# taz.de -- Syrische Geflüchtete im Libanon: Leben in Hilfsunterkünften | |
> Ein Großteil der Menschen im Libanon lebt in Armut. So wie die Syrerin | |
> Badia Hussein und ihre Familie. Doch es gibt kleine Initiativen, die | |
> helfen. | |
Bild: „Früher waren wir fast reich“: Bei Badia Hussein gibt es Tee mit Kr�… | |
Badia Hussein entnimmt einer Metalldose eine syrische Kräutermischung mit | |
getrockneten Rosen. Auf einem kleinen schwarzen Öfchen in der Mitte des | |
Raumes erhitzt sie das Wasser in einem Teekessel, filtert die Kräuter durch | |
ein Sieb, während sie den Tee in kleine Gläser kippt. [1][Zhourat], wie die | |
Mischung mit Anis und Kamille heißt, soll dem Immunsystem helfen, Viren und | |
Bakterien abzuwehren. | |
Der Winter steht im Libanon vor der Tür und die Menschen im libanesischen | |
Bekaa-Tal erwarten Minustemperaturen. Hussein lebt mit ihrem Mann und fünf | |
Kindern in einem Haus aus unverputztem Beton und Mauersteinen. In einer Box | |
im Wohnzimmer liegen zerrissene Kartons – mit denen wird dass Feuer | |
geschürt. Die Mutter möchte ihren echten Namen nicht in der Zeitung sehen, | |
aus Angst vor negativen Konsequenzen. Die Syrerin und ihr Mann haben drei | |
Söhne und zwei Töchter zwischen 5 und 14 Jahren. | |
Wegen eines Bandscheibenvorfalls kann der Mann nicht mehr arbeiten. | |
Stattdessen repariert der 14-Jährige Sohn Autos in einer Werkstatt. Dafür | |
bekommt er umgerechnet neun US-Dollar wöchentlich. „Alleine die Heizung zu | |
betreiben, kostet 40 US-Dollar im Monat“, klagt Badia Hussein. | |
## Armut weit verbreitet | |
Nach Daten der Menschenrechtsorganisation [2][Human Rights Watch] leben 80 | |
Prozent der Menschen im Libanon in Armut. Die lokale Währung verliert | |
permanent an Wert, die Kosten für Nahrung, Medizin und Strom steigen ins | |
Unermessliche. Von gut 1.000 befragten Haushalten bekamen weniger als fünf | |
Prozent eine staatliche Unterstützung. 40 Prozent verdienen weniger als 100 | |
US-Dollar pro Monat, 90 Prozent der Haushalte haben weniger als 377 | |
US-Dollar. Die Lücke füllen die Gelder ausgewanderter Libanesen sowie | |
unabhängige Hilfsorganisationen. | |
In der Bekaa-Ebene, im Osten des Landes, rund zehn Kilometer Luftlinie von | |
der syrischen Grenze entfernt, leben viele Geflüchtete aus Syrien, so wie | |
die Husseins. Manche Familien wohnen nicht in den Zeltcamps am Rande der | |
Dörfer. Sie sind von Hilfen oft abgeschnitten. | |
Die 28-Jährige Amani Abd Al Rahman besucht genau diese Familien. Die | |
Libanesin hat Mathematik studiert und als Übersetzerin Uschi Overhage | |
kennengelernt. Die hat früher als Sozialarbeiterin gearbeitet und lebt | |
heute als Rentnerin in Deutschland – wenn sie nicht gerade im Libanon den | |
Ärmsten hilft. | |
## Haddak: Drei Menschen helfen | |
Vor zwei Jahren starteten Uschi Overhage und Amani Abd Al Rahman gemeinsam | |
das Projekt [3][Haddak], was übersetzt „An deiner Seite“ bedeutet. | |
„Familien kennen meinen Namen und manche fragen Freund*innen, ob sie | |
jemanden kennen, der helfen kann. Wir fragen sie dann, was sie brauchen und | |
widmen uns denen, die es am dringendsten benötigen“, erzählt Abd Al Rahman. | |
Gemeinsam mit dem palästinensische Ingenieur Wael Abdekai leistet sie eine | |
Art Familiensozialarbeit. Rund zwölf Familien helfen sie kontinuierlich. | |
Der Familie von Badia Hussein bringen sie Brot und Tabletten gegen | |
Kopfschmerzen vorbei. Einem alten Ehepaar schenken sie Knopfbatterien für | |
das Hörgerät und ein frisch gebratenes Hühnchen. Für den Winter haben sie | |
Wärmflaschen verschenkt, für eine Familie kaufen sie einen Wollteppich. | |
„Viele schlafen nachts gemeinsam in einem Raum, damit sie nur ein Zimmer | |
erwärmen müssen“, sagt Abd Al Rahman. Andere erhitzen zum Duschen einen | |
Topf mit Wasser auf dem Ofen, die Wärme des Ofens nutzen sie für das | |
Zimmer. | |
Badia Hussein erzählt, dass die Familie mit dem geringen Geld nur auskäme, | |
weil sie Bulgur, Reis und Linsen kocht. Die Preise steigen, auch die Preise | |
für lokal angebautes Gemüse sind immens. „Früher hat ein Kilo Kartoffeln | |
500 Pfund gekostet nun kostet es 17.000“, weiß Badia Hussein. Das sind | |
umgerechnet mehr als zehn Euro. „Einer unser Nachbarn baut Kartoffeln an. | |
Ich habe ihm geholfen und dafür bei der Ernte etwas abbekommen.“ | |
Unterstützung von den Eltern oder entfernten Verwandten sei unmöglich. Die | |
Familie ihres Mannes wohnt in Jordanien, Badia Husseins Mutter ist schwer | |
krank, sie lebt als Geflüchtete in der Türkei. | |
„Gott sei Dank war unsere Situation in Syrien wirklich sehr gut“, erinnert | |
sich Badia Hussein. „Wir waren fast schon reich, besaßen viel Land und | |
viele Schafe, haben viel Fleisch gegessen und waren sehr gesund.“ Mit der | |
Flucht habe sich der Lebensstil der Familie radikal verändert: „Wir haben | |
nichts mehr von unserem Besitz.“ | |
## Ausharren ohne Ende | |
Libanesische Politiker haben oft genug betont, dass ihr Land nur ein | |
Transitland für Geflüchtete aus Syrien sein könne. Doch seit elf Jahren | |
harren Syrier:innenin nun in provisorischen Camps aus – sie leben in | |
mit Planen umspannten Holzgerüsten, für die eine Miete fällig ist. Sesshaft | |
werden sollen sie nicht. Deshalb dürfen die Menschen keine permanenten | |
Häuser bauen. | |
In jüngster Zeit sind Versuche des Staates zu beobachten, die Flüchtlingen | |
zurück nach Syrien zu drängen. Es werden willkürliche Ausgangssperren | |
verhängt. Das Internet fällt plötzlich aus. Weil viele Menschen in der | |
Bekaa-Ebene keine Arbeit fanden, gingen sie zur Olivenernte in den Norden | |
des Libanon. Als sie zurückkehrten, hätte das libanesische Militär | |
inzwischen ihre leeren Zelte zerstört, berichtet der Arzt Firas Alghadban, | |
dessen Organisation [4][Endless Medical Advantage] die Camps mit mobilen | |
Praxen versorgt. „In letzter Zeit melden sich Menschen bei der Polizei und | |
lassen sich registrieren, damit sie nach Syrien zurückgebracht werden und | |
mit dem syrischen Regime ausgemacht wird, dass ihre Informationen in Akten | |
bei den Sicherheitsbehörden gelöscht werden. Vor einen paar Tagen hat die | |
Polizei in Syrien trotzdem manche von ihnen verhaftet.“ Viele Menschen | |
wollten aus Angst nicht in ihre Heimat zurückkehren. | |
Weil Frauen in Syrien rechtlich kein Land besitzen dürfen, können Witwen | |
nicht in ihre Häuser zurückkehren – diese gehen in Staatsbesitz über. Im | |
Norden bombardiert die Türkei die kurdische Selbstverwaltung. In Gebieten | |
unter der Kontrolle der Regierung wird gefoltert. | |
Die Familie von Badia Hussein kann nicht zurückkehren. Der minderjährige | |
Sohn liefe sonst Gefahr, zum Militär eingezogen zu werden. Ihre Grundstücke | |
können die Husseins nicht mehr bewirtschaften. „Einige unserer Verwandten | |
sind zurückgegangen. Sie haben entdeckt, dass die Ländereien voll von Minen | |
waren, die jederzeit explodieren können.“ | |
Das größte Problem aber sei die Sicherheit. „Gäbe es Sicherheit und ein | |
Haus … Obwohl, selbst wenn es kein Haus dort für uns gäbe, sondern nur | |
Sicherheit, dann würde ich Syrien dem Libanon vorziehen. Dort sind Schulen | |
und Krankenhaus kostenlos, wir konnten uns während des Ramadan Fleisch | |
leisten.“ Zwischen den libanesischen Camps und auf den dunklen Straßen | |
fühle sie sich nicht sicher, sagt Badia Hussein. „Aber wir haben kein | |
Zuhause. Wohin sollen wir gehen?“ | |
## Jeder Vierte im Libanon ist ein Flüchtling | |
Der Libanon, ein Land mit sechs Millionen Einwohnern, beherbergt rund 1,5 | |
Millionen syrische Geflüchtete, von denen aber nur rund 830.000 beim | |
UN-Flüchtlingshilfswerk ([5][UNHCR]) registriert sind. Dessen Operationen | |
im Libanon werden zurzeit nur zu 50 Prozent finanziert. Die Fördergelder | |
kommen zum größten Teil von den Mitgliedsstaaten, Regierungen geben die | |
Spenden freiwillig. | |
Früher hat Badia Hussein Geld oder Essenspakete erhalten. Sie berichtet, | |
dass der UNHCR seit diesem Monat keine Spenden mehr an die Familie verteilt | |
habe. Schon vor den letzten Kürzungen drohten 277.000 syrischen Familien, | |
keine zusätzliche Winterunterstützung zu erhalten. | |
Im Oktober warnte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, | |
[6][Filippo Grandi], vor „harten Kürzungen“, wenn es keine zusätzlichen 7… | |
Millionen US-Dollar an Finanzmitteln gäbe. Besonders im Nahen Osten müsse | |
die UN-Agentur Hilfen kürzen. Der Finanzierungsmangel hängt mit | |
zusätzlichen Ausgaben infolge weiterer Krisenregionen zusammen: den | |
Vertreibungen infolge des russischen Kriegs in der Ukraine, der | |
Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der verheerenden | |
Überschwemmungen in Pakistan. | |
„Natürlich ist es nicht das Beste, Geld zu geben“, sagt Uschi Overhage. Es | |
sei aber immerhin besser, als gar nicht zu helfen. Ihr Ziel sei es, | |
Menschen nachhaltig zu unterstützen, damit sie auf eigenen Füßen stehen | |
könnten. Einigen Frauen hat das Projekt Haddak Nähmaschinen geschenkt. So | |
können sie nun Säcke voller Altkleider kaufen, diese reparieren oder | |
verzieren und sie verkaufen. | |
Künftig möchte die Hilfsorganisation eine Form von Minikrediten vergeben. | |
So könnten sich Geflüchtete zum Beispiel Holzkarren kaufen, mit denen sie | |
in den Straßen Obst als Zwischenhändler*innen weiterverkaufen. Weil | |
das Budget des Projekts mit rund 1.000 Euro pro Monat aber recht gering | |
ist, unterstützen die Aktivisten die Menschen auch bei Behördengängen oder | |
Arztbesuchen. Sie trinken mit ihnen Tee, zeigen Respekt und Wertschätzung. | |
„Das Wichtigste, das man geben kann, ist Zeit“, sagt Overhage. | |
28 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Zhourat_shamia | |
[2] https://www.hrw.org/ | |
[3] https://www.betterplace.me/haddak-ich-bin-an-deiner-seite | |
[4] https://www.endlessmedicaladvantage.org/ | |
[5] https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/spenden-schutz?donation_custom_field_1… | |
[6] /Fluechtlingspolitik-in-Europa/!5887500 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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