# taz.de -- Volksentscheid Berlin autofrei: Immer noch (zu) radikal | |
> Die Initiative Berlin autofrei entschärft ihren Gesetzentwurf. Ob das | |
> reicht, um damit eine Mehrheit zu gewinnen? Ein Wochenkommentar. | |
Bild: Autofrei geht – aber machen da wirklich alle mit? | |
Das Projekt schlägt selbst international schon mediale Wellen: Den Autor | |
dieses Textes hat gerade die begeisterte Nachricht eines Bekannten in | |
Kanada erreicht, verlinkt ist ein Artikel aus einem US-Businessmagazin | |
unter der Überschrift „Berlin is planning a car-free area larger than | |
Manhattan“. Ob das stimme, fragt der Mann aus Kanada – und wie großartig | |
das denn sei. | |
So ganz akkurat ist der Titel natürlich nicht, aber der Artikel gibt dann | |
auch durchaus korrekt wieder, dass es sich bei „Berlin autofrei“ um ein | |
Volksbegehren handelt. Und dass am Ende wohl die BerlinerInnen bei einem | |
Volksentscheid über den radikalen Plan einer massiven Auto-Reduzierung | |
abstimmen werden. | |
Ob sie das tatsächlich im Sinne der Initiative tun, die damit das | |
verkehrspolitische Erbe des einstigen „Volksentscheid Fahrrad“ auf ein | |
neues Niveau höbe, ist dabei völlig offen. Auch wenn das für viele im | |
Twitterversum natürlich längst als wissenschaftliche Tatsache gilt – reale | |
Menschen halten sich an so etwas bekanntermaßen nicht. | |
Um mal das alte Gedicht „Über die Schwierigkeiten der Umerziehung“ von Hans | |
Magnus Enzensberger zu zitieren: „Wenn nur die Leute nicht wären!“, geht da | |
die Klage des Poeten, „Immer und überall stören die Leute. Alles bringen | |
sie durcheinander.“ Auch bei der vergangenen Klima-Schicksalswahl war das | |
wieder gut zu beobachten. | |
Im Falle der im Gesetzentwurf entworfenen „autoreduzierten Stadt“ könnten | |
die Leute, die ja entgegen aller Vernunft immer noch viel und gerne Auto | |
fahren, ziemlich kalte Füße bekommen. Ein solches Gesetz griffe tief in | |
heutige Selbstverständlichkeiten ein, für viele viel zu tief. Das könnte | |
noch den letzten Demokratiemuffel an die Urne treiben. | |
[1][Jetzt hat „Berlin autofrei“ einen entscheidenden Punkt im Entwurf | |
deutlich abgeschwächt] – ein Zeichen dafür, dass die Initiative die | |
AutofahrerInnen der Stadt wenigstens nicht ganz so stark düpieren will: | |
Wenn die schon nur 12 Fahrten pro Person und Jahr unternehmen dürfen, | |
sollen sie zumindest nicht jedes Mal begründen müssen, dass die Kommode | |
nicht aufs Lastenrad passt oder das Ferienhaus in der Mark nicht mit der | |
Bahn erreichbar wäre. | |
## Ersatz fürs Auto fehlt – noch | |
Bei allen gegenteiligen Beteuerungen – so etwas wäre organisatorisch und | |
politisch nie in den Griff zu kriegen. Andererseits ist das | |
Autofrei-Projekt auch so noch radikal genug, um eine massive Gegenbewegung | |
zu erzeugen, wenn es zur Abstimmung kommt. Es greift in die Nutzung von | |
Eigentum ein beziehungsweise entwertet dieses, es nimmt Menschen Optionen, | |
ohne dass schon für Ersatz gesorgt ist: Der erforderliche massive (!) | |
Aufwuchs des ÖPNV lässt sich nicht über Nacht finanzieren und umsetzen. | |
Nüchtern betrachtet sollten sich also auch all jene, die private Autos aus | |
der Stadt verbannen wollen, darauf einstellen, dass die weitaus langsamer | |
mahlenden Mühlen der aktuellen Verkehrspolitik den Job werden machen | |
müssen. Zumindest drehen die sich ja grundsätzlich in dieselbe Richtung. | |
22 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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