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# taz.de -- Lidokino 3 – Start der Nebenreihen: Versehrte Männer
> Lidokino 3: Mit starken Bildern über die Kommunikation mit den Toten und
> einem spektakulären Gerichtsfall haben die Nebenreihen begonnen.
Bild: Szene aus „Les tombeaux sans noms“
Endlich ist der Tag der Eröffnungsfilme. Da wäre zunächst der schon an
erwähnte Start des Wettbewerbs der Filmfestspiele von Venedig, [1][Damien
Chazelles „First Man“] über die erste Mondlandung.
Auch in den Nebenreihen ist das Programm angelaufen, wenngleich mit etwas
anderem Akzent und unterschiedlichem künstlerischen Ertrag. So schildert
der erste Film der Reihe „Orizzonti“, Alessio Cremoninis „Sulla mia pelle…
(„On My Skin“), einen der skandalösesten Gerichtsfälle Italiens der
jüngsten Zeit. Und in den „Giornate degli autori“ gab es zu Beginn mit
Rithy Panhs „Les tombeaux sans noms“ („Graves Without a Name“) einen
halbdokumentarischen Beitrag aus Kambodscha.
Rithy Panh, der in seinen Filmen dem Erbe des Regimes der Roten Khmer in
seinem Land nachspürt, hat einen eigenen Zugang zur Tragödie Kambodschas
und dem Trauma der Bevölkerung gefunden. In „Les tombeaux sans noms“ sucht
er nach Wegen, um den Opfern zu Frieden zu verhelfen, toten wie lebenden.
Seien es buddhistische Rituale mit komplex arrangierten Opfergaben aus
Früchten, Reis und Zucker oder minutiös gefertigte Holzkistchen in
Sarggestalt, die mit in Tuch eingeschlagenen Steinen befüllt und den
Flammen übergeben werden – Rithy Panh sucht nach Symbolen, die eine Wunde
erträglich machen, die unheilbar scheint.
Zu diesen Symbolen gehören arrangierte Figuren, die Panh an ländlichen
Orten aufbaut, wo er Opfer vermutet: in Gespensterform geschnittene weiße
Stoffbahnen an langen Holzstöcken, die unter Bäumen im Wind wehen, schwarze
Holzmasken, die im Wasser zwischen Kaulquappen treiben, Kleidung von Frauen
und Männern, die auf Feldern ausgebreitet liegt, als wären sie die
Überreste ihrer ermordeten Besitzer. Und immer wieder Porträtfotos, die dem
Buddha zur Kontaktaufnahme dargeboten werden oder als Mahnmale in der
Landschaft aufgestellt sind.
Aus dem Off reflektiert eine Stimme auf Französisch über die Suche nach den
Toten, den Tod im Leben und das Leben mit dem Tod. Die Erzählungen von
Überlebenden, die zwischen die ruhigen Bilder geschnitten sind, liefern die
nötigen Details über das Ausmaß des Terrors der Roten Khmer. Ein starker
Auftakt.
## Lakonische Zerbrechlichkeit
Ein grausames Ende fand auch der Protagonist des „Orizzonti“-Films „Sulla
mia pelle“, Stefano Cucchi. Der Drogenhändler, der eines Nachts im Jahr
2009 von der Polizei beim Dealen erwischt und anschließend von
Carabinieri in einer Zelle brutal zusammengeschlagen wurde, erlitt dabei
starke Verletzungen, zwei gebrochene Wirbel inklusive. Eine Woche später
starb er im Gefängniskrankenhaus. Alessandro Borghi, in Gangsterrollen
aller Art stark gefragter Darsteller, verkörpert Cucchis stetigen Verfall
mit lakonischer Zerbrechlichkeit.
Der Fall, der in Italien heftig diskutiert wurde, ist ein Beispiel für
Polizeiwillkür empörendster Art. Cremonini erzählt ihn mit fast schon zu
nüchterner Direktheit. Die Ereignisse nehmen der Reihe nach ihren Lauf,
allein die Gewalt in der Zelle wird klugerweise nicht gezeigt, doch dem
protokollarischen Stil hätte eine weitere Inszenierungsidee gutgetan.
Und die Mondlandung? Die wird in „First Man“ behutsam vorbereitet. Vor
allem geht es in Chazelles Film um den von diversen Fehlschlägen
gezeichneten Weg zum Mond, bei dem mehrere Kollegen Neil Armstrongs ihr
Leben ließen. Die klaustrophobische Innenansicht der Raumkapseln mit ihren
endlosen Schaltern und den aus nächster Nähe an ihre Helmvisiere atmenden
Astronauten lässt einen das Rattern des Flugkörpers beim Start sehr direkt
nachvollziehen. Und Ryan Goslings sparsame Mimik passt bestens zu seinem
Armstrong, einem von Kriegstraumata versehrten Mann, der über sein
Innenleben nicht sprechen kann.
31 Aug 2018
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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