# taz.de -- Weltweites Artensterben: Der Weckruf für die Menschheit | |
> Drei Jahre lang wurden Studien zum Leben von Tieren und Pflanzen | |
> ausgewertet. Der Weltbiodiversitätsrat fordert einen rigorosen | |
> Systemwechsel. | |
Bild: Zwei Drittel der Meere sind geschädigt, ein Drittel der weltweiten Fisch… | |
Die Zerstörung der Natur hat lebensbedrohliche Ausmaße für die Menschheit | |
angenommen. „Wir zerstören die Basis unserer Wirtschaft, Lebensgrundlage, | |
Nahrungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität weltweit“, sagt Robert | |
Watson, Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrates IPBES der UN. Er und seine | |
KollegInnen aus 50 Ländern fordern eine „tiefgreifende, systemweite | |
Veränderung der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren, | |
einschließlich der Ziele und Werte.“ | |
„Nur mit einem tiefgreifenden Wandel können wir die Natur noch erhalten, | |
wiederherstellen und nachhaltig nutzen“, sagt Robert Watson in einem | |
Bericht des Weltbiodiversitätsrats an die Menschheit. So wie der | |
Weltklimarat regelmäßig die wissenschaftlichen Studien zum Klimawandel | |
analysiert, haben 150 BiologInnen, ÖkologInnen und | |
SozialwissenschaftlerInnen die vergangenen drei Jahre wissenschaftliche | |
Studien zum Leben von Tieren und Pflanzen an Land und in den Ozeanen | |
ausgewertet. Fazit: Die Menschheit vernichtet die Grundlage ihres Lebens. | |
Allein die Zahlen sind erschreckend: Eine Million Tier- und Pflanzenarten | |
sterben in den nächsten Jahren aus, einen Großteil von ihnen werden | |
Menschen nie entdeckt haben. Zwei Drittel der Meere und 60 Prozent der | |
Landökosysteme sind geschädigt. Hauptverantwortlich für das Sterben der | |
Arten und den Verlust der Ökosysteme sind extreme Landnutzung für Viehzucht | |
und den Anbau von Nahrungsmitteln. Auch die Weltmeere leiden unter dem | |
extremen Hunger der Menschheit. Ein Drittel der weltweiten Fischbestände | |
sind überfischt – das heißt die Bestände werden sich nicht erholen oder | |
nur, wenn sofort die Fischerei eingestellt wird. | |
## Noch bleibt Zeit zu handeln | |
Hinzukommt, dass die Fischereiindustrie 60 Prozent der Fischbestände und | |
essbaren Fischarten bis zum sogenannten maximal nachhaltigen Zustand | |
ausgebeutet haben. Auch diese Arten wie Kabeljau, Hering, Dorsch oder | |
Scholle werden nur als Fisch auf den Teller gelangen, wenn die | |
Fischerindustrie sich an die natürlichen Rhythmen des Wachstums hält. Was | |
in Deutschland ein Luxusthema ist, ernährt in anderen Weltregionen die | |
Menschen. Fisch gehört in Afrika und Asien zu den wichtigsten Eiweißquellen | |
und Nahrungsmitteln der Menschheit. | |
Allein 30 Millionen FischerInnen leben weltweit vom Fischfang auf lokalem | |
Niveau. Wenn wie vom IPBES erwartet in den nächsten Jahren die essbaren | |
Fischarten um ein Viertel zurückgehen, haben diese Menschen kein Einkommen | |
und Millionen weitere mit ihnen keine Nahrung. | |
Das Beispiel Fisch verdeutlicht, die Auswirkungen der Naturzerstörung für | |
die Menschheit. Noch sei Zeit zu handeln, um den Verlust an Lebensräumen, | |
Tieren und Pflanzen aufzuhalten, sagt Watson. „Es ist noch nicht zu spät, | |
um einen Unterschied zu machen – aber nur wenn wir jetzt anfangen, jeden | |
Bereich lokal und global zu verändern.“ | |
## Biologische Vielfalt als Querschnittthema | |
Einen „Weckruf“ nennt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) den | |
Bericht der Weltbiodiversitätsrates. „Es geht um nichts weniger, als um die | |
Frage ob wir auf dieser Erde überleben“, sagt Schulze, sich sehr wohl | |
bewusst, dass es pathetisch klingt. Die Analyse der 150 | |
WissenschaftlerInnen aus 50 Ländern im Weltbiodiversitätsrat IPBES lässt | |
keinen gedanklichen Spielraum. „Nach dem IPBES Bericht kann keiner sagen, | |
wir haben es nicht gewusst“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für | |
Umweltforschung in Halle, der als Co-Vorsitzender den Bericht | |
mitverantwortet. | |
Er fordert, dass die verschiedenen Bereich in Politik und Wirtschaft | |
„kooperativ“ zusammenarbeiten. „Wir müssen alles besser zusammenbringen, | |
damit auch Subventionen nicht kontraproduktiv wirken“, sagt Settele. Die | |
biologische Vielfalt muss also wie ein Querschnittthema über allen | |
Politikfeldern mitgedacht werden. „Der Bericht sagt uns sehr klar, was wir | |
tun müssen“, sagt Bundesumweltministerin Schulze. | |
Sie will nun mit Hochdruck ihr „Aktionsprogramm für den Insektenschutz“ | |
durch das Bundeskabinett bringen und ihre KabinettskollegInnen für | |
Landwirtschaft, Verkehr und auch Finanzen verpflichten, am Artenschutz zu | |
arbeiten. Sie hofft in Deutschland und auch international wie bei den G7 | |
Konferenzen auf die Zusammenarbeit und eine Veränderung. „Wir brauchen ein | |
weltweites Abkommen wie im Klimaschutz“, sagt Schulze. Gelegenheit dafür | |
hat sie im kommenden Jahr auf der Weltbiodiversitätskonfenz in China. | |
Der IPBES Bericht wurde als Grundlage dafür erstellt. Eine Woche haben 150 | |
WissenschaftlerInnen aus 50 Ländern in Paris beraten, was Hunderte ihrer | |
KollegInnen in den vergangenen drei Jahren aus wissenschaftlichen Studien | |
und staatlichen Unterlagen erarbeitet haben. Aus den Studien haben die | |
Wissenschaftlerinnen sechs mögliche Szenarien von „Weiter so bisher“ bis | |
hin zu „lokaler Nachhaltigkeit“ entwickelt. Ein Überleben der Menschheit | |
über die nächsten 100 Jahre hinaus sehen die Wissenschaftler nur in den | |
drei nachhaltigen Szenarien, die einen tiefgreifenden Systemwechsel | |
beeinhalten. „Der Verlust an biologischer Vielfalt ist auch ein Beleg | |
dafür, dass sie die Entwicklungsziele der UN gefährden“, sagt Watson. | |
6 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
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