Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen XIII: Der ewige Kriegsherd der „Zeit…
> Jetzt versucht sich auch die „Zeit“ an der feuilletonistischen
> ESC-Deutung. Sie scheitert jedoch am Simpelsten. Eine hanseatische
> Textkritik.
Bild: Ein Bart, kein Bart, ein Mensch: Conchita (links) und Tom (rechts).
Wenn denn alles nichts mehr hilft, nehmen auch, lernten wir in [1][der
vorigen Folge der #Queerjungfrauen], Medien den Eurovision Song Contest zur
Kenntnis, die diesen ansonsten als ein La-La-La des kleinbürgerlichen
Gesindes, als anrüchige Manifestationen des Pöbels „net amol ignorier'n“
(Wienerisch für: Was für eine Zumutung!) nehmen. Man setzt sich sehr wohl
im Deutschlandfunk, auf den Kulturwellen der öffentlich-rechtlichen Sender
oder in der Wochenzeitung Die Zeit mit dem auseinander, was so angesagt
hat. Mit Bohlen, Klum, Raab – und nun auf einer ganzen Seite des
Feuilletons mit Conchita Wurst.
Unter dem Titel „Europas bärtige Königin“ - das ist übrigens typisch Die
Zeit: bloß sich keinem Originalitätszwang unterwerfen, auch nicht bei den
Überschriften, und hält das auch gut durch – schreibt Redakteur Peter
Kümmel einen sehr langen Text. Zwar sitzt im ersten Satz schon ein krasser
Fehler – aber der darf ihm natürlich unterlaufen, denn er ist
charakteristisch über die Autorenschaft hinaus: „Als der European Song
Contest (ESC) zum ersten Mal stattfand, lag der Zweite Weltkrieg erst elf
Jahre zurück.“ Kümmel referiert launig bis sympathieheischend (in das
eigene, auf geschmackspolizeiliche Sicherheit hin orientierte Publikum).
Zwar tauchen auch in diesem Text – fünf Tage nach dem Sieg eines offen
schwulen Mannes, der kostümiert zur Drag Queen wurde – die üblichen
Vokabeln auf, die die Show in grundsätzlichen Misskredit zu bringen
beabsichtigen, etwa mit der Wendung vom „flauen Schlager“, der bei einem
ESC allermeist zur Performance kam. Nun, könnte sein oder auch nicht:
„European“ ist allerdings der falsche Begriff, da „Eurovision“ der rich…
gewesen wäre.
Aber okay: Unbewusst, formuliert durch den Autor und durchgewunken von
Ressortleitung, Schlussredaktion und Korrekturabteilung, umreißt Peter
Kümmel ja das Richtige: Mindestens seit diesem Jahr wird der ESC nicht mehr
als eurovisionär, also als televisionär-vernetzt-europäisch, wahrgenommen,
sondern als „european“, also politisch-kulturell europäisch. Das heißt: D…
ESC ist eine europäische Aura zuerkannt worden, die ihm vorher verweigert
worden war. War doch immer alles nur Schlager, also doof und
unzurechnungsfähig – so liest sich das.
## Google-Earth-Weitwinkel
Am Ende, nachdem er russische und österreichische Stimmen zu Conchita
Wursts Sieg referiert hat, schließt der Autor wie folgt: „Und wenn man den
Bilderrahmen ein wenig größer aufzieht ... (also nicht mehr zu nah sich das
Phänomen der Conchita Wurst und den Hass auf sie durch Rechte und
Rechtsradikale anschaut, d. Red) ... und den Google-Earth-Weitwinkel
verwendet, sieht man Folgendes: Während in den USA und in Russland die
harschen weltpolitischen Notwendigkeiten vorangetrieben werden, hebt
Westeuropa eine Gestalt ins Licht, welche uns verheißt, dass wir das eigene
Geschlecht stets neu wählen können - als könne Identitätsfindung, zumindest
in unseren Breiten, eine heiterer, demokratischer Vorgang sein.“
Was will er nur damit sagen? Dass Westeuropa weltpolitisch nicht mehr bei
Trost ist, weil es die großen geostrategischen Linien woanders verhandeln
lässt und sich stattdessen an Geschlechtswechselperformances delektiert –
so ganz unpolitisch, ohne die weitwinkeligen Linien des Notwendigen zu
beachten, ja, sie zu missachten? Und weshalb eigentlich „das eigene
Geschlecht neu wählen“? Tat das Conchita Wurst – oder spielte sie nicht
vielmehr mit Oberflächen, Erwartungen und der Fähigkeit, Überraschendes
verblüfft zu genießen?
## „Auf eine Kunstfigur geeinigt“
Schließlich endet der Text mit dieser Passage: „Der kleine, alte,
verschlungene und verschlagene, als ewiger Kriegsherd berüchtigte Kontinent
Europa hat sich endlich auf eine Kunstfigur geeinigt, von welcher er sich
repräsentieren lassen möchte: eine bärtige Frau im Abendkleid, die ein
wenig so singt wie Shirley Bassey. Vielleicht ist das gar nicht das
Schlechteste, was Europa passieren konnte.“
Ja, da traut sich einer nicht, die Suggestion namens Conchita Wurst genauer
zu benennen. Zunächst: Dass Westeuropa ja nicht allein für die
Österreicherin votierte, sondern en gros und en détail auch die
Territorien, die einst hinter Eisernen Vorhängen lagen, hätte er doch auch
nachlesen können.
Aber performte da wirklich eine bärtige Frau – oder ein bärtiger Mann in
Shirley-Bassey-Klamotten? Ist Tom Neuwirth eine Kunstfigur in der Hülle der
Wurst? Oder ist nicht ohnehin alles artifiziell, auch alle Authentiker, die
einen so anwehen, wenn sie das Gute, Wahre und Schöne preisen und doch
alles Unverkleidete für echt und gut halten? Hermann van Veen, Reinhard Mey
oder Janis Joplin (andere Namen bitte selbst einsetzen) und unplugged für
die ehrlichere Form des Musizierens halten?
Wie sagte Dolly Parton, die Legende unter den Countrysängerinnen der USA,
einmal? Das Schwerste für alle Künstler in Maske und Garderobe sei, sich
auf natürlich zu stylen. Das mache die meiste Arbeit, härter als jedes
Bosseln und Pusseln an Paillettenroben und Abendfrisuren, männlichen wie
weiblichen.
16 May 2014
## LINKS
[1] /ESC-Kolumne-Queerjungfrauen-XII/!138461/
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Conchita Wurst
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Queerjungfrauen
Die Zeit
Feuilleton
Straßenverkehr
Australien
Camp
Russland
Conchita Wurst
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Queerjungfrauen
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
## ARTIKEL ZUM THEMA
ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #1: Gut für die Verkehrssicherheit
Kurz vorm 60. Eurovision Song Contest landen wir in Wien und stehen erfreut
vor genderpolitisch korrekten Ampelpersonen.
Australien bei der Eurovision: Echte Europäer von Down Under
Muss man für den ESC nicht aus Europa kommen? Keineswegs. Und es gäbe kaum
einen geeigneteren Teilnehmer als Australien.
Country-Ikone Dolly Parton: Our Sweetheart
Schluss mit dem Gequalme ums Authentische: Dolly Parton zerlegt mit ihrer
Performance alle möglichen Klischees – und viele mögen das.
Demo für Conchita Wurst: Festnahmen in Moskau
Sie trugen Regenbogenflaggen und demonstrierten für ESC-Siegerin Conchita
Wurst. Deshalb wurden zwei Protest-Teilnehmerinnen in Russland
festgenommen.
Kolumne Knapp überm Boulevard: Kulturkampf mit Bart
Dschihadisten, Hipster, Conchita. Sie alle tragen Bart. Der der
österreichischen ESC-Siegerin aber hat einen erbittert geführten
Kulturkampf ausgelöst.
ESC-Kolumne #Queerjungfrauen XII: Der Lewitscharoffversteher
Nach Conchita Wursts Sieg versucht sich das Feuilleton an Erklärungen.
Einem Kommentator des Deutschlandfunks misslingt dies völlig. Eine
Textkritik.
ESC-Kolumne #Queerjungfrauen XI: Die Stimme des ganzen Europa
Wäre es nach den nationalen Jurys gegangen, gäbe es das Phänomen Conchita
Wurst nicht. Das Televoting hat sie an die Spitze gebracht – und das ist
ergreifend.
ESC-Kolumne #Queerjungfrauen X: Conchita, Königin von Österreich
Wie ein Phönix aus der Asche: Frau Wurst gewann den 59. Eurovision Song
Contest in Kopenhagen. Stimmen für sie kamen auch aus Osteuropa.
ESC-Kolumne #Queerjungfrauen IX: Warten auf die Bescherung
Der Samstag in Kopenhagen vor Beginn des Grand Finals mutet an wie
Heligabend vor der Bescherung. Alles ist präpariert, jetzt muss abgewartet
werden.
Der ESC als Zumutung: Huch, Abendland!
Rechte und Rechtspopulisten verachten den Eurovision Song Contest als
schwul und dekadent. Das beflügelt die Party erst so richtig.
ESC-Kolumne #Queerjungfrauen VIII: Eine Statue namens Conchita
Österreichs Drag Queen Conchita Wurst steht im Finale des ESC – völlig zu
Recht. Und was machen die deutschen Musikerinnen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.