Song Contest landen wir in Wien und stehen | |
> erfreut vor genderpolitisch korrekten Ampelpersonen. | |
Bild: Händchenhaltend und mit Herzchen: Wiener Lichtsignalanlagen. | |
Nein, da wurde fast niemand mitgenommen und abgeholt, die | |
Vizebürgermeisterin ölte nicht von „Kommunikation auf Augenhöhe“ mit dem | |
Wiener Volk: Montag, faktisch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, waren 49 | |
(der 1280) Verkehrsampeln in Wien an prominenten Straßenübergängen | |
plötzlich anders. | |
Besser: Das Grün strahlte plötzlich nicht mehr, wie man es gewohnt ist, das | |
Rot auch. Nicht mehr ein Männchen wird gezeigt, wenn das Signal zum | |
gefahrlosen Passieren des Zebrastreifens auf Grün oder Rot schaltet – | |
sondern Paare sind es, die man von der anderen Straßenseite, sozusagen in | |
wartender Position sieht. | |
Auch ungewöhnliche – wenigstens aus der Perspektive der Mehrheit der | |
Fußgänger - Paare. Genauer gesagt: drei Paarmöglichkeiten aus | |
Zwei-Mensch-Kombinationen. Einmal ein mann-weibliches Paar (der | |
heteronormative Klassiker sozusagen), aber auch ein schwules und ein | |
lesbisches Paar. | |
Federführend für dieses Projekt ist die Wiener Grüne Maria Vassilakou, | |
zweitwichtigste Politikern der rot-grünen Koalition im Wiener | |
Stadtparlament. Die war vor einigen Monaten in Australien zu einer | |
Fußgängerkonferenz – ja, so etwas gibt es! – und erfuhr, dass es in | |
Wellington, Neuseeland, einen Verkehrsampelversuch gab, der das auch dort | |
übliche Männchen nicht ersetzte, aber durch ein Weibchen ergänzte. Die | |
Absicht war keine genderpolitische, sondern eine, um die Sicherheit an | |
Straßenübergängen zu erhöhen. | |
Peter Kraus, Büroleiter der Vizebürgermeisterin und mitverantwortlich für | |
die Realisation der Wiener Aktion, sagte: „Die Menschen gucken besser auf | |
den Verkehr, auf die Gefahren, die an Fußgängerüberführungen liegen – ind… | |
man durch das neue Symbol überrascht wird, ist man besser fokussiert auf | |
den Verkehr auch selbst.“ | |
## Ampel mit Herz | |
Aber in Wellington war es nur ein Akzent – immerhin –, doch in Wien war | |
noch noch vollkommen überwältigt von Conchita Wurst, von ihrem Sieg beim | |
ESC und vom Gefühl, in ihr dem Publikum noch andere Wirklichkeiten anbieten | |
zu können: Man ersetzte die Männchen durch Paare – und bei genauem Blick | |
fällt auf, dass zwischen allen Paaren je ein Pünktchen sichtbar wird, von | |
Nahem erkennt man ein – Herz. Das ist so wienerisch, wie es irgend geht: | |
Alles der Selbstachtsamkeit im Trubel des Straßenverkehrs. | |
Berlin hatte neulich keinen Mut, seine Verkehrslichtzeichen umzustylen: | |
Schon das Wellingtoner Modell führte zu brüsken Protesten. Aber Deutschland | |
hat ja auch keine Conchita Wurst hervorgebracht, insofern ist Berlin da | |
kein Vorwurf zu machen, hasen-, besser häsInnenherzig, wie es ja meist in | |
puncto Stadtdesign oft ist. | |
Im Übrigen ist die Wiener Aktion eine Pilotgeschichte. Bis Ende Juni sollen | |
die 49 (von insgesamt 1280 Ampeln) im Wiener Stadtgebiet in dieser Weise an | |
120 Zebrastreifen weiter leuchten. Offen ist, ob dieser Paradigmenwechsel | |
in der Verkehrssymbolpolitik dann bleiben darf. Das pure Männchenzeichen | |
blieb ja 64 Jahre unangefochten: 1926 wurde die erste Ampel in Wien | |
installiert, an der Oper, der neumodischen Autos wegen, die den | |
Pferdedroschken in die Quere kamen. 1951 die erste für Personen. | |
## Queere Wochen | |
Bürgermeisterin Vassilakou möchte freilich die queere Verkehrsaktion nicht | |
als Symbolpolitik missverstanden. Durch Kameras und Kontaktmelder wird | |
momentan untersucht, ob die Änderung der Genderkonstruktionen auf den | |
gläsernen Ampelscheiben wirklich zu einem gewissen „Oops!, was ist das | |
denn?“ der Fußgänger führt. Sicher ist nur: Es ist auch ein Zeichen der | |
queeren Wochen in Wien. Am 23. Mai ist ESC-Finale, am Wochenende der Life | |
Ball (das gesellschaftliche Benefiz-Ereignis), im Juni schließlich die | |
CSD-Parade. | |
Und die Bevölkerung, die man nicht einband mit ermüdenden Debatten? Unter | |
1000 Mails erhielt das Bürgermeisterinnenamt bislang. Ein Drittel wünscht | |
sich, dass die Umcodierung bestehen bleibt, ein weiteres Drittel empörte | |
sich über den neuen Beleg für „Genderwahn“ – und das letzte Drittel sch… | |
in etwa: „Geh' doch zurück nach Griechenland.“ | |
Aber ob es an den Ampeln allein liegt? Wien strahlt über das übliche hinaus | |
– es feiert den kommenden Eurovision Song Contest, alle scheinen | |
freundlich: Conchita Wurst sei Dank! | |
14 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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