# taz.de -- Zukunft der Industrie: Standort D – top oder flop? | |
> Droht hiesigen Produktionsunternehmen der Zusammenbruch, wie es aus der | |
> CDU heißt? Die Wirtschaftsdaten belegen das nicht. | |
Bild: Ein „Zukunftsort“ in der Altmark – Werk Mercer Stendal | |
BERLIN taz | Gute wirtschaftspolitische Nachrichten häufen sich in jüngster | |
Zeit. In Thüringen eröffnete die chinesische Firma CATL ihre erste | |
ausländische Batterie-Fertigung für E-Autos. Der US-Fahrzeughersteller | |
Tesla will sein Werk bei Berlin massiv vergrößern. Der Elektronik-Konzern | |
Intel plant eine neue Chip-Fabrik bei Magdeburg. Das Stahlunternehmen | |
Thyssenkrupp erhält zwei Milliarden Euro vom Staat, um seinen ersten | |
Wasserstoff-Hochofen zu bauen. Siemens will 500 Millionen Euro in Nürnberg | |
investieren. | |
Negativ klingende Schlagzeilen gibt es aber auch. So droht der | |
Chemiekonzern Dow Chemical an der Elbe wegen der hohen Stromkosten mit | |
Verlagerung ins Ausland. Meyer Burger, die Solarfirma aus der Schweiz, baut | |
eine neue Fabrik in den USA, nicht in Sachsen-Anhalt. BASF investiert stark | |
in China, VW hat Probleme beim Absatz von Elektroautos. Doch ein | |
„schleichender Prozess der Deindustrialisierung“, wie ihn CDU-Chef | |
Friedrich Merz oder CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner an die Wand | |
malen, ist nicht zu sehen. [1][Denn „Deindustrialisierung“ bedeutete, dass | |
wesentliche Teile der Industrie verschwinden würden.] | |
Die Fakten sprechen gegen diese These, zum Beispiel die Zahl der | |
Arbeitsplätze. 7,5 Millionen Leute beschäftigen die Industrieunternehmen | |
hierzulande. Die Tendenz ist weitgehend stabil – vor zehn Jahren waren es | |
7,4 Millionen Jobs. Dann wuchs die Zahl etwas, seit 2020 ist sie leicht um | |
vier Prozent gesunken. „Darin steckt auch die steigende Produktivität“, | |
erklärt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) | |
in Berlin. „Die deutsche Industrie arbeitet effektiv.“ Weniger Menschen | |
produzieren mehr Güter. „Das ist das Gegenteil von Deindustrialisierung“, | |
sagt Gornig. | |
Ein ähnliches Bild zeigt die Entwicklung der Firmeninsolvenzen. Die Zahl | |
der Unternehmen, die aufgeben müssen, steigt in diesem Jahr an. Kürzlich | |
schrieb das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH): „Die Zahl der | |
Insolvenzen ist so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr.“ Aber das bezog | |
sich nur auf Juni 2023. Von Januar bis Mai lagen die Firmenpleiten dagegen | |
unter dem Vor-Corona-Niveau. „Ich stimme zu, dass wir noch im Bereich | |
‚Normalisierung‘ sind, wenn auch jetzt schon leicht über dem Normalniveau�… | |
sagt IWH-Experte Steffen Müller. | |
## Weit weg von einem Zusammenbruch | |
Im vergangenen Jahr gingen laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 10.432 | |
Betriebe pleite. Vor Corona, als die Wirtschaft gut lief, waren es jedoch | |
viel mehr: 13.609 (2019), 2016 fast 16.000 und 2014 fast 18.000. Dabei sind | |
nur ungefähr zehn Prozent der erfolglosen Unternehmen dem verarbeitenden | |
Gewerbe zuzurechnen, also der Industrie. Mit einem vermeintlichen | |
Zusammenbruch der Industrie hat das nichts zu tun. | |
Weitere Daten stützen diesen Befund. Der Destatis-Produktionsindex, der | |
Wert und Menge der industriellen Fertigung darstellt, verzeichnet bis Ende | |
2022 keine Abnahme. Das kurzfristige Auf und Ab folgt dem langfristigen | |
Trend. 2023 geht es allerdings leicht runter. Doch „der etwas abfallende | |
Produktionsindex in diesem Jahr ist ein Ergebnis kurzfristiger Effekte“, | |
sagt DIW-Ökonom Gornig. Hier macht sich beispielsweise die augenblickliche | |
Inflation bemerkbar. „Eine langfristige, strukturelle Deindustrialisierung | |
ist daran aber nicht zu erkennen“, so Gornig. | |
## Auftragsbetand nimmt zu | |
Ein ausgesprochen positives Bild zeigt der Auftragsbestand der Industrie. | |
Der liegt nach Destatis-Angaben deutlich über dem Niveau der Jahre seit | |
2015. Im Mai und Juni diesen Jahres nahmen die Aufträge mit gut sechs und | |
sieben Prozent stark zu. | |
Und wie sieht es bei den Investitionen aus? Hier werden augenblicklich | |
Zahlen diskutiert, die die These der Deindustrialisierung stützen könnten. | |
Denn nach Angaben der Bundesbank haben sich die ausländischen | |
Direktinvestitionen in Deutschland 2022 im Vergleich zum Vorjahr halbiert. | |
Das lässt sich so interpretieren: Investoren etwa aus den USA sehen gerade | |
weniger Sinn darin, Geld in Deutschland anzulegen – was ein grundsätzliches | |
Problem anzeigen mag. | |
## Schwächen hohe Energiekosten Standort D? | |
Aber DIW-Experte Gornig gibt sich auch an diesem Punkt entspannt. „Dass | |
Deutschland momentan weniger attraktiv ist für Investitionen aus dem | |
Ausland, hat überwiegend konjunkturelle Gründe“, sagt er. Diese | |
Schwierigkeiten könnten sich bald wieder verflüchtigen. Er fügt hinzu: „Die | |
hohen Energiekosten sind für die meisten ausländischen Investoren wenig | |
relevant.“ Denn für einen Großteil der Unternehmen machten die | |
Energieausgaben nur einen kleinen Posten der Gesamtkosten aus. | |
Die Gegenposition formuliert Oliver Falck, Ökonom am ifo-Institut für | |
Wirtschaftsforschung in München: „Die Gründe für die Zurückhaltung | |
ausländischer Investoren sind vorwiegend langfristiger Natur“ – und damit | |
potenziell bedrohlich auch für das Überleben der hiesigen Industrie. „Einen | |
entscheidenden Nachteil bilden die hohen Energiekosten etwa im Vergleich zu | |
den USA“, erklärt Falck. | |
## Alternde Geesellschaft und Arbeitskräftemangel | |
Weil Deutschland das billige russische Gas nicht mehr kauft, sind die | |
hiesigen Firmen auf teure Flüssiggas-Importe aus anderen Quellen | |
angewiesen. In Nordamerika wird der Brennstoff aus heimischen Lagerstätten | |
dagegen viel billiger angeboten. Das ist ein Grund, warum die hiesige | |
Öffentlichkeit nun darüber debattiert, o[2][b Industrieunternehmen | |
zusätzliche Energiepreis-Subventionen vom Staat erhalten sollen.] | |
Und aus Falcks Sicht könnten weitere Hürden den industriellen Weg in die | |
Zukunft erschweren. „Strukturelle Nachteile für die hiesige Industrie | |
liegen in der möglicherweise sinkenden Nachfrage infolge der Alterung der | |
Gesellschaft und im Mangel an Arbeitskräften.“ Ja, Deutschland muss einige | |
grundsätzliche Baustellen bearbeiten – aber ist der Begriff | |
„Deindustrialisierung“ nicht etwas weit hergeholt? Falck: „Wenn die Polit… | |
die Rahmenbedingungen für Investitionen angemessen setzt, rechne ich nicht | |
mit der Gefahr einer Deindustrialisierung, wohl aber mit einem starken | |
Strukturwandel.“ | |
4 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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