| # taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen XI: Die Stimme des ganzen Europa | |
| > Wäre es nach den nationalen Jurys gegangen, gäbe es das Phänomen Conchita | |
| > Wurst nicht. Das Televoting hat sie an die Spitze gebracht – und das ist | |
| > ergreifend. | |
| Bild: Liebling der Massen, selbige durchschreitend. | |
| Der Sieg Conchita Wursts beim Eurovision Song Contest in der Nacht zum | |
| Sonntag hat mich denn auch persönlich erreicht. Freunde und Freundinnen, | |
| nicht alle, aber durch die Bank heterosexuell veranlagt, gratulieren mir. | |
| Zu meiner Arbeit in Kopenhagen? Zu bestimmten Texten? Zum Mut zur | |
| Kontroverse? (Das schrieben schwule Freunde.) Nein, die da schulterklopfend | |
| und wirklich eins-a-gutmeinend Glückwünsche aussprachen, machten dies aus | |
| einem einzigen Grund, und sie verhehlten ihn auch nicht: Weil die | |
| Österreicherin zu queer, so Drag-Queen-haft, so schwul ist. Es sind, mit | |
| anderen Worten, Lobpreisungen an meine Adresse, als ob meine Mannschaft | |
| Meister geworden wäre. | |
| Man muss dazu sagen: Jene, die da so wohlmeinend sich zeigen, sind solche, | |
| die den ESC nicht gucken. Es sind keine Rechten oder Rechtspopulisten, die | |
| dieses Festival ohnehin aus Gründen der europäischen Hybridisierung | |
| ablehnen. Nein, es sind Linke und Schmal-und-Steiflippen-Bildungsbürger, | |
| die fast gönnerhaft mitapplaudieren. Nicht, dass sie, so meine | |
| Unterstellung, Conchita Wurst für gesellschaftsfähig hielten in ihren | |
| Kreisen, aber: Sie sind so nett, dass man sich nur bedanken könnte. | |
| In Wahrheit basiert dieser Zuspruch auf einem Missverständnis: Jenem, | |
| demzufolge der ESC ein schräges, schrilles, schwules Ereignis sei, bei dem | |
| endlich auch mal ein Homo gewonnen hat, einer in Frauentextilien. Mehr | |
| noch: Diese Komplimente sind ungefähr von der gleichen Art, die einem | |
| angetragen wurden, nachdem Thomas Hitzlsperger sein Coming-Out über die | |
| Wochenzeitung Die Zeit ins öffentliche Leben trug. Das war schon diesem | |
| Fall der Zuspruch jener, die doch sonst so heftig darauf achten, dass man | |
| aus seinem Schwulsein nicht so ein Gewese macht. Als ob Thomas Hitzlsperger | |
| nicht auch dem heterosexuellen Schweigen eins ausgewischt hätte. | |
| Bei Conchita Wurst, die inzwischen delikaterweise in Österreich zur | |
| Nationalheldin wurde – Gott sei Dank! –, ist es auch so: Man gratuliert aus | |
| der Heteroposition dem schwulen Mann, ohne zu bedenken, dass die | |
| Performance der Wurst gerade dazu dienen sollte, diese | |
| Geht-mich-nichts-an-Haltung der Heteros zu untergraben. Was ich sagen will: | |
| Sie – die Heteros, die sonst ESC-ignorant blieben – sollten besser sich | |
| selbst gratulieren. | |
| ## Projekt der Entnationalisierung | |
| Jene, die plötzlich den ESC auch als politische Matrix begreifen, hätten | |
| dies ja längst wissen können. Als ob es vor Conchita Wurst nicht auch | |
| Marija Šerifović (2007) oder Dana International (1998) existiert hätten als | |
| Siegerinnen aus dem queeren Sektor. Aber selbst dieser – mein – Satz | |
| enthält eine falsche Wendung: Der ESC war doch immer vor allem ein Projekt | |
| der Europäisierung, der Entnationalisierung Europas und seiner Libertären | |
| und Nichtgeschmackspolizeien im Sinne nationaler Ästhetiken. | |
| Denn vor allem dies, ausweislich der Zahlen, die die European Broadcasting | |
| Union zu den Abstimmungen der 37 ESC-Länder von Kopenhagen transparent | |
| gemacht hat (via [1][www.eurovision.tv]), ist es doch so: Conchita Wurst | |
| hätte nur knapp gewonnen, wenn es lediglich nach den professionellen Jurys | |
| gegangen wären. Also nach den Vertretern des Pop-Business, die doch | |
| unentwegt als Elite in ihrem Marktbereich definieren, was die Leute zu | |
| hören kriegen sollen (und was nicht). | |
| Der Gewinn der Österreicherin wäre noch viel vernehmlicher ausgefallen; | |
| deutlicher und mit größerem Abstand zu den Zweiten, den niederländischen | |
| Leuten von The Common Linnets, wenn nur die TelevoterInnen Europas gezählt | |
| worden wären. Aus Deutschland hat die Jury Conchita Wurst auf den elften | |
| Platz gepackt, die TelevoterInnen der ARD hingegen stimmten sie auf den | |
| ersten. In Nordirland, Irland, Spanien, Slowenien, den Niederlanden und der | |
| Schweiz wurde die These des Liedes, „Rise Like A Phoenix“, so gründlich | |
| gerne aufgenommen, dass sie auch dort das Plebiszit gewann. Wie auch im | |
| Vereinigten Königreich! Man muss sich das vorstellen: im Kronland des Pops | |
| – das ist auch ein Zeichen für die Popindustrie, queere Faktoren im | |
| Business nicht mehr als Umsatzkiller zu verstehen. | |
| ## Blankes Entsetzen | |
| Und Osteuropa? Zahlen können so kalt und zugleich schön sein: Conchita ist | |
| auch in den Ländern Osteuropas die Heldin des Abends gewesen. Aus Russland | |
| gab es fünf Punkte – von der Jury hätte es nix gegeben, aber bei den | |
| Televotenden war sie die Drittbeliebteste. Kein Wunder, dass in den | |
| russischen Medien, vor allem durch die Stimmen der Völkischen und | |
| Nationalbolschewisten, blankes Entsetzen herrscht. Da lanciert man | |
| homophobe Gesetze und wünscht das Verschwinden des Schwulen – und da votet | |
| das Volk doch millionenfach für eine, die eben dies mit ihrer Mission | |
| vereiteln will. | |
| Conchita Wurst und ihr ESC-Sieg ist, so kann man es den Medien in allen | |
| Ländern des eurovisionären Europa entnehmen, eine Konsenskandidatin. Das | |
| ist erstaunlich, weil sie doch immer mehr war und zu sein beabsichtigte als | |
| eine Ich-AG in Sachen Drag. Sie versteht sich als Jeanne d'Arc des Queeren | |
| - und sie sagte im Moment ihres Sieges wütend: „We Are Unstoppable!“ Sie | |
| ist nicht talk of the town, sondern, verblüffend, zum Talk Of The Continent | |
| geworden. Die erste Europäerin, eine Post-Habsburgerin, ließe sich sagen, | |
| die zur Figur einer europäisch länderübergreifenden Ikone taugt. | |
| Ergreifend, das! | |
| 12 May 2014 | |
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| [1] http://www.eurovision.tv | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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