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# taz.de -- Der Hausbesuch: Der sesshafte Nomade
> Armin Hasert war in vielen Ländern unterwegs. Heute betreibt er ein
> Hostel in Leipzig und bringt dort im Winter wohnungslose Menschen unter.
Bild: Seit 13 Jahren betreibt Armin Hasert sein eigenes Hostel
Wer reist, hat ein Gespür dafür, was Bleiben und Bleibe bedeuten. Vor
allem, wenn man Letztere nicht hat. In seinem Hostel beherbergt der
vielgereiste Armin Hasert deshalb im Winter wohnungslose Menschen.
Draußen: Mitten im Leipziger Stadtteil Connewitz verläuft die Bornaische
Straße. Graffitis an den Wänden machen dort eines klar: Nazis sind im
alternativen Viertel unerwünscht, Polizist*innen ebenso. Auf der
„Bornaischen“ mit ihren Spätis, Imbissen und Bars halten sich die
Bewohner*innen gerne auf – im Sommer genauso wie an diesem Nachmittag
im Dezember. Ein kleines rundes Schild, fast übersieht man es, weist auf
das Hostel hin. Die Rezeption befindet sich „49 metros“ entfernt im Café
„El Rojito“, wie an der Tür steht. Vor dem Café stehen Bänke aus
Fahrradteilen und Straßenschildern sowie das Stahlskelett einer Antilope –
es sind Arbeiten lokaler Künstler*innen.
Drinnen: Fairer Kaffee und Rumflaschen stehen im Regal hinter der Theke.
Daneben werden auf einem alten Fernseher Charlie-Chaplin-Filme gezeigt. Das
Café dient als Hostelrezeption und Frühstücksraum. Hier nehmen auch die
dreizehn obdachlosen Menschen, die von Mitte Dezember bis Ende Februar im
Hostel untergebracht sind, ihre Mahlzeiten ein, erklärt Armin Hasert. Ein
Glasbild einer Leipziger Künstlerin, ein Fußball-Wimpel des Clubs Roter
Stern Leipzig und ein alter Reiserucksack mit Metallrahmen schmücken den
Raum. Auf einem Tisch liegt ein Exemplar der Zeitschrift Die Rote Hilfe. Am
Fenster stehen drei Reiseführer: Galápagos. Leipzig. Guatemala.
Alternativleben: 13 Jahre lang betreibt Hasert das Hostel bereits. Er
selbst wohnt in einem Bus. Dort hat er keine Dusche, doch „im Hostel gibt
es eine Menge“, sagt er und lacht. Seit 35 Jahren lebt der 58-jährige
Hasert in Bussen, Lkws oder Wohnwagen – sei es auf Wagenplätzen oder
unterwegs. „Aus Protest gegen die Mietsituation“ habe er sich für das
Alternativwohnen entschieden. „Nie im Leben habe ich einen Mietvertrag
unterschrieben, für das Hostel tat ich es zum ersten Mal.“ Freiwillig habe
er das gemacht. „Menschen, die auf der Straße leben, haben dieses Privileg
der Auswahl nicht.“
Verteilungsproblem: „Wir haben in Deutschland kein Wohnungsproblem, sondern
ein Verteilungsproblem“, meint Hasert. „Es gibt Menschen, die drei
Wohnungen besitzen oder sich 400 Quadratmeter leisten können, und andere,
die nichts haben, nicht einmal ein Dach über dem Kopf.“ Das sei nichts
Neues, kein Phänomen der Gentrifizierung. „Das war schon vor 30 Jahren so,
es ist nur schlimmer geworden.“
Pflicht: Für diejenigen, die nichts haben, engagiert sich Armin Hasert
zusammen mit seinem Team nun schon im fünften Winter. 2020 hatte eine
damalige Mitarbeiterin die Idee, aus der später das Projekt „Homeplanet For
Homeless“ entstehen sollte. Es war der Winter, in dem die Coronapandemie
begann, die Temperaturen lagen unter null, es lag Schnee. „Die meisten
unserer 50 Betten sind leer, und vor der Tür müssen Wohnungslose frieren.
Das ist unmoralisch“, sagte die Mitarbeiterin. Hasert stimmte ihr zu. Es
habe sich wie eine Pflicht angefühlt, etwas zu unternehmen. „Lass uns das
ausprobieren“, antwortete er. Jetzt koordiniert er das Projekt zusammen mit
seiner Kollegin Stefanie Koch.
Belastung: Schnell wurde Hasert klar, dass sie das nicht alleine bewältigen
konnten. „Wir sind keine Sozialarbeiter*innen, die emotionale Belastung war
für uns zu groß. Finanziell war das auch unmöglich.“ Am schwierigsten fand
er es, zu entscheiden, wer bleiben darf und wer nicht. Deshalb suchte Armin
Hasert Unterstützung. Derzeit sind es vier Organisationen, die gemeinsam
mit dem Hostel die Kampagne durchführen und die Vermittlung der
[1][obdachlosen Menschen] übernehmen.
Vorbereitungen: Zum Zeitpunkt des Hausbesuchs sind sie noch nicht
eingezogen. Formulare liegen auf der Theke, Mitarbeiter*innen gehen
ein und aus. Aufregung liegt in der Luft. Die Sachspenden werden verteilt,
die Zimmer vorbereitet – auch Doppelzimmer. „Es gibt viele Paare, die auf
der Straße leben und in offiziellen Einrichtungen nicht als solche
akzeptiert werden“, sagt Hasert. Es ist geplant, dass alle bis Ende Februar
im Hostel wohnen können. Neben dem Zimmer bekommen sie Frühstück und
Abendessen. Dazu wird ein Regal auf Spendenbasis mit Snacks, Lebensmitteln,
Getränken und Hygieneartikeln gefüllt, auch Beratung durch Sozialarbeitende
und eine medizinische Betreuung werden angeboten. Als allererstes steht
aber ein Friseurteam bereit. „Bis Weihnachten erholen sich die Menschen
erstaunlich. Heiligabend verbringen wir zusammen, es ist toll hier.“
Solidarität: Privatpersonen oder Kiezinitiativen kochen einmal in der Woche
für die Wintergäste – entweder in der Hostelküche oder bei sich zu Hause,
dann bringen sie das Essen vorbei. Das ganze Jahr über wird Geld für
„Homeplanet For Homeless“ gesammelt. Straßenfeste, Jazzkonzerte und
Weihnachtsmarktstände setzen sich aktiv für das Projekt ein. „Ohne diese
Unterstützung könnten wir uns das nicht leisten“, sagt Armin Hasert. „In
Connewitz ist die Klientel ideal. Gemeinsam etwas Gutes zu tun, hat hier
Tradition.“
Enttäuschung: Es ist nicht das erste Mal, dass Armin Hasert mit seinem
Hostel auf solidarische Initiative setzt. 2015, als viele Menschen aus
Syrien nach Deutschland kamen, nahm er 30 Geflüchtete auf. „Ich wollte
nicht nur zuschauen, sondern aktiv werden und helfen.“ Weil das jedoch auf
eigene Kosten geschah, konnte Hasert es nicht lange fortsetzen. Damals,
sagt er, sei er „von der Politik tief enttäuscht“ worden, als er versucht
habe, Aufmerksamkeit für sein Engagement zu gewinnen. „Es hat niemanden
interessiert.“ Deshalb entschied sich Hasert diesmal bewusst, keine
Fördergelder zu suchen, sondern Privatspenden [2][über die Plattform
betterplace.org zu sammeln]. Bis Redaktionsschluss kamen knapp 22.000 Euro
zusammen. Über 30.000 weitere Euro werden benötigt, um alle Kosten zu
decken.
Liebe: Auch wenn alle im Kiez Armin Hasert kennen und er sich als Leipziger
fühlt, stammt er ursprünglich „aus dem tiefsten Westen“ – aus der Nähe…
Aachen. Seit 2002 ist er fest in Leipzig, der Liebe wegen. Die Stadt hatte
er davor jedoch schon öfter besucht. Er hat Geografie studiert, im Wald
gearbeitet und dann eine Zeit lang für das Münsteraner und Leipziger
„Theater Titanick“ gejobbt. Auf seinen Reisen um die Welt habe er viele
sympathische Menschen getroffen, erzählt Hasert „So eine Freundlichkeit
könnten wir in Deutschland auch gebrauchen“, habe er damals gedacht. Er
wollte schon immer sein eigenes Ding machen, und so fand er schließlich das
Hostel.
Mut: Es sei nicht so, dass Urlauber*innen extra zum Hostel kommen, weil
sie vom „Homeplanet For Homeless“ erfahren haben und die Aktion
unterstützen wollten, sagt Hasert. Doch es kämen auch nicht weniger Gäste
als früher, seit dort im Winter obdachlose Menschen eine temporäre Wohnung
erhalten. „Nach fünf Jahren möchte ich anderen
Unterkunftsbetreiber*innen die Angst nehmen und sie ermutigen, es
auszuprobieren. In der Regel werden keine Zimmer beschädigt, die Leute sind
meistens dankbar, einen Rückzugsort zu haben und gehen respektvoll
miteinander um.“
Luftholen: Am schlimmsten empfindet Armin Hasert die Zeit, wenn die
Wintersaison vorbei ist und die Wohnungslosen wieder auf sich selbst
gestellt sind. „Im Sommer ist alles ausgebucht und wir können keinen Platz
freigeben.“ Doch die Erfahrung habe ihm gezeigt, dass das Projekt positive
Auswirkungen auf die Menschen habe. „Das Wichtigste ist, dass sie sich
während dieser Auszeit nicht um das Überleben kümmern müssen und sich
deshalb um ihr Leben kümmern können.“ Armin Hasert berichtet, dass es
bisher mindestens einer Person pro Jahr gelungen ist, ihre Situation zu
verbessern. „Wenn ich mitbekomme, dass jemand, der bei uns war, jetzt einen
Job oder ein Zuhause hat, dann bin ich glücklich.“
11 Jan 2025
## LINKS
[1] /Obdachlosigkeit-in-New-York/!6056778
[2] https://www.betterplace.org/de/projects/139925-homeplanet-for-homeless-host…
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Der Hausbesuch
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