# taz.de -- Zensur im chinesischen TV: Die alte Paranoia | |
> Peking verbannt Schauspiel-Stars aus dem Fernsehen, die dem gewünschten | |
> Macho-Image nicht entsprechen. Man fürchte um die nationale Sicherheit. | |
Bild: Der Sänger Kris Wu entspricht dem Feindbild – und ist wegen sexuellen … | |
China ist längst zur politischen und wirtschaftlichen Weltmacht | |
aufgestiegen. Doch gleichzeitig hat die derzeitige Staatsführung in Peking | |
niemals ihre allumfassende Paranoia abgelegt. Diese Fragilität zeigt sich | |
aktuell besonders deutlich: Pekings Regierung fürchtet, die Jugend des | |
Landes könne nicht „männlich“ genug sein. | |
Vor einer Woche ordnete die staatliche Fernsehbehörde einen Boykott | |
androgyner Stars aus dem Showgeschäft an, die seit Jahren zu den | |
bestbezahlten Sängern und Schauspielern zählen. Sämtliche Männer „mit | |
weiblichem Stil und anderer abnormaler Ästhetik“ sollen aus dem TV verbannt | |
werden. In der offiziellen Ankündigung verwendeten die Regierungsvertreter | |
auch den überaus vulgären Begriff „Niang Pao“: eine beleidigende Abwertung | |
für feminine Männer. | |
Wer die soziokulturellen Zusammenhänge des Phänomens verstehen möchte, muss | |
ein wenig im Archiv kramen. Die androgyne Ästhetik, die der Kommunistischen | |
Partei ein Dorn im Auge ist, lässt sich zu den japanischen Manga-Comics der | |
1990er Jahre zurückverfolgen. Internationale Popularität erlangte der neue | |
Look vor allem im benachbarten Südkorea, wo nach der Jahrtausendwende | |
erstmals die sogenannten „Kkonminam“ auftauchten: wortwörtlich „schöne | |
Blumen-Jungen“. | |
Deren exaltierte Mode, sorgsam gestylte Haare und geschminkte Gesichter | |
waren damals durchaus auch ein rebellisches Statement. Zumindest grenzte | |
sich die Jugend zur älteren Generation an Männern ab, die sich – geprägt | |
durch den in Südkorea verpflichtenden Militärdienst – als harte Machos | |
präsentierten: kalte Miene, keine Emotionen und stets eine verspiegelte | |
Pilotenbrille im Gesicht. Das Schönheitsideal in Seoul hingegen könnte | |
gegensätzlicher nicht sein: weiche Gesichtszüge, „niedlicher“ Habitus und | |
Skinny Jeans zur geschminkt blassen Haut. | |
## Keine netten Bubis | |
Trotz der genderneutralen Ästhetik blieb diese zunächst reine Oberfläche: | |
Zwar spielten die aufkommenden koreanischen Boy Bands äußerlich mit | |
Geschlechter-Stereotypen, doch bedeutete dies nicht im Umkehrschluss, | |
[1][dass sich hinter dem Milchbubi-Gesicht nicht ein waschechter Chauvinist | |
versteckt.] | |
Mit der koreanischen Welle, dem Kulturexport der Popmusik und Fernsehserien | |
schwappten die „Blumen-Jungs“ auch in die Volksrepublik. Für die | |
konservative Staatsführung Pekings war der K-Pop-Hype schon damals ein Dorn | |
im Auge. Sie fürchteten um den Einfluss auf die heimische Jugend. Diese | |
Paranoia hat wohl auch vor allem damit zu tun, dass sämtliche Parteikader | |
mit nennenswerter Macht in China mindestens 60 Jahre alt und fast | |
ausschließlich männlich sind. | |
Etliche Politiker machten in den letzten Jahren die „Feminisierung“ der | |
Jugend für alle möglichen gesellschaftlichen Probleme verantwortlich: Mal | |
hieß es, dass die angebliche Verweichlichung für einen Anstieg an | |
Homosexualität sorgen würde. An anderer Stelle kritisierten vermeintliche | |
Experten, dass die Androgynität der männlichen Jugend deren mangelnde | |
Körperfitness widerspiegele. Nicht selten wurde gar ein Zusammenhang zu der | |
nationalen Sicherheit des Landes hergestellt: Wer sich die Haare stylt und | |
die Gesichtshaut schminkt, könne unmöglich sein Heimatland im Ernstfall | |
verteidigen. | |
Für die Tattoo-tragenden Celebrities mit den gefärbten Haaren hat sich auf | |
sozialen Medien längst ein abwertender Begriff durchgesetzt: „xiao xian | |
rou“, was sich in etwa mit „jungem Frischfleisch“ übersetzen lässt. | |
Vor Jahren bereits sorgte ein Pekinger Lehrer für mediale Schlagzeilen, als | |
er die durch „K-Pop korrumpierte Jugend“ mit einem eigens gegründeten | |
Bootcamp wieder zu Alpha-Männern umerziehen wollte – mit Box-Training und | |
Marschgesängen inklusive. Bi[2][slang jedoch konnte noch keine staatliche | |
Erziehungsmaßnahme der Attraktivität der neuen Männlichkeit etwas anhaben.] | |
9 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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