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# taz.de -- Wie Pegida ins Abseits marschierte: Sekte ohne Massenbasis
> Vor ein paar Jahren zog Pegida in Dresden Zehntausende an. Heute sind die
> Islamfeinde gesellschaftlich isoliert, aber noch radikaler.
Bild: Auch modisch konnte sich Pegida nicht durchsetzen: Anhänger in Dresden
DRESDEN taz | „Da kommt die dumme Sau!“ Die despektierliche Bemerkung, die
ein protestierender Vater seinem halbwüchsigen Sohn vergangenen Donnerstag
in Dresden zuraunte, galt der Bundeskanzlerin. [1][Von den etwa 200 Pegida-
und AfD-Demonstranten nahm Angela Merkel gleichwohl keine Notiz], als sie
vor dem sächsischen Landtag aus dem Auto stieg.
Seit dreieinhalb Jahren löst vor allem sie als „Volksverräterin“ und
„Heuchlerin“ Beißreflexe bei der Neuen Rechten aus. Auffällig war auch an
diesem Merkel-Besuchstag in Dresden wieder der gemeinsame Auftritt von
Pegida-Aktivisten und AfD-Mitgliedern. Der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban
und Landtagsabgeordnete ruft in sein Megafon, während auch Jürgen Elsässers
Magazin Compact mit einem großen Plakat auf sich aufmerksam macht.
Mit ihrer Marginalisierung und dem Verlust ihrer Massenbasis ist die
Dresdner Pegida-Bewegung in jene Ecke einer rechten Sekte gerückt, in die
sie anfangs teils zu Unrecht gestellt wurde. Als um die Jahreswende 2014/15
noch bis zu 25.000 Menschen den „Patriotischen Europäern gegen die
Islamisierung des Abendlandes“ folgten, schreckte dies Politiker in der
gesamten Republik auf. Heute nimmt außerhalb eines Stammpublikums niemand
mehr Notiz von den montäglichen „Abendspaziergängen“. Seit zwei Jahren
stagniert die Teilnehmerzahl nach Angaben der Initiative „durchgezählt“ bei
etwa 1.500 Menschen.
Schon bei der Pegida-Spaltung im September 2016 hatte der radikalere Flügel
um Tatjana Festerling die immer gleichen Empörungsrituale als
„Widerstandsparty“ kritisiert. „Ob da nun 3.000 Leute marschieren oder
nicht – es ändert sich sowieso nichts“, ätzte der Abtrünnige Heiko Müll…
aus dem ehemaligen Orga-Team um Anführer Lutz Bachmann. Zugleich hat sich
der verbliebene Kern so radikalisiert, wie es Politikwissenschaftler und
Soziologen vorhergesagt hatten. Wie Junkies müssen sie mit immer härteren
verbalen Drogen bei Laune gehalten werden. Im Bachmann-Jargon gibt es nur
„Idioten“ in der Politik. Journalisten nennt er unter dem Gejohle der Menge
„fürstlich bezahlte mutmaßlich hirntote Lügenmäuler“.
## Holocaust-Leugnerin, 89, in Haft
Am Rande der Kundgebungen tummeln sich immer häufiger Gruppen, die auch die
Staatsanwaltschaft beschäftigen. „Freiheit für Ursula Haverbeck“ forderte
jüngst ein Stand der Bürgerinitiative Heidenauer Wellenlänge. Die
89-jährige Holocaust-Leugnerin sitzt in Haft und machte in Sachsen schon
mit dem Plan für eine Gedenkstätte in Borna von sich reden. Die Polizei
beschlagnahmte DVDs, darunter eine, auf deren Cover der Hitlergruß gezeigt
wurde. Eine Lautsprecheranlage von Reichsbürgern wurde konfisziert, weil
sie diese nicht ausschalten wollten.
Nicht nur Redner, auch Demonstranten rutschen allmählich unter das
angeblich von ihnen zu verteidigende christlich-abendländische
Kulturniveau. Als am 25. Juni der Konflikt um das Flüchtlingsrettungsschiff
„Mission Lifeline“ erwähnt wurde, skandierte die Menge: „Absaufen,
absaufen!“ Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ansonsten sind seit
dreieinhalb Jahren dieselben Rufe zu hören. „Merkel muss weg“,
„Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ gehören zum Pegida-Repertoire.
Am 14. Mai dieses Jahres kamen allerdings Rufe wie „Höcke, Höcke“ und „…
hinzu. Erstmals sprach der AfD-Rechtsaußen vor Pegidianern auf dem Dresdner
Postplatz und bekräftigte so den Schulterschluss mit der Protestbewegung.
Sachsens AfD-Landesvorsitzender Jörg Urban hatte sich zuvor schon gegen das
Kooperationsverbot ausgesprochen. Pegida-Vertreter waren im Februar ganz
selbstverständlich auf dem AfD-Landesparteitag erschienen. Ein harter
Unterstützerkreis folgt ohnehin Höcke-Auftritten als Demotouristen, so
beim 1. Mai in Zwickau. Höcke bedankte sich in Dresden: Pegida werde
gebraucht für einen „kräftigen Tritt in den Hintern der Partei“. Das
scheint allerdings nur noch für Dresden zu gelten. Alle anderen Ableger wie
in München oder „Legida“ in Leipzig bringen bestenfalls noch 150 Leute auf
die Straße. Mehr Gegendemonstranten werden in Dresden allerdings auch
selten gezählt, während das Verhältnis in anderen Städten umgekehrt ist.
Die Akzeptanz bei der Dresdner Stadtbevölkerung ist nach einer Umfrage aus
dem Vorjahr jedoch deutlich gesunken, auch wenn laut Umfragen immer noch 5
Prozent die Pegida-Thesen ganz und 26 Prozent bedingt teilen.
## Halbwelttyp
Zum Niedergang des Pegida-Images hat nicht nur die Übernahme ihrer Ziele
wie die Hermetisierung Deutschlands und deren Popularisierung durch die AfD
beigetragen. Auch das Personal fällt immer offensichtlicher nicht unter die
Kategorie des braven wohlanständigen Bürgers, den die Bewegung angeblich
repräsentieren will. Die kriminelle Vergangenheit von Lutz Bachmann wurde
von seinen Anhängern stets hartnäckig verdrängt. Aber der Halbwelttyp legt
nach. 2016 wurde er für die Bezeichnung von Flüchtlingen als „Viehzeug“,
„Gelumpe“ und „Dreckspack“ wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von
knapp 10.000 Euro verurteilt. Aus ähnlichen Gründen ermittelt jetzt die
Berliner Polizei nach Bachmanns Falschdenunziation im Fall der getöteten
Schülerin Keira. Die britischen Behörden ließen ihn im März nicht zu einem
Treffen mit dem Nationalisten Tommy Robinson einreisen.
Wegen Volksverhetzung verurteilt wurde auch der deutsch-türkische Autor und
Pegida-Redner Akif Pirinçci. Publikumsliebling und Würzburger Waffenhändler
„Ed“ Edwin Wagensvald aus Holland sitzt zwei Jahre und neun Monate, weil er
dem Fiskus knapp eine halbe Million Euro vorenthalten hat.
Vom anfangs messbaren Imageschaden wegen der Pöbler von Pegida hat sich
Dresden schnell erholt. Die Zahl der Touristen steigt wieder, im ersten
Quartal 2018 sogar zweistellig. Knapp 419.000 Gäste kamen in die
Halbmillionenstadt. Vor allem, um am Montag Pegida zu bestaunen, wie
Bachmann behauptete. Wahrnehmungsstörungen sind ein Markenzeichen von
Pegida. Sie gehen mit einer Selbstverklärung als Revolutionäre einher und
zeigen so erst recht ihre wachsende Isolation. Pegida sieht sich aber
weiter als Vorkämpferin der kommenden Machtübernahme. „Wir bleiben, bis wir
siegen, und wir werden siegen!“, putscht Lutz Bachmann seine verbliebenen
Anhänger auf.
23 Aug 2018
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## AUTOREN
Michael Bartsch
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