# taz.de -- Vor Beginn der Filmfestspiele von Venedig: Der Lido und die Zukunft… | |
> In Kürze beginnt die 75. Edition des legendären Filmfestivals. Venedig | |
> gibt sich als Vorreiter – etwa bei der Zusammenarbeit mit Netflix. | |
Bild: Der Löwe als Symbol: Zusammen mit Berlin und Cannes gehört Venedig zu d… | |
Herzlichen Glückwunsch zur 75. Ausgabe! Das älteste Filmfestival der Welt | |
begeht ab Mittwoch ein rundes Jubiläum. Wenngleich nicht in kontinuierlich | |
aufeinanderfolgenden Jahren: Die Internationalen Filmfestspiele von | |
Venedig, anfangs im Hotel Excelsior auf dem Lido ausgetragen, wurden schon | |
1932 gegründet, fielen jedoch 1933 und vereinzelt während der vierziger und | |
siebziger Jahre aus. | |
Unter den Festivals mit internationalem Wettbewerb im Programm, den | |
sogenannten A-Festivals, nimmt es mit Cannes und der Berlinale einen Rang | |
unter den ersten drei Plätzen ein. Bei der unmittelbaren Konkurrenz ist in | |
Berlin derweil mit dem anstehenden Wechsel der künstlerischen Leitung 2019 | |
eine programmatische Erneuerung zu erwarten. Der Neue der Berlinale, Carlo | |
Chatrian, derzeit noch künstlerischer Leiter des Filmfestivals von Locarno, | |
steht für den Willen zum Spiel mit den Formen des Kinos. Doch auch in | |
Venedig kann man, ohne akute personelle Umstellung, neugierig auf die | |
Zukunft des Filmfestivals sein. Und beobachten, wie sich die Rolle von | |
Filmfestivals insgesamt allmählich verschiebt. | |
Filmfestivals sind naturgemäß immer Leistungsschauen der Filmbranche, was | |
die künstlerische Qualität einerseits oder die Markttauglichkeit | |
andererseits angeht. Venedig steht aktuell im Ruf, dass dort insbesondere | |
Anwärter für die Oscars zu besichtigen seien. Will sagen, nicht | |
zwangsläufig die allerambitioniertesten Filme, dafür viele überzeugend | |
gemachte Arbeiten mit Aussicht auf Erfolg an den Kassen. Guillermo del | |
Toros Gewinner des Goldenen Löwen [1][„The Shape of Water“] war im | |
vergangenen Jahr in beiderlei Hinsicht ein gutes Beispiel dafür. | |
Venedig steht gegenwärtig, wenn man so möchte, noch für einen ganz anderen | |
Umbruch, der seit einiger Zeit die Branche komplett umkrempelt. | |
Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon drängen mehr und mehr in die | |
Hauptdomänen des Kinos, die Spielfilmproduktion. Mit Eigenproduktionen | |
sowieso, aber auch mit dem Aufkaufen von Filmen, die ursprünglich für einen | |
Kinostart vorgesehen waren. Alex Garlands Science-Fiction-Adapation | |
„Auslöschung“ war zu Beginn des Jahres ein prominenter Fall: In den meisten | |
Ländern, Deutschland inklusive, landete er gleich im Netz und nicht vorher | |
auf der Leinwand. | |
## Cannes fährt einen harten Kurs gegenüber Netflix | |
Die Filmfestspiele von Cannes haben gegenüber dem Online-Filmangebot seit | |
diesem Jahr einen [2][rigorosen Kurs eingeschlagen]: Im Wettbewerb sind | |
keine Produktionen zugelassen, die nicht auch zunächst ins Kino kommen. | |
Will sagen: keine Netflix-Produktionen. Der Streamingdienst reagierte | |
damit, dass er sich komplett aus dem Programm des Festivals zurückzog. | |
Venedig scheint den entgegengesetzten Kurs zu wählen und sich dem | |
Widerspruch zu stellen, dass man dort Arbeiten auf der Leinwand zeigt, die | |
nicht für die Leinwand gemacht sind, aber nichtsdestotrotz mutmaßlich | |
wichtige Beiträge zum Film und theoretisch auch zum Kino im herkömmlichen | |
Sinn sind. Zugleich unterstützt man auf diesem Weg genau die Unternehmen, | |
die dazu beitragen, das Kino, in dessen Namen das Filmfestival, die „Mostra | |
dell’arte cinematografica“, gegründet wurde, schrumpfen zu lassen. | |
So laufen im Wettbewerb gleich drei Netflix-Filme, darunter „22 July“ des | |
US-amerikanischen „Jason Bourne“-Regisseurs Paul Greengrass. Nach „Utøya | |
22. Juli“ von Erik Poppe, der im Frühjahr im Wettbewerb der Berlinale lief, | |
ist das der zweite Spielfilm in diesem Jahr über das Massaker des | |
norwegischen Massenmörders Anders Breivik. | |
Ebenfalls zu sehen ist „Roma“ des Mexikaners Alfonso Cuarón, eine | |
Geschichte aus den politisch bewegten siebziger Jahren in Mexiko-Stadt. | |
Wobei es mit dem Netz und der Leinwand wohl nicht immer ganz so exklusiv | |
zugeht: „Roma“ zumindest startet hierzulande im Herbst nicht nur online, | |
sondern auch im Kino. | |
## Letztes Filmprojekt von Orson Welles wird gezeigt | |
Weitere Netflix-Filme werden in der Reihe „Orizzonti“ oder außer Konkurrenz | |
gezeigt, darunter spannende Beiträge wie „The Other Side of the Wind“, das | |
letzte Filmprojekt von Orson Welles, an dem er zwischen 1970 und 1976 | |
arbeitete und das unvollendet blieb. Aus dem bis dahin entstandenen | |
Material wurde jetzt postum eine Filmfassung geschnitten, die in Venedig | |
Weltpremiere feiert. | |
Serien, naturgemäß kein Kinostoff, gehören längst auch zum | |
Filmfestivalkanon. Oft mit vielversprechenden Beiträgen: So kann man dieses | |
Jahr in Venedig den Auftakt der von HBO und Rai produzierten Serie „L’amica | |
geniale“ nach der erfolgreichen Romantetralogie von Elena Ferrante gespannt | |
erwarten. Regie führte Saverio Costanzo, der unter anderem die | |
Literaturverfilmung „Die Einsamkeit der Primzahlen“ verantwortete. | |
Venedig ist damit längst nicht mehr nur ein Ort für das Kino, wie man es | |
kennt, sondern auch für das, was aus dem Kino gerade wird, nicht im | |
künstlerischen, dafür im strukturellen Sinne mit offenem Ausgang. | |
Dass sich Venedig seit dem vergangenen Jahr auch eine eigene Sektion für VR | |
Cinema leistet, in der man mit aufgeschnallten Brillen Filme und | |
Installationen in 360-Grad-Rundumsicht begutachten kann, mag in dieselbe | |
Richtung gedacht sein. Hier muss man allerdings noch abwarten, wie sich | |
diese Technik entwickelt. Ernsthafte Konkurrenz ist aus dieser Richtung | |
noch nicht zu befürchten. | |
## Verwertbarkeit sollte nicht im Vordergrund stehen | |
Die Offenheit auf dem Lido hat einen großen Vorteil: Denn bei Filmen kommt | |
es zuallererst darauf an, ob sie als Filme überzeugen, künstlerisch, als | |
audiovisueller Zugang zu verschiedensten Aspekten der Wirklichkeit, von | |
heute, von früher – oder zum nach oben hin offenen Reservoir der | |
menschlichen Fantasie. | |
Für welche Art von Verwertungszusammenhang diese Filme im Einzelnen gemacht | |
sind, sollte dabei nicht das ausschlaggebende Kriterium für den Umgang mit | |
ihnen sein. Und ein Filmfestival ist die allerbeste Gelegenheit, um daran | |
zu erinnern, wo nach wie vor der schönste Ort für diese Filme ist: auf der | |
Leinwand. | |
26 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Kinostart-von-Shape-of-Water/!5481480 | |
[2] /Netflix-Verbot-in-Cannes/!5494265 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Netflix | |
Elena Ferrante | |
Amazon | |
Streaming | |
Netflix | |
Filmfestival | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Kino | |
Drehbuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
David Finchers „Mank“ auf Netflix: Orson Welles als Ehrgeizling | |
„Mank“ handelt vom Drehbuchautor des Klassikers „Citizen Kane“. Regisse… | |
Fincher rechnet darin mit Hollywoods Historie ab. | |
Filmfestival in San Sebastián: Fremdes Geld steckt man einfach ein | |
Beim San Sebastián Film Festival zeigt sich das spanische Kino kreativ wie | |
lange nicht. Aus dem Baskenland indes kommt Widersprüchliches. | |
Lidokino 8 – Lange Filme: Erzählen und mahnen in unserer Zeit | |
Lidokino 8: Von lautem Kreischen, der Dauer als Dauer, dem Zerfall und den | |
Breivik-Attentaten – lange Filme im Überblick. | |
Lidokino 3 – Start der Nebenreihen: Versehrte Männer | |
Lidokino 3: Mit starken Bildern über die Kommunikation mit den Toten und | |
einem spektakulären Gerichtsfall haben die Nebenreihen begonnen. | |
Lidokino 2 – Virtual Reality und Film: Eintauchen ohne Ausweg | |
Die Filmfestspiele in Venedig setzen mit der Sektion „Venice Virtual | |
Reality“ auf virtuelle Realitäten. Das kann auch Angst machen. | |
Lidokino 1 – Politische Filme in Venedig: Kino gegen Rechtspopulisten | |
Lidokino 1: Die 75. Filmfestspiele von Venedig sind in diesem Jahr | |
bemerkenswert „politisch“ aufgestellt. Ryan Gosling ist auch da | |
Festiwelt der Berliner Filmfestivals: Der Glanz der Kleinen | |
Filmfestivals gibt es in Berlin en masse. Einen Überblick bekommt man am | |
Samstag bei der Langen Nacht der Filmfestivals. | |
Filmfestival Locarno zu Ende: Gedankenschnelles Kino | |
Es lohnt es sich, in Locarno nicht nur am Wettbewerb zu kleben. Doch in der | |
Sektion überzeugte der Langfilm „La Flor“ des Argentiners Mariano Llinás. | |
DrehbuchautorInnen mit Aufruf: Es gilt „Kontrakt 18“ | |
Deutsche DrehbuchautorInnen fordern eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die | |
ProduzentInnen geben sich diskussionsbereit. |