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# taz.de -- Rolle von Konfuzius in China: Bewusstsein der eigenen Geschichte
> Chinas Führung entdeckt Konfuzius neu. Doch was erzählt die Renaissance
> des Klassikers über das gegenwärtige chinesische Regime?
Bild: Repressive, aber auch sinnenfreudige Denktraditionen berufen sich auf Kon…
Unter der [1][Regierung von Xi Jinping] steht die traditionelle Kultur in
China wieder hoch im Kurs. Vergessen die Tage der Kulturrevolution, in
denen Konfuzius als reaktionär verschrien, Kulturgut willkürlich zerstört
wurde. Nun setzt [2][die KP China] alles daran, auf den Grundlagen der
traditionellen Kultur aufbauend eine neue kulturelle Blüte einzuleiten.
Unter Parteiführung soll sich der chinesische Traum (中國夢) erfüllen und …
neues wohlhabendes, selbstbewusstes China entstehen.
Der Identifikationsfigur des Konfuzius kommt in diesem Unterfangen eine
tragende Rolle zu. Zwar spricht die KP in ihren offiziellen Verlautbarungen
stets inklusiv von der „hochwertigen traditionellen Kultur Chinas
(中華的優秀傳統文化)“, womit auch mit dem Konfuzianismus konkurriere…
Denkrichtungen wie Daoismus und Legalismus einbezogen sind, sie führt
jedoch als Beispiele für diese Tradition fast ausschließliche Zitate aus
den konfuzianischen Klassikern an.
Immer wieder werden Grundsätze wie „Die Harmonie ist das wertvollste“, „…
du selbst nicht willst, tue keinem anderen an“, „Menschlichkeit heißt,
Menschen zu lieben“ etc. aus den „Gesprächen“ des Konfuzius als die
Grundpfeiler dieser traditionellen Kultur angeführt.
Doch was hat es nun eigentlich auf sich mit dieser konfuzianischen
Tradition, die solch griffige Lebensweisheiten bereithält? Wie verträgt sie
sich mit der historischen Realität?
Im Laufe der Jahrhunderte hat man sich auf sehr unterschiedliche Art und
Weise auf Konfuzius berufen. Unter einer Einlösung der historischen Mission
des Konfuzius versprach man sich stets sehr Unterschiedliches. Wer heute in
China von einer kulturellen Renaissance spricht, stellt sich nolens volens
in dessen Tradition.
## Repressive Wellen
Konfuzius (551–479 v. Chr.) selbst bezieht sich affirmativ auf die feudal
geordnete Zhou-Dynastie, deren kulturelle Leistungen er unter dem Begriff
der Menschlichkeit (ren 仁) zusammenfasst. In seinen „Gesprächen“ geht es…
die Frage, wie diese Menschlichkeit innerhalb eines rituell geordneten
Gemeinwesens verwirklicht werden könne. Die Herrscher seiner Zeit sind dazu
offensichtlich nicht mehr in der Lage. Zu den religiösen Voraussetzungen
der Zhou-Herrschaft wie zur politischen Organisation äußert sich Konfuzius
nur sparsam.
Diese Zurückhaltung kommt dem Konfuzianismus mit seiner Installierung als
offizieller Staatsphilosophie in der Han-Zeit (206 v. Chr.–220 n. Chr.)
abhanden. Der überragende konfuzianische Denker der Han-Dynastie Dong
Zhongshu (179–104 v. Chr.) verabsolutiert die Autorität des Kaisers unter
Berufung auf die höchste Gottheit tian 天 (den Himmel).
Gleichzeitig schreibt er die asymmetrischen zwischenmenschlichen
Beziehungen als gesellschaftliche Manifestationen kosmologischer Kräfte
fest. Die Loyalität dem Herrscher gegenüber sowie die Unterordnung der Frau
in der Ehe sind nun zu Naturgesetzen erhoben.
## Die Edlen und die Menge
In einer zweiten repressiven Welle etabliert sich während der Song-Zeit
(960–1279) eine konfuzianische Orthodoxie. Im Mittelpunkt dieser durch den
Universalgelehrten Zhu Xi (1130–1200) ausgearbeiteten Lehre steht der
Gegensatz zwischen den egoistischen menschlichen Trieben und der durch den
Himmel repräsentierten ewigen Prinzipien.
Während der „Edle“ seine egoistischen Triebe durch Introspektion selbst zu
überwinden weiß, ist für das gemeine Volk der Zugang zu den esoterischen
Lehren zu beschwerlich. Den Edlen fällt deshalb die politische Führung über
die zu erziehende Menge zu. Die autoritäre Grundausrichtung des
han-zeitlichen Konfuzianismus wird so noch durch ein elitäres Element
ergänzt. Innerhalb des chinesischen Denkens beansprucht diese orthodoxe
Leseart einen exklusiven Anspruch auf das Erbe des Konfuzius.
Die Jahrhunderte zwischen dem als Nachfolger des Konfuzius anerkannten
Menzius und den song-zeitlichen Konfuzianern werden als Irrweg abgetan.
Gegenüber Daoismus und Buddhismus gibt sich diese neue Form des
Konfuzianismus feindselig. Eine weitere Wendung nimmt das Verständnis von
Konfuzius in der Folge der Eroberung Chinas durch die Mandschuren im Jahre
1644.
## Sinnenfreundlich, egalitär
In der durch diese neu gegründeten Qing-Dynastie (1644–1911) kritisieren
konfuzianische Gelehrte nun die song-zeitlichen Metaphysiker um Zhu Xi als
weltfremd und unnütz. Sie seien mit ihrem „leeren Gerede“ für die
Schwächung Chinas und die Fremdherrschaft letztlich verantwortlich. Unter
den Kritikern tut sich der Gelehrte Dai Zhen (1724-1777) mit seinen
radikalen Thesen hervor.
Im direkten Gegensatz zu Zhu Xi setzt er auf die menschlichen Triebe. Diese
seien Teil des universalen, durch Himmel und Erde in Gang gehaltenen
Wandels und damit auch integraler Teil der menschlichen Existenz. Nicht
esoterische Introspektion sei notwendig, sondern die Regulierung der
menschlichen Triebe, zu der jeder Mensch kraft seiner Vernunft auch selber
fähig sei. Sinnenfreundlich und egalitär erscheint nun die Lehre des
verehrten Konfuzius.
Ging Dai Zhen gegen das autoritäre Menschenbild vor, so argumentiert der
zum Ende der Qing-Dynastie lebende Kang Youwei (1858–1927) gegen das
hierarchische Herrschaftsmodell. Angesichts der Bedrohung durch das
westliche Gesellschaftsmodell plädiert Kang Youwei für eine Aufhebung aller
gesellschaftlichen Grenzen.
Ausgehend von der prinzipiellen Gleichheit aller Dinge (wu 物) setzt er sich
nicht nur für die Gleichberechtigung der Frau, sexuelle Befreiung und die
Auflösung der Familienstruktur, sondern auch für die Überwindung der
natürlichen Grenzen zum Tierreich und zum Tod ein. Politisch soll eine
Weltregierung nach der Aufhebung aller Ländergrenzen die Geschicke der
Weltbevölkerung regeln. Diese Vision einer „großen Einheit“ sei die
versteckte Botschaft des Konfuzius in den klassischen Texten, so Kang
Youwei.
## Exklusiver Wahrheitsanspruch
Treten wir nach dieser Tour de Force durch die chinesische
Geistesgeschichte einen Schritt zurück: Wie steht es um die Renaissance des
Konfuzianismus in China heute? Im explizit elitären Anspruch der KP China
und in ihrem exklusiven Wahrheitsanspruch, verbunden mit ihrer selektiven
Wahrnehmung der Vergangenheit, schlägt die alte Orthodoxie des
song-zeitlichen Konfuzianismus durch.
Den Versuch, in jüngster Zeit soziale Bindungen durch den Rückgriff auf die
konfuzianische Sozialethik zu stärken, hat sich die KP China direkt bei
der Han-Dynastie abgeschaut. Der ausgrenzende, autoritäre Grundtenor
gegenüber allem, was der einen offiziellen Wahrheit widerspricht, erinnert
an die „alleinige Wertschätzung des Konfuzianismus“ der Han-Zeit, wie auch
die ablehnende Haltung gegenüber Daoismus und Buddhismus unter den
Konfuzianern der Song-Zeit.
Aber auch die Förderung der klassischen Bildung und deren Verbreitung, wie
sie seit einigen Jahren stattfindet, ist Teil der Wiederaufnahme
traditioneller Haltungen. Durch die Förderung des traditionellen Wissens
und dessen Verbreitung hat die jetzige Generation der Chinesen besseren
Zugang zur Tradition Chinas als je zuvor. Für welche Spielart des
Konfuzianismus sich China in Zukunft auch entscheiden mag, es wird in
vollem Bewusstsein der eigenen historischen Erfahrung geschehen.
28 Sep 2021
## LINKS
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[2] /Hundertjahrfeier-der-chinesischen-KP/!5779319
## AUTOREN
Wolfgang Schwabe
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