| # taz.de -- Kolumne Schlagloch: Kein Klimaschutz ohne Tierrechte | |
| > Das Klima zu schützen, ist wichtig. Für wen aber soll dieser Planet | |
| > gerettet werden – für alle seine Bewohner*innen oder nur für uns | |
| > Menschen? | |
| Bild: Auch Kühe sind Erdbewohner*innen. Soll Klimaschutz also nicht auch für … | |
| Der nächste Dürresommer steht ins Land, und alle engagieren sich in Sachen | |
| Klima. Man demonstriert bei [1][Fridays for Future], solidarisiert sich mit | |
| den Scientists for Future oder beteiligt sich an Writers for Future. Und | |
| das ist gut so. Die Erde brennt, und das Schlimmste wäre, denen, die mit | |
| einem Eimer zum Löschen unterwegs sind, in den Arm zu fallen: „Das ist der | |
| falsche Eimer“, „Die Farbe von deinem Eimer gefällt mir nicht“, oder: | |
| „Wasser hilft eh nichts mehr.“ | |
| Einerseits also: volle Solidarität. Und andererseits: Ein paar kritische | |
| Gedanken müssen sein. Zum Beispiel hat sich unter Demeter- und | |
| Bio-Landwirt*innen eine Initiative namens Farmers for Future gebildet, die | |
| zum Kohleausstieg, zur CO2-Besteuerung sowie zu einer schonenderen | |
| Landwirtschaft aufruft. | |
| Letzteres klingt allerdings ein wenig so, als sollten es andere am besten | |
| genauso machen, wie man selber es bereits macht. Die Emissionen aus der | |
| Tierhaltung zum Beispiel sollen durch eine „flächengebundene Tierhaltung“ | |
| reduziert werden – das ist die [2][Demeter-Praxis], der zufolge nicht mehr | |
| Tiere gehalten werden dürfen, als die dazugehörige Fläche an Futter hergibt | |
| und an Dünger wieder aufnehmen kann. | |
| Das Gegenteil von Massentierhaltung also, dessen Prinzip ja ist: möglichst | |
| viele Tiere auf geringem Raum und das Futter wird importiert. So gesehen | |
| klingt „flächengebunden“ also nach einer guten Sache, oder nicht? | |
| ## Weidewirtschaft blockiert Flächen | |
| Doch auch diese Form der Tierhaltung belegt Flächen, die für die Ernährung | |
| der Menschen nicht notwendig sind und ansonsten zum Klimaschutz beitragen | |
| könnten. Wer Getreide und Eiweißfrüchte an Tiere verfüttert, statt sie | |
| direkt für den menschlichen Verzehr zu verarbeiten, vergeudet Ressourcen. | |
| Wer Grünland als Weidefläche bewirtschaftet, blockiert Flächen, die mit | |
| anderem Bewuchs besser als Kohlenstoffspeicher nutzbar wären. Zumindest in | |
| unseren Breiten ist jede Art von tierischer Ernährung ein | |
| ressourcenintensiver Luxus; zu sagen, man wolle weniger Tiere halten, ist | |
| so, als wolle man weniger Kohle fördern oder einmal in der Woche das Auto | |
| stehen lassen. Für den Anfang vielleicht nicht schlecht – aber angesichts | |
| der Lage gut genug? | |
| Und natürlich: Die Perspektive der Tiere, um deren Leben und Sterben | |
| (respektive Getötet-Werden) es schließlich geht, kommt in dieser Rechnung | |
| nicht vor. Für wen aber soll dieser Planet gerettet werden – für alle seine | |
| Bewohner*innen oder nur für uns Menschen? | |
| Derzeit herrschen meist recht begrenzte Nützlichkeitserwägungen vor: Jeder | |
| Wald ist eine „grüne Lunge“ – für unsere Städte. „Wertvolle Biotope�… | |
| verloren, und dabei heißt „wertvoll“: nützlich für uns. Bei der Abholzung | |
| des Regenwaldes wird bekanntlich oft gewarnt, mit jedem Quadratkilometer | |
| gingen auch Arten verloren, aus denen sich in Zukunft vielleicht Heilmittel | |
| gewinnen ließen – das mag ja stimmen. Aber so ein Regenwald ist nicht | |
| vorrangig eine riesige Apotheke für den Menschen von morgen, sondern | |
| Lebensraum von Tieren heute. | |
| ## Achtung vor den Irrwegen | |
| Von den Anliegen her ähnlich, aber etwas lautstärker als Fridays for Future | |
| ist die aus Großbritannien stammenden Bewegung [3][Extinction Rebellion]. | |
| Um ein Ende der Verdrängung und ein sofortiges radikales Umschwenken | |
| anzustoßen, wählen diese Aktivist*innen vielerlei Protestformen. Erwünscht | |
| sind auch solche, die zu Verhaftungen führen können, damit die mediale | |
| Aufmerksamkeit steigt und überhaupt etwas in Gang kommt. | |
| Auch vor Extinction Rebellion habe ich den größten Respekt; bedauerlich | |
| finde ich nur: Auch hier kommt die Perspektive der nicht-menschlichen | |
| Bewohner*innen dieser Erde zumeist zu kurz. Kann es aber eine Bewahrung der | |
| Welt vor der Klimakatastrophe geben ohne Tierrechte? | |
| Ich denke: nein. In gewisser Weise ist natürlich bereits die Frage absurd. | |
| Oder würden wir uns etwa fragen, ob sich die Erde unter Umgehung der | |
| Menschenrechte retten lässt? Würden wir Diktaturen proklamieren, weil sie | |
| (falls sie zufällig die „richtige“ Ausrichtung haben) effektivere | |
| Klimagesetze erlassen können, ohne umständliche Mehrheitsbildungen abwarten | |
| zu müssen? Gewiss, bisweilen liebäugeln auch demokratische | |
| Umweltschützer*innen mit den Möglichkeiten der chinesischen Obrigkeiten; | |
| aber das ist doch eher ein wehmütiger Seufzer als eine reale Option. | |
| Dieser Vergleich mit den Rechten der Menschen überzeugt freilich nur, wenn | |
| man bereits von den Rechten der Tiere überzeugt ist. Ebenso wie folgender | |
| Einwand, den ich tierrechtsaffinen Klimaschützer*innen zu bedenken geben | |
| will: Wenn wir versäumen, Tierrechte gleich mit auf die Agenda zu setzen, | |
| werden zur Klimarettung unzählige Irrwege zu Lasten von Tieren ausprobiert. | |
| ## Diese Welt gehört nicht nur uns | |
| Da drohen nicht nur der Trend zum Insektenverspeisen, sondern auch die | |
| absurdesten Tierversuche zu klimaresistenteren Genvarianten und zu | |
| Wirkstoffen, die die Antibiotikaresistenzen kompensieren könnten. Die | |
| Rettung unserer (Menschen-)Welt hätte enorme Kosten für Tiere in Labors | |
| weltweit. | |
| Aber selbst das könnte viele Anthropozentriker*innen kalt lassen, sie | |
| könnten sagen: Lasst uns erst einmal die Welt retten, das ist der kleinste | |
| gemeinsame Nenner; und danach sprechen wir über die Tiere. | |
| Nein. Genau diese Art zu denken hat uns überhaupt erst an den Rand der | |
| drohenden Katastrophe gebracht. Und dies ist nicht die Zeit, sich als die | |
| Mächtigen aufzuspielen und die Bedürfnisse aller anderen zu ignorieren. | |
| Nicht die Zeit, das alte „Wir“ gegen „Sie“ zu betreiben oder bestehende | |
| Hierarchien zu affirmieren. | |
| Diese Welt gehört nicht nur uns – weder nur den Menschen in Europa, die | |
| keine „Klimaflüchtlinge“ in „ihren“ Innenstädten sehen wollen, noch d… | |
| Reichen, die bereits Pläne für private Klimaschutzreservate entwerfen, noch | |
| den Menschen im Allgemeinen. Diese Erde ist die Heimat für unzählige | |
| Spezies fühlender Lebewesen, und wir müssen endlich lernen, sie gerecht mit | |
| ihnen zu teilen. | |
| 17 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hilal Sezgin | |
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