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# taz.de -- Forschungsprogramm zur Biodiversität: Neues Wissen für den Artens…
> Die Biodiversitätsforschung in Deutschland wird neu aufgestellt.
> Förderprogramme sollen dem zunehmenden Artenverlust entgegenwirken.
Bild: Biotope schützen: Sumpflandschaft mit Totholz
Berlin taz | Der massive Rückgang von Tier– und Pflanzenarten, der
gegenwärtig auf der internationalen Artenschutzkonferenz in Paris auf
politischer Ebene beraten wird, stellt auch eine Herausforderung für die
Wissenschaften dar. Weil es noch immer große Lücken in der Kenntnis von der
Vielzahl der Spezies und den Wechselwirkungen der Biodiversität gibt, hat
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jetzt für
Deutschland eine neue „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“
mit einem Fördervolumen von 200 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre
gestartet.
„Der stumme Frühling ist bereits Realität“, stellt Volker Mosbrugger fest.
„Das macht uns Naturforschern schon große Angst.“ Mosbrugger ist
Generaldirektor des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt am Main und
leitete im Auftrag des Forschungsministeriums eine 40-köpfige
Expertengruppe, die in einjähriger Arbeit das Grundlagenkonzept für das
neue Förderprogramm erarbeitete.
„Geschwindigkeit und Umfang des Artenverlustes sind außergewöhnlich“,
beschreibt der Paläontologe Mosbrugger den Handlungsdruck. Er laufe,
angetrieben durch Klimawandel und Verlust an Lebensräumen, derzeit um den
Faktor 100 bis 1.000 schneller ab als die bisherigen Massensterben in der
Erdgeschichte. Allein die Zahl der Fluginsekten habe in den letzten
Jahrzehnten um 75 Prozent abgenommen. Vom Wiedehopf leben nur noch 400
Brutpaare in Deutschland. Fast jede dritte heimische Wildpflanze ist vom
Aussterben bedroht, beispielsweise die Arnika oder die Kornrade.
Die bisherige biologische Artenforschung war – entsprechend der generellen
Wissenschaftsentwicklung – auf immer mehr Spezialisierung ausgerichtet. Der
neue Ansatz in der deutschen Biodiversitätsforschung will dagegen die
vorhandene Kenntnisse miteinander verknüpfen und über dieses neue
„Systemwissen“ eine bessere Wirkung des praktischen Artenschutzes
erreichen. Aus Sicht des BMBF gibt es einen „dringlichen Bedarf von
wissenschaftlich untermauerten Handlungsoptionen, um eine Trendwende beim
anhaltenden Artenverlust einzuleiten“.
Mit dem neuen Ansatz verfolgt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek
auch eine gesellschaftliche Breitenwirkung, wie sie bei der Vorstellung des
Programms betonte: „Der Artenverlust stellt auch eine Bedrohung für uns
Menschen dar, und er bewegt die Menschen in unserem Land.“ Daher sollen die
neuen nachhaltigen Lösungen zum Schutz der Artenvielfalt nicht von den
Wissenschaftlern allein, sondern „gemeinsam mit Verantwortlichen aus
Politik und Wirtschaft, Verbrauchern und Bürgern erarbeitet“ werden.
## Raus aus der Ökonische
Der Artenschutz will heraus aus der Ökonische und bewusstseinsbildend auf
übergreifende Bereiche wie Politik und Wirtschaft einwirken. Auch
Handlungsfelder auf der privaten Ebene wie Konsum, Ernährung und Wohnen
sollen erreicht und beeinflusst werden.
Auf drei Aktionsfeldern will die neue Biodiversitätsinitiative in den
nächsten fünf Jahren vorankommen. Zum einen soll ein „Effizienzsprung bei
der Erfassung biologischer Vielfalt anhand innovativer Techniken“ erreicht
werden. Dazu gehören sowohl die Digitalisierung der Bestände in den
deutschen Naturkundemuseen und die Vernetzung dieser Informationen als auch
die aktuelle Erfassung des Umweltzustands durch Sensoren und andere
Messtechniken. Auf diese Weise kommen große Datenbestände (Big Data)
zusammen, die über künstliche Intelligenz zu neuen Ergebnissen führen
können.
Gefördert werden aber auch „Prozesse zur Einbindung interessierter Bürger
(Citizen Science) in das Biodiversitätsmonitoring“, wie es im Programm
heißt.
Das zweite Aktionsfeld („Ursachen, Dynamiken und Folgen von
Biodiversitätsveränderungen“) zielt auf eine vertiefte Ebene der Analyse.
Damit wird unter anderem auf aktuelle Wissensdefizite reagiert, die zurzeit
etwa die Maßnahmen gegen das Insektensterben blockieren. Sind Insektizide
und andere Agrochemikalien der modernen Landwirtschaft der zentrale
„Bienenkiller“? Oder wiegt der Verlust an Lebensräumen durch Baugebiete und
neue Straßen noch schwerer?
Und wie hängen komplette Ökosysteme zusammen, etwa in der Nahrungskette:
Ohne Insekten und Regenwürmer gibt es auch für Vögel kein Überleben. Von
besonderem Interesse sind hier die sogenannten Kipppunkte, an denen sich
Ökosysteme unrevidierbar verändern. Das kann im Agrarbereich auch die
Lebensmittelversorgung der Menschen betreffen.
## Praktische Lösungen
Im dritten Handlungsfeld sollen schließlich aus dem neuen Datenbestand und
Wissen um Zusammenhänge praktische „Systemlösungen und Maßnahmeportfolien�…
entwickelt werden. Hier wird es um Veränderungen im wirtschaftlichen
Bereich gehen. Geplant ist auch die „Erarbeitung von Lösungskonzepten in
Modellregionen unter Einbindung lokaler Akteure“. Ziel ist es, wie es das
Programm formuliert, „mittels konkreter Handlungsoptionen und eines
„Werkzeugkastens“ an Maßnahmentypen Entscheider aus Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft in die Lage zu versetzen, dem Verlust der Biodiversität
verlässlich entgegenzuwirken“.
Dieser Teil des neuen BMBF-Programms ist vom Innovationsgrad her am
anspruchsvollsten, weil es um Transformationen in Politik und Wirtschaft
geht, die von Lobbyisten des „Status quo“ mit Zähnen und Klauen verhindert
werden. Die ausbleibende Ökologisierung der Agrarpolitik ist dafür das
schlagendste Beispiel.
Den bedrohten Arten in Flora und Fauna ist es zu wünschen, dass aus der
Biodiversitätsforschung ein neuer Schub zur Erhaltung ihrer
Lebensgrundlagen kommt. Damit die BMBF-Forschungsinitiative „eine
signifikante Wirkung“ innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaft entfaltet
und die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung „eine breite Akzeptanz“
finden, so wurde im Februar bei ihrer Bekanntgabe verkündet, solle auch
eine „Dialogplattform Artenvielfalt“ eingerichtet werden.
In diese Plattform werden verschiedene Gremien zur „öffentlichen,
wissenschaftlichen und politischen Vernetzung“ und zur Weiterentwicklung
der Forschungsinitiative eingebunden sein. Doch leider ist dieser
partizipative Ansatz bis zur Pariser Konferenz des Weltbiodiversitätsrats
IPBES (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services)
nicht zustande gekommen.
2 May 2019
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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