| # taz.de -- taz-Serie „Was macht eigentlich?“ (3): Das widerspenstige Speku… | |
| > Vor drei Jahren besetzten Aktist:innen und Wohnungslose ein | |
| > Wohnkomplex in der Habersaathstraße. Dank der renitenten Altmieter dürfen | |
| > sie bleiben. | |
| Bild: Durchsuchung der Habersaathstraße im August 2024 | |
| Berlin taz | Janet Amon sitzt auf der Couch in ihrer gemütlich | |
| eingerichteten Einzimmerwohnung in der Habersaathstraße 48. Es ist ein | |
| milder Dezembertag, in der Wohnung ist es überraschend warm, und durch die | |
| Fenster fällt noch genügend Licht. Dass es hier keinen Strom und keine | |
| Heizung gibt, verraten nur der Campingkocher, der auf der Herdplatte steht, | |
| und die Kerzen auf dem Couchtisch. „Ist fast wie auf der Platte hier, so | |
| ohne Strom und heißes Wasser“, witzelt Amon. | |
| Trotzdem weiß die 47-Jährige die Wohnung zu schätzen, in der sie nun seit | |
| fast drei Jahren mit ihren beiden Hunden lebt. Zuvor war sie jahrelang | |
| obdachlos, hat auf der Straße und in Notunterkünften übernachtet. „Man | |
| merkt erst mal, wenn man wirklich richtig wohnt, was man selber wert ist.“ | |
| Mittlerweile geht Amon sogar wieder arbeiten und macht Stadtführungen bei | |
| Querstadtein. Der Verein bietet ehemals obdachlosen Menschen die | |
| Möglichkeit, ihre Perspektive auf die Stadt zu teilen. | |
| Im Dezember 2021, mitten in der Pandemie, besetzten | |
| Mietaktivist:innen zusammen mit einer Gruppe von rund 60 zu dieser | |
| Zeit wohnungsloser Menschen, einen zum größten Teil leer stehenden | |
| Plattenbaukomplex im Bezirk Mitte. Der Eigentümer will das Gebäude abreißen | |
| und durch hochpreisige Eigentumswohnungen ersetzten. Doch das scheitert | |
| bislang am Widerstand einer Handvoll verbleibenden Bestandsmieter:innen. | |
| Solange sie standhaft sind, können auch die ehemaligen Besetzer:innen | |
| bleiben. | |
| „Der Eigentümer hat uns neue Verwertungskündigungen geschickt“, sagt Dani… | |
| Diekmann der taz. Diekmann ist einer der wenigen verbliebenen Altmieter in | |
| dem 105 Wohnungen zählenden Gebäudekomplex. Bislang hat er alle | |
| Entmietungsversuche ausgesessen. Auch das jüngste Schreiben seiner | |
| Vermieterin, der Arcadia Real Estate, besorgt ihn nicht. „Das ist zum | |
| Scheitern verurteilt“, ist sich Diekmann sicher. | |
| ## Mieterverein ist optimistisch | |
| Auch Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, schätzt | |
| die Klage in der hauseigenen Zeitschrift Mietermagazin als „juristisch | |
| aussichtslos“ ein. „Es dürfte der Vermieterin vor allem darum gehen, | |
| psychologischen Druck auf die Mieterschaft auszuüben, um sie zum | |
| freiwilligen Auszug zu bewegen“, vermutet Bartels. | |
| Tatsächlich ist die Arcadia bereits im vergangenen Jahr [1][mit insgesamt | |
| sechs Verwertungskündigungen vor Gericht gescheitert.] Eine Wohnung sei | |
| kein Aktienpaket, ein Recht auf Gewinnoptimierung gebe es nicht, urteilte | |
| das Landesgericht in fast schon antikapitalistischer Manier. | |
| „Seinen Abriss kann sich der Eigentümer erst mal in die Haare schmieren“, | |
| sagt auch Valentina Hauser, Pressesprecherin der Initiative | |
| Leerstand-hab-ich-Saath, die maßgeblich an der Besetzung beteiligt war. „So | |
| schnell wird er die Bestandsmieter:innen nicht los.“ | |
| Weiterhin höchst unsicher ist die Situation der neuen, ehemals obdachlosen | |
| Bewohner:innen. Sie haben keinen Mietvertrag, auf den sie sich berufen | |
| können. Und im August 2023 ließ die Eigentümerin sämtlichen besetzten | |
| Wohnungen Strom und Warmwasser abstellen. [2][Der für die Aktion von der | |
| Eigentümerin angeheuerte Bautrupp demolierte bei der Gelegenheit gleich ein | |
| paar Wohnungen] der neuen Bewohner:innen. | |
| Doch ein Anfang November geschlossener Vergleich stärkt die Postion der | |
| neuen Bewohner:innen maßgeblich. Die Eigentümerin strebte eine | |
| Räumungsklage gegen einen ehemals obdachlosen Bewohner an, kam dann zu | |
| einem Vergleich. Der Bewohner habe das Recht, solange in der Wohnung zu | |
| bleiben, bis diese abgerissen werde. Miete zahlen müsse er nicht, außerdem | |
| ist die Eigentümerin verpflichtet, „Mängel, die von der Wohnungsaufsicht | |
| beanstandet werden“, zu beseitigen. | |
| Hauser hofft, dass der Vergleich Schule macht und auch auf die restlichen | |
| Bewohner:innen anwendbar wird. Ebenso böte der Vergleich eine | |
| Möglichkeit, die Stromversorgung für die neuen Bewohner:innen | |
| wiederherzustellen. Denn „eine Wohnung ohne Strom ist keine Wohnung“, sagt | |
| Hauser. Dazu müssten die Bewohner:innen selbst Anzeige bei der | |
| Wohnungsaufsichtbehörde erstatten. | |
| Selbst tätig wird die Behörde nicht, trotz des seit über einem Jahr | |
| bestehenden Stromausfalls. „Es sind keine wohnungsaufsichtlichen Mängel zu | |
| den Aufgängen Habersaathstraße 40–48 bekannt“, teilte das Bezirksamt auf | |
| taz-Anfrage mit. | |
| Die Gerichtsentscheidungen sind für den Eigentümer Andreas Picchotta | |
| besonders ärgerlich, [3][da er erst im August die mittlerweile zweite | |
| Abrissgenehmigung vom Bezirk erhalten hat.] Vorausgegangen war der | |
| Genehmigung ein Deal mit der Arcadia. Picchotta verpflichtet sich, an | |
| selber Stelle „günstigen“ Ersatzwohnraum mit einem Quadratmeterpreis von | |
| 11,50 bis 16,50 Euro zu schaffen, die Bestandsmieter:innen können zu | |
| ihren bisherigen Konditionen wieder in das neue Gebäude einzuziehen. Den | |
| ehemals obdachlosen Bewohner:innen wird angeboten, in eine | |
| Obdachlosenunterkunft zu ziehen, die Picchotta in der Papierstraße im | |
| nördlichen Wedding errichten will. | |
| Der Bezirk argumentiert, dass er nach der aktuellen Auslegung des | |
| Zweckentfremdungsverbotsgesetzes „null Ermessensspielraum“ gehabt hätte, um | |
| den Abriss zu untersagen. Dabei bleibt der Eigentümerin die Möglichkeit | |
| offen, die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. „Das | |
| Zweckentfremdungsverbotsgesetz dient nicht dem Mieterschutz, sondern | |
| ausschließlich dem Schutz von Wohnraum“, teilt der Bezirk in einer Antwort | |
| auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Mietenpolitikerin Katrin | |
| Schmidberger mit. | |
| „Das Bezirksamt hätte sich mehr trauen müssen“, kritisiert die | |
| Linken-Bezirksabgeordnete Martha Kleedörfer die Entscheidung, auch wenn man | |
| vor Gericht eine Schlappe kassiert hätte. Die Habersaathstraße sei | |
| mittlerweile eine Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen. Insbesondere | |
| dadurch, dass das Bezirk den strafbaren Leerstand nie geahndet habe. „Der | |
| Investor hat den Eindruck bekommen, er könnte tun und lassen, was er will“, | |
| sagt Kleedörfer. | |
| Die ständige Unsicherheit macht insbesondere den neuen Bewohner:innen | |
| zu schaffen. Dazu sind viele von ihnen mit Sucht- und psychischen Problemen | |
| eingezogen. Schon nach einem Jahr hat der Bezirk die sozialarbeiterische | |
| Beratung gestrichen, die er im Erdgeschoss für die ehemaligen Obdachlosen | |
| eingerichtet hat. Allerdings konnte die Initiative immerhin eine | |
| ehrenamtliche Sozialberatung organisieren, die einmal die Woche | |
| vorbeischaut. | |
| „Soziale Hilfe ist eine ganz wichtige Sache, sonst kommen wir hier nicht | |
| weiter“, sagt Janet Amon. Der wöchentliche Termin reiche kaum aus, viele | |
| der neuen Bewohner:innen stünden jetzt mit ihren Problemen alleine da. | |
| „Wären andere Hilfen da, würde es hier auch anders aussehen“, sagt Amon. | |
| Sie selbst konnte ihre Heroinsucht vor sieben Jahren überwinden. Bei | |
| anderen Bewohner:innen bestimme die Sucht weiterhin das Leben, alles | |
| andere werde dann unwichtig, erklärt Amon. | |
| Sie selbst möchte gerne ausziehen, in eine Wohnung, in der sie mit ihren | |
| beiden Hunden leben kann. „Ich möchte hier schon länger weg, aber es | |
| funktioniert einfach nicht.“ Auch der Berliner Wohnungsmarkt hat sich in | |
| den letzten drei Jahren nicht verbessert. | |
| Trotz aller Probleme sei die Habersaathstraße „ein Erfolgsprojekt“, | |
| resümiert Valentina Hauser. Mit der Besetzung konnte bislang Leerstand | |
| beseitigt und günstiger Wohnraum erhalten werden, außerdem ist sie eine der | |
| wenigen Aktionen, die nicht nach 24 Stunden von der Polizei geräumt wurde. | |
| Ein Erfolg, der sich gerne wiederholen darf: „In Berlin stehen 20.000 | |
| Wohnungen leer“, sagt Hauser. „Da sind wir auch ansprechbar.“ | |
| 3 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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