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# taz.de -- Windräder in der Nordsee: Was Windparks mit dem Meer machen
> Eine Studie zeigt: Offshore-Windenergie beeinflusst die Ozeandynamik.
> Aber Klima- und Naturschutz müssen keine Gegner sein.
Bild: Eingriff mit Folgen: Offshore-Windpark in der Nordsee
Osnabrück taz | Das Meer, heißt es ja oft, ist Weite. Der Blick kann
schweifen, nichts hält ihn auf. Aber wer je auf die Nordsee hinausgefahren
ist, zu einem Offshore-Windpark, weiß: Es gibt Orte, da ist das Meer eine
Industrielandschaft.
Strom aus [1][erneuerbarer Energie] ist etwas Gutes; und ohne
Offshore-Strom keine Energiewende. Aber die Produktionskapazität vor
unseren Küsten soll bis 2045 auf 70 Gigawatt steigen; weite Teile der See
sind dafür bereits verplant. Das birgt Risiken und wirft Fragen auf.
Eine davon hat ein Wissenschaftlerteam um Nils Christiansen vom
Helmholtz-Zentrum Hereon am Institut für Küstensysteme in Geesthacht jetzt
beantwortet. In ihrer Studie „Emergence of Large-Scale Hydrodynamic
Structures Due to Atmospheric Offshore Wind Farm Wakes“, Anfang Februar
veröffentlicht im Fachmagazin [2][Frontiers in Marine Science], zeigen die
Forschenden, wie Offshore-Windparks die Ozeandynamik beeinflussen.
Draußen auf See, bei den stählernen Riesen, von denen manche so hoch sind
wie ein 80-stöckiges Haus, war Nils Christiansen noch nicht. „Unser Job war
eine Computersimulation“, erklärt der Doktorand der Ozeanografie der taz.
„Aber ich würde schon gerne mal hinfahren.“
## Der Ozean hat weniger Schub
Die Studie zeigt, was passiert, wenn Wind auf die Türme trifft. Er wird
nicht nur verwirbelt. Er wird auch gebremst: Die Turbinen entziehen ihm
kinetische Energie. Auf der windabgewandten Seite entstehen
Wirbelschleppen, bis zu 70 Kilometer weit. Der Effekt: Der Ozean hat
weniger Schub; die Strömung verliert an Geschwindigkeit, wird umgelenkt. Je
weniger Strömung, desto weniger Wasserdurchmischung. Je weniger
Durchmischung, desto weniger Plankton. Auch Temperaturverteilung und
Salzgehalt werden beeinflusst.
Als „dramatische Message“, wertet Professorin Corinna Schrum, Leiterin des
Instituts, diese „strukturellen Veränderungen im System“ nicht. Wer jetzt
Gravierendes fürchte, etwa dass die Gezeiten künftig nicht mehr einlaufen
wie bisher, gehe fehl. „Aber diese Anlagen sind Strukturen, die vorher
nicht da waren, und natürlich hat ihr Bau Auswirkungen. Wir werten das
nicht. Wir generieren Wissen.“
Schrum und Christiansen geht es darum, Entscheidungsgrundlagen zu liefern.
Das könnte auch die Ausgestaltung von Meeresschutzgebieten betreffen.
„Weniger Plankton bedeutet eine geringere Basis für das Leben“, sagt
Schrum. Das gelte es zu berücksichtigen. Dass die Daten, auf deren
Grundlage Christiansen seine hydrodynamischen Simulationen entwickelt hat,
von 2013 sind, beeinflusst die Evidenz nicht: „Sie erlauben generelle
Rückschlüsse“, sagt Christiansen. Ein Stück Grundlagenforschung, das
praktische Relevanz hat.
Was Christiansen zeigt, ist nicht neu. Aber er gibt dem Geschehen ein
Gesicht. Und er weitet den Fokus: „Bisher sind diese Phänomene ja eher
lokal betrachtet worden“, sagt er. „Wir haben das großräumiger modelliert,
für die gesamte südliche Nordsee.“ Jetzt geht es um Resonanz: „Wir sind
international im Gespräch“, sagt Schrum.
Internationalität fordert auch Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace
Deutschland. Sinnvoll für die [3][Offshore-Windenergie] in der Nordsee sei
ein Gesamtkonzept aller Anrainer: „Wir sollten das zusammen mit Dänemark,
Großbritannien und den Niederlanden tun. Das wäre ein wichtiger Schritt
nach vorn.“
## Der Zustand der Nordsee ist schlecht
Maack ist sich der Probleme, die von Offshore-Windenergieanlagen ausgehen,
sehr bewusst: „Natürlich hat das massive Auswirkungen auf die Meeresnatur.“
Aber er warnt davor, Klima- und Naturschutz gegeneinander auszuspielen. „Es
geht nicht darum, das eine oder das andere zu tun, das eine statt des
anderen. Es geht darum, beides miteinander zu verbinden.“ Das sei notwendig
und auch möglich. „Schlimm wäre, wenn es am Ende wieder heißt: ‚Mist, je…
kommen diese blöden Naturschützer und bremsen alles aus!‘ Das tun wir
nämlich nicht.“
„Besorgniserregend schlecht“ sei der Zustand der deutschen Nordsee, mahnt
Maack. Beim Ausbau der Windenergie müsse gelten: „Hände weg von den
Schutzgebieten! Und das müssen no take areas sein: Keine Fischerei, keine
Förderung von Bodenschätzen! Stattdessen kann man ja Schifffahrtsrouten
verkleinern, um mehr Platz zu schaffen.“ Ein Drittel der deutschen
[4][Nordsee] werde für Windparks gebraucht, schätzt Maack, wenn die
Kapazität auf 70 Gigawatt steigt. „Aber dazu muss es ein unabhängiges
Begleitmonitoring geben, das es auch zulässt, Ausbauziele anzupassen.“
Dazu dient auch Christiansens Studie. Offshore-Windenergieanlagen zeigt sie
als „Hindernisse für Wasser und Luft“; und kein Hindernis bleibt je ohne
Folgen. Wer zukünftig Offshore-Windparks plant, tut gut daran, seine
Analyse und Visualisierung zu berücksichtigen.
8 Mar 2022
## LINKS
[1] /Erneuerbare-Energien/!t5007748
[2] https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2022.818501/full
[3] /Nutzung-der-Nord--und-Ostsee/!5780932
[4] /Nordsee/!t5008145
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Nordsee
Offshore-Windpark
Wissenschaft
Studie
Naturschutz
Windparks
Windkraft
Schwerpunkt Klimawandel
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