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# taz.de -- Neuer Protest von KlimaaktivistInnen: Tod auf Probe für den Klimas…
> Mit ungewöhnlichen Mitteln sucht man bei Extinction Rebellion nach
> Aufmerksamkeit. Am 15. April wird zur „Rebellion Week“ gerufen.
Bild: Aktiv gegen den Klimawandel: Die-in am Flughafen Tegel
Fluggäste und Airport-Angestellte laufen eilig hin und her. Routiniert
balancieren sie Rollkoffer, Pappbecher und Smartphones – am Flughafen Tegel
läuft an diesem grauen Samstag alles den gewohnten geschäftigen Gang.
Plötzlich fällt eine Gruppe von etwa 15 Menschen zu Boden, reglos bleiben
sie auf dem kalten Stein liegen. Ihre Gliedmaßen wie tot von sich
gestreckt, bilden sie ein Netz – und versperren große Teile des Gangs. Der
Strom der Vorbeiziehenden wird gestört, manche bleiben stirnrunzelnd
stehen, fotografieren, andere drängen ungerührt daran vorbei.
Dass es sich nur um Scheintote handelt, ist schnell zu erkennen an
mitgebrachten Schildern und Fahnen in Signalfarben. Sie zeigen
Ausrufezeichen und eine an Runen erinnernde Sanduhr. „Flugverkehr tötet“
und „Hope dies, action begins“ ist auf den Schildern zu lesen.
Mit solchen sogenannten Die-ins „stören“ die KlimaaktivistInnen von
Extinction Rebellion, kurz XR, dort, wo Klimaschutz ihrer Ansicht nach zu
wenig Beachtung findet. So machten sie das Mitte März im Estrel-Hotel in
Neukölln, wo der Verband der Automobilindustrie zur „Zukunft der Mobilität�…
tagte, und regelmäßig auf dem Alexanderplatz, Potsdamer Platz und vor dem
Hauptbahnhof. Gern blockieren sie auch Verkehrswege in kleinen Schwärmen.
Seit der Gründung der Berliner Ortsgruppe im Dezember des vergangenen
Jahres gab es rund 20 solcher Aktionen „zivilen Ungehorsams“, die jedoch
noch nicht so drastisch ausgefallen sind wie in England, wo sich Extinction
Rebellion im Herbst 2018 gegründet hat.
„Wir haben die Wahl: Entweder wir geben uns dem Tod hin, oder wir
rebellieren, um die politischen Eliten dazu zu bringen, unser aller
Überlebenschancen zu maximieren“, sagt XR-Mitbegründer Roger Hallam. Bei
einer gemeinsamen Aktion mit anderen Klimagruppen wurden in London
eimerweise Kunstblut vor die Türen der Downing Street gekippt. [1][Am 17.
November] rief XR zum „Rebellion Day“ auf und blockierte fünf zentrale
Brücken der Themse-Metropole. 6.000 Menschen legten den Großstadtverkehr
lahm, 85 Protestierende wurden verhaftet.
## Mediale Aufmerksamkeit gesucht
Vor Verhaftungen schrecken die AktivistInnen nicht zurück, sie legen es
ausdrücklich darauf an, um mediale Aufmerksamkeit für die Dringlichkeit
ihrer Aktionen zu erreichen.
Seichte Methoden, die von Politik, Bildung und großen NGOs in den letzten
Jahrzehnten verfolgt wurden, hätten ihre Untauglichkeit gezeigt, „den
nötigen politischen Druck zu erzeugen, den wir gebraucht hätten“, meint
Nick Holzberg aus der Berliner Ortsgruppe. Diesen Druck will Extinction
Rebellion erzeugen und einige Beispiele zeigen, dass die Bewegung in
England, wo sie bereits große mediale Aufmerksamkeit erlangt hat,
tatsächlich politische Reaktionen auslöst.
So wurden Ende 2018 im Guardian zwei offene Briefe von XR veröffentlicht,
die von Hunderten berühmten WissenschaftlerInnen und Prominenten wie der
Ökologin und Frauenrechtlerin Vandana Shiva und dem Linguisten Noam
Chomsky unterschrieben wurden. Daraufhin rief nach der Stadt Bristol auch
Londons Bürgermeister Sadiq Khan den „ökologischen Notstand“ aus. Ein
wichtiges Zeichen und eine Antwort auf die erste von den drei einfachen,
aber umso ambitionierteren Forderungen der KlimaaktivistInnen: Sie fordern
erstens politische Transparenz bezüglich der „tödlichen Bedrohung durch die
ökologische Krise“. Zweitens sei eine Erreichung der sogenannten
Netto-null-Emission bis 2025 (also eine Senkung des Ausstoßes der
Treibhausgase auf null) notwendig, um eine drohende Erderwärmung von über
1,5 Grad zu verhindern, die drastische Verluste der Biodiversität zur Folge
hätte, wie es auch der Bericht des Weltklimarates IPCC bestätigt. Drittens
fordert XR die Einrichtung eines BürgerInnenrates zur unabhängigen
Kontrolle entsprechender umweltschützender staatlicher Handlungen.
## Bewegung mit Prinzipien
Bei ihren Aktionen verfolgt die Bewegung [2][zehn Prinzipien] wie zum
Beispiel den Anspruch, trotz einer Bereitschaft zur individuellen Änderung
des Lebensstils das System und nicht den Einzelnen anzugreifen und
verantwortlich zu machen.
Seit der Gründung im vergangenen Jahr hat sich Extinction Rebellion quasi
verselbstständigt. Die Bewegung existiert bereits in 14 Ländern – allein in
Deutschland in 30 Städten. In dieser schnellen internationalen Entwicklung
ähnelt sie der weltweiten SchülerInnenbewegung. Mit Fridays for Future
teilt XR nicht nur ein gemeinsamen Ziel, sondern auch die Basis einer
Offenheit, die es allen erlaubt, beizutreten, Demonstrationen zu
organisieren und Ortsgruppen zu gründen.
Extinction Rebellion Berlin hält donnerstags offene Treffen im Platzhaus
auf dem Teutoburger Platz ab und zählt momentan circa 50 bis 100 aktiv
Teilnehmende. Doch ihr wirkliches Auftaktevent kommt erst noch: Zum 15.
April sind alle deutschen Ortsgruppen und auch andere Bewegungen wie
Fridays for Future und Ende Gelände eingeladen, in Berlin gemeinsam und mit
massenhaften Blockaden zu streiken. Im Fokus sollen der Reichstag und die
Jannowitzbrücke stehen. Der 15. April ist gleichzeitig der Startschuss für
die „Rebellion Week“, zu der KlimaaktivtistInnen weltweit zum Protest
aufrufen. In London ist eine zweiwöchige Besetzung der Stadt mit Zelten,
also eine Art Klima-Occupy, geplant, in Berlin sollen vom 15. bis 27. April
Performances, Demonstrationen sowie Straßenblockaden stattfinden.
## Angebote zum Lernen
Im Vorfeld gibt es dazu in Berlin und anderen Städten Workshops und
Trainingsangebote: nicht nur zur effizienten Blockade von Verkehrswegen
oder zum Verhalten gegenüber der Polizei, sondern auch zu Kunst,
Performances und einer sogenannten „regenerative culture“. Hier werde
darauf geachtet, dass trotz des todernsten Themas keine “toxische Stimmung“
herrsche.
Ein positives, nachhaltiges Gruppenverhalten könne sich auf die
Gesamtgesellschaft auswirken, wie Nick Holzberg erklärt. Der 23-Jährige
schloss sich XR Berlin im Dezember an. Nach beendetem Studium in Maastricht
habe er nun Zeit und glücklicherweise eine finanzielle Unterstützung durch
die Eltern, sodass er sich voll für den Klimaprotest einsetzen könne. Er
schätzt die große Diversität der Gruppe: “Hier hast du eben auch viele
Sechzigjährige oder Muttis mit Kind. Wir wollen das Thema in die Mitte der
Gesellschaft bringen.“
Cléo Mieulet, die ebenfalls seit Dezember bei XR Berlin mitwirkt, betont
die Flexibilität der Gruppe. Wegen ihrer drei Kinder möchte sie nicht “aufs
Ganze gehen“ und eine Verhaftung riskieren. KritikerInnen bezeichnen das
apokalyptische Erscheinungsbild von Extinction Rebellion bei ihren Aktionen
als unvorteilhaft; sie meinen, Menschen würden sich als Reaktion darauf nur
noch mehr abschotten. Cléo Mieulet beschreibt ihre Erlebnisse bei den
Blockaden dagegen als “spielerisch“ und “positiv“. „Friedlicher zivil…
Ungehorsam“, wie ihn XR betreibe, sei ein kreativer Gegenentwurf zum bloßen
Lamentieren über die Ohnmacht gegenüber der Klimakrise. “So können wir das
Trauma über die Krise aus den Menschen rauskitzeln. Im Gespräch merkt man
ja: die wissen es alle und finden es auch wichtig. Es gibt nur so eine ganz
starke innere Blockade!“
Nick Holzberg steht auch zu den drastischeren Methoden der Bewegung und
antwortet auf die Frage, ob es nicht strategisch unklug sei, durch negative
Symbolik von Tod und dem Ablaufen der Zeit, also „Angstmache“, etwas
bewegen zu wollen: “Vielleicht nicht besonders klug, aber notwendig.“
11 Apr 2019
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/ExtinctionRebellion/videos/rebellion-day-171118/23…
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Extinction_Rebellion
## AUTOREN
Zora Schiffer
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