# taz.de -- Währungskrise im Libanon: Mit der Pistole zum Geldabheben | |
> Im Libanon fordern viele Anleger*innen mit Gewalt ihr Geld von den | |
> Banken zurück. Deshalb haben die Filialen auf unbestimmte Zeit | |
> geschlossen. | |
Bild: Geld abheben in Beirut: Menschen schaffen sich gewaltsam Zugang zu ihren … | |
BERLIN taz | Wenn Menschen im Libanon in eine Bankfiliale laufen, um ihr | |
Geld abzuheben, dann werden sie am Schalter abgewiesen. Denn der Staat ist | |
pleite, die lokale Währung hat über 95 Prozent ihres Wertes eingebüßt und | |
die Banken geben keine Anlagen in US-Dollar heraus. Viele Menschen hatten | |
ihr Geld jedoch in der US-amerikanischen Währung angelegt – und werden nun | |
mit wertlosen Lira abgespeist. | |
Anders sieht es aus, wenn die Menschen eine Pistole in der Hand haben und | |
Geiseln nehmen, dann gibt der Filialleiter zumindest einige Tausend Dollar | |
heraus. Deshalb vermehrten sich in den vergangenen Wochen die Banküberfälle | |
im Libanon. Anleger*innen liefen mit alten Pistolen oder | |
Plastik-Waffen, einem Kanister Benzin und einem Feuerzeug in die Banken, um | |
ihr Geld einzufordern. Freiwillige formierten einen Zusammenschluss der | |
Anleger*innen im Libanon, der Proteste organisiert und Rechtshilfe | |
bietet. Der Verband rief sogar offiziell dazu auf, Selbstjustiz walten zu | |
lassen und [1][gewaltsam das eigene Geld zurückzufordern]. | |
Als Reaktion auf die Überfälle hatten die Banken zunächst drei Tage | |
geschlossen – nun schließen sie auf unbestimmte Zeit. Am Mittwoch gab der | |
Bankenverband bekannt, dass Geld nur noch an Geldautomaten abgehoben werden | |
kann. Online-Banking ist weiterhin möglich. Als Grund nannte der Verband | |
die gefährliche Atmosphäre für seine Mitarbeiter*innen. | |
Wenn eine Bank in Deutschland pleite geht, haben Anleger*innen einen | |
Rechtsanspruch auf bis zu 100.000 Euro ihres angelegten Geldes. Doch im | |
Libanon existiert eine solche Sicherung nicht. Den Menschen wurde | |
weisgemacht, dass das Bankensystem sicher sei. Dann kollabierte das System. | |
In dem sogenannten Ponzi-Schema warben Banken mit hohen, bis zu | |
zweistelligen Zinsen um neue Anleger*innen. | |
Doch mit dem Krieg in Syrien und der [2][Misswirtschaft der politischen | |
Klasse] verloren die Menschen das Vertrauen in die Banken. So rückte kein | |
Geld mehr nach, um Zinsen auszahlen zu können. Gleichzeitig verdammte die | |
Regierung die Privatbanken dazu, der Zentralbank viel Geld zu leihen. | |
Dieses Geld versackte [3][in Korruption]. Der Staat ist pleite, die | |
Privatbanken bekommen ihr Geld nicht zurück – und zahlen daher die | |
Anleger*innen nicht aus. | |
## Banküberfall für Krankenbehandlung | |
Als Held*innen feierten die Menschen im Libanon vor allem zwei Personen, | |
die unabhängig voneinander Banken überfielen, um Behandlungen für kranke | |
Angehörige zu bezahlen. Anfang August stand Bassam Al-Sheikh Hussein | |
bewaffnet mit einem Gewehr und einem Gaskanister in einer Bank in Beirut | |
und drohte Geiseln zu töten und sich selbst anzuzünden. Er forderte die | |
Auszahlung seines Geldes für die Behandlung seines Vaters. Nach sieben | |
Stunden in der Bank bekam er 35.000 US-Dollar ausgezahlt – von ursprünglich | |
rund 200.000 auf seinem Konto. Danach stellte er sich der Polizei, die ihn | |
festnahm, einige Tage später aber ohne Anklageerhebung wieder frei ließ. | |
Der Fall sorgte für viele Nachahmer*innen, darunter die erste Bankräuberin, | |
Innenarchitektin Sali Hafiz. Sie stürmte vergangenen Mittwoch eine Bank mit | |
einer Plastikpistole, um an ihr Geld zu kommen – sie brauchte es für die | |
Krebsbehandlung ihrer Schwester. Hafiz versteckt sich zurzeit vor der | |
Polizei. | |
## Gelähmter Staat | |
Seit den Wahlen im Mai ist noch immer [4][keine neue Regierung gebildet] | |
worden, Ende Oktober muss ein neuer Präsident ernannt werden. Die | |
Übergangsregierung hat nicht einmal den Haushaltsplan für 2022 | |
verabschiedet – dabei ist das Jahr fast vorbei. Die Generalversammlung des | |
Parlaments traf sich vergangene Woche, um den Haushalt zu diskutieren, aber | |
war nicht beschlussfähig. | |
Immerhin hatte die Regierung sich kurz vor den Wahlen noch mit dem | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) auf Personalebene auf ein Abkommen | |
geeinigt. Zehn Reformen sollten umgesetzt werden, darunter Gesetze zu | |
Kapitalreformen und der Lüftung des Bankgeheimnisses. Bei erfolgreicher | |
Umsetzung winkt der IWF mit 3 Milliarden US-Dollar, um das Land aus der | |
Finanzkrise zu holen. Doch eine Delegation des IWF, die am Mittwoch in | |
Beirut zu Besuch war, kritisierte die Stagnation: „Trotz der Dringlichkeit, | |
Maßnahmen zur Bewältigung der tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise | |
des Libanon zu ergreifen, bleiben die Fortschritte bei der Umsetzung der im | |
April vereinbarten Reformen sehr langsam“, hieß es in einer Erklärung. | |
Das libanesische Kabinett hatte zwar im Mai einen Fahrplan zur finanziellen | |
Erholung verabschiedet, steht aber Einwänden von Banken und dem | |
Privatsektor gegenüber, die nicht als Verlierer aus der Krise gehen wollen. | |
Im Moment zahlen vor allem die Sparer*innen den Preis für die Krise – | |
während die Reichen im Libanon ihr Geld längst auf ausländischen Konten | |
gesichert haben. An der Spitze des Systems steht der Zentralbankdirektor | |
Riad Salameh. Verschiedene Staatsanwaltschaften in Europa ermitteln gegen | |
ihn wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Er hält auch Immobilien in | |
Deutschland. Als er im Juni 2021 mit seinem Privatjet nach Paris flog, | |
fanden die Zollbeamt*innen 90.000 Euro in bar in seinem Koffer. | |
Daraufhin erklärte Salameh, er habe „vergessen“, dass das Geld in seinem | |
Gepäck war. | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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