| # taz.de -- Vorwürfe gegen EU-Grenzschutzagentur: Kontrolliert Frontex! | |
| > Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in illegale „Pushbacks“ | |
| > Geflüchteter auf dem Meer involviert sein. Nun müssen Konsequenzen | |
| > folgen. | |
| Bild: EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, bei einer virtuellen Pressek… | |
| Frontex-Direktor Fabrice Leggeri zittert bestimmt schon. Passiert ja nicht | |
| alle Tage, dass die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Radio fordert, | |
| der Chef der EU-Grenzschutzagentur müsse „die volle Verantwortung“ | |
| übernehmen und aufklären, was passiert sei. | |
| Oder auch nicht. | |
| Denn eigentlich dürfte sich Leggeri ja schon an solche Vorwürfe gewöhnt | |
| haben: [1][Frontex] sei in illegale Zurückweisungen von Flüchtlingen durch | |
| die griechische Küstenwache, die sogenannten Pushbacks, verwickelt, hatten | |
| [2][mehrere Medien wie der Spiegel] und das TV-Magazin „Report Mainz“ | |
| berichtet. Die Recherchen beziehen sich auf Vorfälle mit Flüchtlingen, die | |
| von der Türkei aus über das Meer versuchten, Griechenland zu erreichen. | |
| Die EU-Grenzschutzagentur soll in einem Fall ein Boot erst blockiert haben | |
| und dann in hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeigefahren sein – anstatt die | |
| Menschen darin aus der Seenot zu retten. Im Anschluss soll Griechenlands | |
| Küstenwache die Flüchtlinge in Richtung Türkei zurückgedrängt haben. | |
| Frontex als willige Komplizin für rechtswidriges und unmenschliches | |
| Verhalten staatlicher Behörden? | |
| Nicht der erste Bericht zu Pushbacks | |
| Die EU-Kommission fordert der Agentur nun Rechenschaft ab. Nur warum sollte | |
| das dieses Mal zu etwas führen? [3][Seit gefühlten Ewigkeiten gibt es | |
| Berichte über die illegalen Pushbacks] und Nichtregierungsorganisationen | |
| beschuldigen die europäischen Grenzschützer*innen seit Langem immer wieder, | |
| an Fehlverhalten an den Grenzen beteiligt zu sein. | |
| Im August letzten Jahres zum Beispiel soll Frontex in Bulgarien, | |
| Griechenland und Ungarn [4][exzessive Gewalt und Misshandlungen von | |
| Flüchtlingen hingenommen haben], berichteten Medien mit Verweis auf interne | |
| Dokumente der EU-Agentur. | |
| Und die Vorwürfe reichen weit zurück: Im Jahr 2013 etwa untersuchte die NGO | |
| Pro Asyl schon einmal Pushback-Berichte an der Land- und Seegrenze | |
| Griechenlands zur Türkei und stellte die Frage, ob Frontex daran teilhatte. | |
| Schließlich war die Agentur schon damals mit den Operationen „Poseidon | |
| Land“ und „Poseidon Sea“ vor Ort tätig. | |
| Seitdem hat Frontex stets nur an Größe und Macht zugelegt. Nachdem 2015 | |
| viele Schutzsuchende nach Europa gekommen waren, beschloss die EU im | |
| Folgejahr, die damals ein paar Hundert Mitarbeiter*innen zählende Agentur | |
| auf 1.000 Personen aufzustocken – plus einen Reservepool von 1.500 Beamten | |
| aus den Mitgliedsstaaten für den Krisenfall. | |
| Ein Koloss von einer Behörde | |
| Dieser Aufwuchs soll in den kommenden Jahren noch einmal vervielfacht | |
| werden: Die EU-Staaten haben sich im vergangenen Jahr mit dem EU-Parlament | |
| darauf geeinigt, dass die Agentur bis 2027 auf voraussichtlich 10.000 | |
| Einsatzkräfte anwachsen soll. Außerdem sollte sie mehr Befugnisse bekommen. | |
| Von ein paar Hundert Grenzschützer*innen auf eine 10.000 Menschen starke | |
| Dauerreserve – die Agentur wird damit zu einem Koloss von einer Behörde, | |
| deren Notwendigkeit von der EU-Kommission immer wieder betont wird. Bei den | |
| Vorschlägen für eine neue Asylreform im September hat Brüssel der Behörde | |
| eine stärkere Rolle auch bei Abschiebungen zugedacht. Bei soviel | |
| Verantwortung sollte der Grundrechtsschutz doch mindestens ebenso | |
| mitwachsen? | |
| Immerhin verfügt die Behörde schon seit einer Weile über einen | |
| Beschwerdemechanismus. Doch wie [5][das Recherchemedium Correctiv] | |
| vergangenes Jahr herausfand, ist dieser „bedeutungslos“: „2018 gingen | |
| gerade einmal zehn Beschwerden ein – von Hunderttausenden Menschen, die in | |
| Kontakt mit Frontex kamen.“ Auch weisen die jüngsten Medienenthüllungen | |
| darauf hin, dass interne Berichte wohl nicht immer die volle Wahrheit über | |
| die Geschehnisse an die Frontex-Zentrale weitergeben. | |
| Was ist also zu erwarten, wenn EU-Kommissarin Ylva Johansson den | |
| Frontex-Chef zur Aufklärung bittet und so das ganze Elend weiterreicht? Wo | |
| sind anlässlich des erneuten Skandals die Vorschläge der EU-Kommission, wie | |
| der geplante Aufwuchs der Grenzschutzagentur von unabhängiger Kontrolle | |
| begleitet werden kann? Dass Frontex in illegale Pushbacks involviert sein | |
| soll, ist nach Jahren der Arbeit von Aktivist*innen und etlichen | |
| journalistischen Recherchen keine Überraschung. Wenn endlich mal eine | |
| Konsequenz gezogen würde – das wäre eine. | |
| 27 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frontex/!t5007627/ | |
| [2] https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-frontex-in-griechenland… | |
| [3] /Push-backs-von-Gefluechteten/!5687089/ | |
| [4] /Menschenrechtsverstoesse-an-EU-Grenzen/!5615353/ | |
| [5] https://correctiv.org/top-stories/2019/08/04/frontex-transparenz | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Oer | |
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