| # taz.de -- Weniger Gerichtsstandorte: Aufstand gegen Justizreform in Schleswig… | |
| > Schleswig-Holsteins Justizministerin von der Decken (CDU) will Standorte | |
| > zusammenlegen. Verbände kritisieren „Einschnitt für den Rechtsschutz“. | |
| Bild: In Zukunft womöglich nur noch an wenigen Orten in Schleswig-Holstein ver… | |
| Kiel taz | Mit Plakaten und Sprechchören haben sich am Donnerstag | |
| [1][Demonstrierende vor dem schleswig-holsteinischen Landtag] versammelt, | |
| im Gepäck eine Petition gegen die Justizreform, die Ministerin Kerstin von | |
| der Decken (CDU) plant. | |
| Mehr als 3.500 Unterschriften sammelte ein Bündnis unterschiedlichster | |
| Gruppen, darunter Gewerkschaften, Sozialverbände und Jurist:innen, gegen | |
| die Idee, Gerichtsstandorte zu schließen und [2][Verfahren aus den | |
| Bereichen Soziales und Arbeit nur noch an einem Ort zu verhandeln]. Nun | |
| steht eine juristische Prüfung der Reform im Raum. | |
| Der Grund der Reform, die von der Decken im September vorstellte, ist | |
| schnell benannt: Es geht um Geld. Das Land schiebt einen Schuldenberg vor | |
| sich her, [3][im Haushalt klafft eine Deckungslücke]. Daher sind alle | |
| Ministerien aufgefordert, in ihrem Bereich nach Streichmöglichkeiten zu | |
| schauen. | |
| „In einer idealen Welt würde man bei der Justiz nicht sparen“, sagte von | |
| der Decken, die selbst Juristin ist. „Wir sind allerdings nicht in einer | |
| idealen Welt.“ Im Haushalt ihres Ministeriums gebe es nur zwei Posten: | |
| Menschen und Gebäude. Beim Personal solle nicht gekürzt, sondern sogar noch | |
| um 25 Planstellen aufgestockt werden. Weniger ausgeben will das Land im | |
| Gegenzug für die Häuser. | |
| ## Sanierungsbedarf 500 Millionen Euro | |
| 22 Amts- und vier Landgerichte gibt es zurzeit im Flächenland mit seinen | |
| rund drei Millionen Einwohner:innen. Dazu kommen das Oberlandes- und das | |
| Verfassungsgericht sowie Fachgerichte, etwa für Soziales und Arbeit mit je | |
| vier beziehungsweise fünf Standorten, oft nicht im selben Gebäude wie die | |
| Amtsgerichte. Viele der Häuser sind sanierungsbedürftig. Insgesamt wären | |
| rund 500 Millionen Euro fällig, um sie instand zu setzen. | |
| Statt zu sanieren, will das Ministerium konzentrieren: Künftig sollen die | |
| Verfahren nun nur noch an einem Ort stattfinden. Im Gespräch ist | |
| Neumünster, das geografisch etwa in der Landesmitte liegt. Damit sollen für | |
| die beiden Bereiche Soziales und Arbeit nur noch je zwei Gerichte – für die | |
| erste und die zweite Instanz – übrigbleiben. | |
| Die Ministerin verweist auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, bei der das | |
| bereits seit Längerem so ist. In einem zweiten Schritt der Reform könnte | |
| auch die Zahl der Amtsgerichte auf 15 gesenkt werden. | |
| „[4][Grundfalsch]“, finden das Christine Schmehl, Vorsitzende des | |
| Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes, und Michael Burmeister, Sprecher | |
| des Landesverbands der Neuen Richtervereinigung. Beide Gruppen sehen den | |
| ortsnahen Zugang in Gefahr, der gerade bei Sozial- und Arbeitsverfahren | |
| wichtig sei, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben. | |
| Teils vertreten sich die Betroffenen bei solchen Prozessen selbst. Darunter | |
| sind zum Beispiel chronisch Kranke, die sich mit der Krankenkasse streiten, | |
| oder Bürgergeldempfänger:innen, die Einspruch gegen Bescheide erheben. | |
| Kritik kommt auch von einem weiteren Duo, das meist auf verschiedenen | |
| Seiten steht: Ann Sophie Mainitz, Geschäftsführerin des Kieler | |
| Mietervereins, und Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher | |
| Wohnungsunternehmen, warnen gemeinsam vor steigenden Kosten, mehr Aufwand | |
| und längeren Verfahren. | |
| Das betreffe etwa „Beratungsklassiker“ wie Mieterhöhungen, Betriebs- und | |
| Heizkosten. „Dabei wird häufig ein Ortstermin durchgeführt, der | |
| möglicherweise nicht mehr im erforderlichen Umfang stattfinden würde“, | |
| befürchtet Mainitz. Die geplante Reform sei ein „schwerer Fehler, ein | |
| tiefgreifender Einschnitt für den Rechtsschutz im Flächenland | |
| Schleswig-Holstein“. | |
| Die Opposition ärgert sich vor allem über den Umgang des Ministeriums mit | |
| den Justiz-Beschäftigten, für die die Reform weitere Wege zur Arbeit | |
| bedeuten würde und die vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. | |
| „Eine [5][Kommunikationsweise, die eher in die Kaiserzeit gehört“, sagt | |
| Marc Timmer (SPD)]. „Fassungslos“ über die Art des Verfahrens zeigte sich | |
| Bernd Buchholz (FDP). | |
| Auch die Grünen als Koalitionspartner der CDU sehen die Reform kritisch, | |
| versprechen aber, einen geplanten „Beteiligungsprozess“ mit Justiz, | |
| Gewerkschaften und Ministerium „kritisch-konstruktiv mitzugestalten“, so | |
| heißt es in einem Antrag, den der Landesparteitag vor einer Woche | |
| verabschiedete. | |
| Ministerin von der Decken versicherte, sie nehme die Sorgen ernst, erklärte | |
| aber: „Wir müssen die Strukturen so anpassen, dass wir sie zukünftig | |
| effizient betreiben und finanzieren können.“ Sie verwies auf neue | |
| Möglichkeiten, etwa Videoverhandlungen. Die FDP kündigte nun an, prüfen zu | |
| lassen, ob die Reform verfassungsgemäß ist: „Ich halte es für unzumutbar, | |
| dass jemand aus Niebüll 140 Kilometer zum Sozialgericht in Neumünster | |
| fahren muss“, sagte Bernd Buchholz. | |
| 17 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://kielregion.dgb.de/presse/++co++87076f7a-8647-11ef-a9b7-d705e0c73891 | |
| [2] /Schleswig-Holstein-konzentriert-Gerichte/!6035664 | |
| [3] /Neue-Finanzministerin-in-Kiel/!6016335 | |
| [4] /Zentralisierung-von-Gerichten/!6035665 | |
| [5] https://www.landtag.ltsh.de/export/sites/ltsh/infothek/wahl20/plenum/plenpr… | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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