| # taz.de -- Nutzung der Nord- und Ostsee: Zwischen Wal und Windrad | |
| > Derzeit entstehen Pläne, wie Deutschland künftig seine Meere nutzen wird. | |
| > Das führt auch zu Konflikten zwischen Klima- und Artenschutz. | |
| Bild: Der knappe Raum der Nordsee ist umkämpft | |
| Berlin taz | Schweins- und Zwergwale, Heringsmöwen, Robben, Islandmuscheln, | |
| Nagelrochen, Kabeljaue, Schollen: Auf und über dem untergegangenen Land der | |
| Doggerbank [1][in der Nordsee] leben viele Arten. Das macht die Sandbank | |
| zum begehrten Fischfanggebiet, ein Teil von ihr steht aber auch wegen | |
| vieler gefährdeter Bewohner unter Naturschutz. Trotzdem könnten dort bald | |
| [2][Offshore-Windräder] gebaut werden, wenn es bei den aktuellen Plänen des | |
| Bundesinnenministeriums bleibt. | |
| Damit ruft das Haus des [3][CSU-Ministers Horst Seehofer] selbst jene auf | |
| den Plan, die Windräder normalerweise als klimafreundliche Stromproduzenten | |
| gutheißen: die Umweltverbände. „Der Nord- und Ostsee geht es richtig | |
| schlecht“, sagt Aline Kühl-Stenzel, Biologin und Meeresschutz-Referentin | |
| beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die beiden Meere würden ohnehin | |
| schon zu den weltweit am stärksten beanspruchten Meeresregionen gehören. | |
| Kein Wunder: Schifffahrt, Fischerei, Rohstoffabbau, Forschung, Leitungsbau, | |
| Militär und Windkraft konkurrieren um den recht kleinen Raum. Dazu kommen | |
| viel Müll und viel Stickstoff, [4][der von den überdüngten Äckern der | |
| Landwirt:innen ins Wasser gespült wird]. Kühl-Stenzels Bilanz: „Wo man | |
| auch hinguckt, gibt es keine guten Nachrichten.“ | |
| Das gilt für die Naturschützerin auch für die Pläne zum Windkraftausbau. | |
| Wie die Teile von Nord- und Ostsee genutzt werden, auf denen Deutschland | |
| allein schalten und walten darf, steht im maritimen Raumordnungsplan. Die | |
| aktuelle Fassung ist von 2009, das Innenministerium will ihn noch in dieser | |
| Legislaturperiode aktualisieren – als Verordnung, ohne die Beteiligung des | |
| Bundestags. | |
| ## Offshore-Leistung soll sich mehr als vervierfachen | |
| Laut dem Windenergie-auf-See-Gesetz sollen bis zum Jahr 2040 Windräder mit | |
| einer Leistung von insgesamt 40 Gigawatt in den von Deutschland | |
| bewirtschafteten Teilen von Nord- und Ostsee stehen. Zum Vergleich: Heute | |
| drehen sich auf dem Gebiet 1.500 Windräder. Sie kommen auf eine Leistung | |
| von knapp acht Gigawatt. | |
| So ein umfänglicher Ausbau erfordert viel Platz. Deshalb soll der | |
| Raumordnungsplan auch den Bau von Windrädern auf Meeresschutzgebieten nicht | |
| mehr ausschließen. Die Bundesregierung werde zwar Studien zur | |
| Naturverträglichkeit in Auftrag geben, die Doggerbank eigne sich aber gut | |
| für vier bis sechs Gigawatt Offshore-Windenergie, heißt es in dem Entwurf. | |
| Das kritisiert nicht nur Kühl-Stenzel vom Nabu. Etliche der großen | |
| deutschen Umweltverbände, darunter auch Greenpeace, WWF und BUND, sprachen | |
| in einem gemeinsamen Statement von einem „massiven Rückschritt“. Für sie | |
| sind die Pläne ein Paradebeispiel dafür, wie Klimaschutz nicht laufen darf. | |
| Denn die Natur wäre der große Verlierer, befürchten sie. Und das wäre über | |
| kurz oder lang auch dem Klimaschutz abträglich. | |
| „Das ist ein komplettes Missverständnis der Pariser Klimabeschlüsse, wo es | |
| ja heißt, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht auf Kosten der Artenvielfalt | |
| gehen dürfen“, sagt Nabu-Expertin Kühl-Stenzel. „Wir müssen Druck aus dem | |
| System herausnehmen, wir machen aber das Gegenteil.“ Nicht ein einziges | |
| marines Habitat in Nord- und Ostsee sei mehr in gutem Zustand. Ein Drittel | |
| der Arten dort stünde auf der Roten Liste. | |
| Der Konflikt um den Raumordnungsplan zeigt, wie stark Klima- und | |
| Biodiversitätskrise getrennt voneinander behandelt werden. Dabei sind beide | |
| Krisen riesige globale Probleme, die sich gegenseitig bedingen und | |
| verstärken. | |
| Im Juni haben deshalb Weltbiodiversitätsrat und Weltklimarat ihren | |
| [5][ersten gemeinsamen Bericht herausgebracht]. Darin fordern die zwei | |
| gewichtigen UN-Organisationen von den Regierungen, beide Krisen zusammen zu | |
| bekämpfen und dabei stärker auf naturbasierte Lösungen zu setzen. | |
| Gesunde Ökosysteme wie Moore, Wälder und Meere sind schließlich nicht nur | |
| wichtiger Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, sondern können auch | |
| große Mengen Kohlendioxid abbauen und speichern. Die Natur ist starke | |
| Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise. | |
| Auch aus diesem Grund fordern die Umweltverbände, dass Meeresschutzgebiete | |
| wie die Doggerbank zu einem großen Teil frei von wirtschaftlicher Nutzung | |
| bleiben müssen, selbst wenn es um prinzipiell klimafreundliche Windräder | |
| geht. Sie rechnen damit, dass mit den Plänen des Innenministeriums ein | |
| Drittel des geschützten Bereichs der Doggerbank beansprucht werden würde. | |
| ## Energiewende-Experte hält Ausbaumenge für nötig | |
| Im Entwurf für den Raumordnungsplan heißt es, dass diese | |
| Flächenreservierungen für den [6][umfangreichen Offshore-Ausbau nötig] | |
| seien, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. | |
| Mit dieser Einschätzung ist das Bundesinnenministerium nicht allein. „Wir | |
| gehen davon aus, dass wir 2045 sogar eine Kapazität von 70 Gigawatt | |
| Offshore-Windenergie in der deutschen Nord- und Ostsee brauchen werden“, | |
| meint Frank Steffe von der Denkfabrik Agora Energiewende. „Das ist hoch | |
| ambitioniert und wir werden auch Konflikte aushalten müssen.“ | |
| Der Strombedarf werde stark steigen, vor allem durch die weitere | |
| Elektrifizierung in Mobilität, Wärmebereich und Industrie sowie durch die | |
| Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse. Neben Photovoltaik und | |
| Windenergie an Land müsse deshalb auch die Offshore-Windkraft deutlich | |
| ausgebaut werden, um die Klimaneutralität zu erreichen. | |
| Den Fokus der Debatte gleich auf mögliche Konflikte mit Meeresschutzgebiete | |
| zu legen, halte er für den falschen Ansatz. Stattdessen sollten die nicht | |
| geschützten Gebiete verstärkt gemeinsam genutzt werden. Bundeswehr, | |
| Schifffahrt und Fischerei etwa pochten noch viel zu sehr auf exklusive | |
| Nutzungsrechte, kritisiert Steffe. „Statt einseitig den Naturschutz zu | |
| beschneiden, müssen alle Akteure zukünftig Kompromisse eingehen und am Ziel | |
| des Windkraftausbaus mitwirken.“ | |
| 13 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manuel Kronenberg | |
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