| # taz.de -- Bedrohter Kulturhof in Berlin-Mitte: Abriss um jeden Preis | |
| > In Mitte hat der Teilabriss des Kulturhofs „Kolonie10“ begonnen. Die | |
| > rechtliche Grundlage lieferte ein umstrittenes Gutachten des | |
| > Nabu-Vorsitzenden. | |
| Bild: Bagger schaffen Fakten in der Koloniestraße 10 | |
| Berlin taz | Die alte Werkstatt, ein ehemaliger Büroraum und drei Garagen | |
| liegen bereits in Trümmern. Vor einem Bauzaun, der sich durch den schmalen, | |
| rund 100 Meter langen Innenhof der Koloniestraße 10 im Wedding zieht, steht | |
| eine Mieterin und ist fassungslos. „Der Eigentümer schafft Fakten zu Lasten | |
| der Bewohner des Kiezes, der Geschichte des Ortes und der Natur“, sagt die | |
| 37-Jährige, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen will. | |
| Seit Anfang Januar finden [1][auf dem Grundstück der Koloniestraße 10] in | |
| Mitte Abrissarbeiten statt. Der bayerische Immobilieninvestor Romeo Uhlmann | |
| will auf dem im Jahr 1860 erbauten Gründerzeithof seit Jahren | |
| Mikroapartments errichten. Doch der Bezirk Mitte untersagte den Rückbau | |
| bestehender Gebäude bislang aus Gründen des Milieu- und Artenschutzes. | |
| Für einen Teil der Garagen hat der Bezirk nun Abrissgenehmigungen erteilt. | |
| Ausgenommen seien jedoch Gebäude, die Haustechnik enthalten oder an denen | |
| geschützten Vögel nisten, so eine Sprecherin des Bezirksamtes zur taz. Auch | |
| die historischen Remisen, die als Wohnraum genutzt werden, stehen unter | |
| Milieuschutz und dürfen nicht abgerissen werden. Dagegen hatte der Investor | |
| in den vergangenen Jahren mehrfach erfolglos geklagt. Unter den aktuellen | |
| Gegebenheiten sei eine Realisierung des Bauvorhabens daher nicht | |
| realistisch, so das Bezirksamt. | |
| ## Investor soll nicht vor Gewalt zurückschrecken | |
| Dass die von Uhlmann beauftragte Baufirma dennoch mit dem Teilabriss | |
| begonnen hat, sorgt für große Aufregung. Schließlich handelt es sich bei | |
| dem Hof, der im Sommer zu einer kleinen grünen Oase erblüht, um ein | |
| kulturelles Projekt. In den vergangenen Jahren fanden hier noch zahlreiche | |
| Veranstaltungen statt: ein Tanzfestival, ein Sportfest, der jährliche Panke | |
| Parcours, ein Suppenfestival und immer wieder Flohmärkte. | |
| Davon bliebe nach der Verwertung des Grundstücks nichts mehr übrig, glaubt | |
| die Nachbarin. Zumal der Investor bei der Durchsetzung seiner Ziele auch | |
| auf Entmietungsstrategien setze und sogar vor Gewalt nicht zurückschrecke. | |
| Erst vergangene Woche habe er die Heizungen im Vorderhaus abgedreht; die | |
| Bewohner von sechs Wohnungen hätten daraufhin tagelang im Kalten verbringen | |
| müssen, berichtet die Mieterin. | |
| Am Freitag soll es dann zu Handgreiflichkeiten gekommen sein: Laut Berliner | |
| Zeitung hat Uhlmann einen freiberuflichen Kameramann, der gerade das | |
| Grundstück filmte, auf den Boden geschubst und dessen Kamera entwendet. Wie | |
| die Berliner Polizei der taz bestätigte, gingen daraufhin drei Anzeigen bei | |
| der Polizei ein. Demnach hat der Kameramann Uhlmann wegen Körperverletzung | |
| und Sachbeschädigung angezeigt. Der Eigentümer wiederum habe wegen | |
| Hausfriedensbruchs Anzeige gegen den Kameramann erstattet. Auf eine | |
| taz-Anfrage reagierte der Eigentümer bis Redaktionsschluss nicht. | |
| Die Nachbarin glaubt, dass sich der Investor an keine Regeln mehr gebunden | |
| fühlt. Dafür macht sie auch den Bezirk verantwortlich. Dieser hätte dessen | |
| „aggressives Vorgehen“ mit mehr Ehrgeiz verhindern müssen. | |
| ## Nistplätze von Ringeltauben und Amseln zerstört | |
| Eine Sprecherin des Bezirksamts rechtfertigt die teilweise | |
| Abrissgenehmigung damit, dass die betroffenen Gebäude nicht als Brut- oder | |
| Ruhestätten wildlebender Tiere dienten. Verstöße gegen Auflagen, | |
| insbesondere in Bezug auf den Artenschutz an den geschützten Gebäuden, habe | |
| man bislang nicht festgestellt. | |
| Angela Laich von den Berliner Naturfreunden widerspricht dieser | |
| Darstellung: So seien Nistplätze von Ringeltauben und Amseln zerstört | |
| worden, obwohl diese Vögel ganzjährig geschützt sind. Außerdem fehle eine | |
| vollständige und sorgfältige Untersuchung der Fledermausquartiere, deren | |
| Lebensräume durch den Abriss beschädigt worden seien, so die ehrenamtliche | |
| Vogelschützerin. | |
| Das Gelände der Koloniestraße 10 hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu | |
| einem urbanen Biotop entwickelt, das zahlreichen Tierarten Lebensraum | |
| bietet. Unter anderem hat sich eine Kolonie Haussperlinge angesiedelt, die | |
| dort ihre Nistplätze gefunden haben. Fledermäuse nutzen das Areal als Ruhe- | |
| und Schlafplatz. | |
| Auch die Bewohner der Koloniestraße 10 kritisieren die aus ihrer Sicht | |
| investorenfreundliche Haltung des Bezirksamtes. Laut Patrick (Name | |
| geändert), seit 14 Jahren Mieter, sollen die Abrissarbeiten | |
| Heizungsprobleme in den Wohnungen verursacht haben, da die Gebäude noch ans | |
| Heizungssystem angeschlossen waren. Für ihn ist das Vorgehen des Investors | |
| klar rechtswidrig. | |
| ## Nabu-Vorsitzende gab grünes Licht | |
| In der Kritik steht auch der Vorsitzende des [2][Naturschutzbundes (Nabu)] | |
| Berlin, Rainer Altenkamp. Der erstellte im Auftrag von Uhlmann ein | |
| artenschutzfachliches Gutachten, das grünes Licht für den Teilabriss gab. | |
| Das Bezirksamt Mitte folgte dem Gutachten zwar nur in Teilen und lehnte | |
| eine Ausnahmegenehmigung für den Abriss der von Haussperlingen genutzten | |
| Vegetation ab. Dennoch wirft Altenkamps Gutachten methodische und | |
| artenschutzrechtliche Fragen auf. | |
| „Für jedes Gutachten gelten Standards, die hier nicht eingehalten wurden“, | |
| sagt Caroline Seige von der AG Artenschutz der Naturfreunde Berlin der taz. | |
| „Dazu gehört, dass die Erfassung von Tierarten während der | |
| Vegetationsperiode erfolgt und nicht in der kalten Jahreszeit, wie im Fall | |
| der Koloniestraße 10.“ Außerdem müsse der Ausgleich für die betroffenen | |
| Tierarten bereits vor den Eingriffen sichergestellt sein. Doch Altenkamp | |
| habe seit inzwischen fünf Jahren keine stichhaltigen Ausgleichsvorschläge | |
| vorgelegt. | |
| Altenkamp, der das Gutachten nach eigenen Angaben privat und nicht in | |
| seiner Funktion als Vorsitzender des Nabu erstellt hat, erklärt auf | |
| taz-Anfrage, dass die Erfassung dauerhaft nutzbarer Lebensstätten nicht an | |
| die Brutzeit gebunden sei. Auch sei die Ausgleichskonzeption für den | |
| Wegfall solcher Lebensstätten Teil des Gutachtens gewesen und seitdem | |
| umfangreich ergänzt worden. Den Untersuchungsgegenstand sowie den Umfang | |
| der Untersuchung habe die zuständige Untere Naturschutzbehörde des Bezirks | |
| festgelegt. | |
| ## Gutachten zurückgewiesen | |
| Doch auch die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN), der | |
| alle großen Naturschutzorganisationen Berlins angehören, hat das Gutachten | |
| als methodisch ungeeignet zurückgewiesen. In einer rund 40-seitigen | |
| Stellungnahme kritisiert die BLN, dass die Erfassung der betroffenen | |
| Vogelarten unzureichend und die von Altenkamp vorgeschlagenen | |
| Ausgleichsmaßnahmen auf einem fremden Grundstück nicht zulässig sei. | |
| Die Kritik an der Gutachterpraxis bei Bauvorhaben in der Hauptstadt ist | |
| indes nicht neu: Immer wieder wird über unzureichende Erhebungen und | |
| fehlende Ausgleichsmaßnahmen für bedrohte Tierarten berichtet, die auch von | |
| Nabu Berlin nahestehenden Gutachtern erstellt wurden. Die meist privat | |
| tätigen Gutachter werden direkt von den Bauherren beauftragt – eine gewisse | |
| Abhängigkeit von den Geldgebern liegt nahe: Wer zu kritisch prüft, könnte | |
| künftig bei weiteren Gutachten übergangen werden. | |
| Berühmte Beispiele sind Großprojekte wie das Dragonerareal, das | |
| Postscheckamt und der Grüne Kiez Pankow. Teilweise wurden die durch solche | |
| Gutachten legitimierten Bauvorhaben sogar gerichtlich gestoppt, wie zuletzt | |
| im Fall des Jahnsportparks in Pankow. Das Berliner Verwaltungsgericht | |
| stellte im November vergangenen Jahres fest, dass die Umwelt- und | |
| Naturschutzbestimmungen beim Abriss des Stadions nicht ausreichend | |
| berücksichtigt wurden. | |
| Im Fall der Koloniestraße 10 wurde bislang keine Klage eingereicht. Der | |
| langjährige Mieter Patrick ist der Auffassung, dass es Aufgabe von Politik | |
| und Verwaltung ist, solchen Fällen vorzubeugen. Es dürfe nicht noch einmal | |
| passieren, dass ein Investor auf Grundlage eines fragwürdigen Gutachtens | |
| Fakten schafft. Dies zu verhindern sei die Politik den Bewohnern der Stadt | |
| und der Natur schuldig. | |
| 20 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kulturelles-Kleinod-vor-dem-Aus/!5995164 | |
| [2] /Negativ-Preis-des-Nabu/!6059395 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Mayer | |
| ## TAGS | |
| Abriss | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Investor | |
| Kolumne Geraschel | |
| Der Hausbesuch | |
| Stadtteilkultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Warum Berlin überhaupt nicht over ist: Das ödeste aller Rituale | |
| Jetzt hat es auch das Feuilleton geschnallt: Berlin geht gar nicht! Dabei | |
| erfindet sich die einzige deutsche Metropole gerade wieder einmal neu. | |
| Der Hausbesuch: Der sesshafte Nomade | |
| Armin Hasert war in vielen Ländern unterwegs. Heute betreibt er ein Hostel | |
| in Leipzig und bringt dort im Winter wohnungslose Menschen unter. | |
| Kulturelles Kleinod vor dem Aus: Grüne Oase vom Abriss bedroht | |
| Beim Kulturhof Kolonie 10 im Wedding sollen weder Denkmal- noch | |
| Naturschutzbelange gelten. Abriss droht. Investoren wollen teure Apartments | |
| errichten. |