# taz.de -- Volksentscheid Berlin autofrei: Fragt sie nicht, warum | |
> Die Initiative „Berlin autofrei“ hat ihren Gesetzentwurf entschärft: Eine | |
> Pflicht zur Begründung privater Pkw-Fahrten ist darin nicht mehr | |
> enthalten. | |
Bild: Nicht schön, nur schön bunt: Berlin ist alles andere als autofrei | |
BERLIN taz | Die [1][Initiative „Berlin autofrei“] setzt mit einem | |
abgemilderten Gesetzentwurf darauf, mehr Menschen für ihr Ziel zu gewinnen, | |
um einen möglichen Volksentscheid im Jahr 2023 für sich zu entscheiden. An | |
der ursprünglich vorgesehenen Regelung, dass private Autofahrten nur noch | |
mit einer inhaltlichen Begründung möglich sein sollten, habe es zwar auch | |
rechtliche Bedenken gegeben, so Sprecherin Nina Noblé zur taz. Im | |
Vordergrund stehe aber die Angemessenheit gegenüber den NutzerInnen. Leicht | |
sei der Initiative das trotzdem nicht gefallen: „Wir haben da mit uns | |
gerungen.“ | |
Die Initiative hat ein Gesetz erarbeitet, das den privaten Autoverkehr in | |
der Berliner Innenstadt massiv einschränken würde. Grundsätzlich dürften | |
nur noch Wirtschaftsverkehr, ÖPNV und Einsatzfahrzeuge motorisiert | |
unterwegs sein, Ausnahmen gäbe es beispielsweise für Menschen mit | |
Mobilitätseinschränkungen. Eine private Nutzung wäre nur noch 12-mal im | |
Jahr pro Person möglich. | |
Letzteres sollte eigentlich auch im Einzelfall begründet werden müssen – | |
etwa mit einem Möbeltransport oder einer Urlaubsreise. Diese Pflicht zur | |
Begründung hat die Initiative nun vor Kurzem aus dem Text entfernt – in | |
Absprache mit der Senatsinnenverwaltung, die den Entwurf derzeit auf seine | |
rechtliche Zulässigkeit hin prüft. | |
Nach der Sammlung von mehr als 50.000 Unterschriften für den Antrag auf ein | |
Volksbegehren im August hatte ein Sprecher der taz noch gesagt, in der | |
Notwendigkeit, den Grund für eine Fahrt zu benennen, [2][liege gerade der | |
„Kniff“ des Gesetzes]: Es sei „ein völlig neues Herangehen in der | |
Verkehrsdebatte“. Auch werde dadurch kein bürokratisches Monster | |
geschaffen, wie von KritikerInnen befürchtet, denn es stehe den Behörden | |
frei, die tatsächliche Zulässigkeit stichprobenartig zu überprüfen. | |
„Losfahren“ könnten die NutzerInnen also auch so. | |
Laut Noblé hatten die Freiwilligen der Initiative beim | |
Unterschriftensammeln aber auch viele skeptische Rückmeldungen bekommen: | |
Den Menschen Kontrollen zuzumuten, bei denen sie nachweisen müssten, dass | |
sie nun wirklich gerade in den Urlaub fahren, „das erschien uns dann doch | |
ein bisschen vermessen“. Auch einen Missbrauch dieser Regelung kann sich | |
die Sprecherin vorstellen: „Vielleicht hat die Person dann halt immer einen | |
Schrank im Kofferraum.“ Und obwohl die Initiative davon ausgeht, dass ihr | |
Entwurf eindeutig verfassungskonform ist, erschien die Begründungspflicht | |
den AktivistInnen offenbar doch zu leicht angreifbar. | |
## Maximal zwei Monate Verzug | |
Ein Legitimitätsproblem sieht Noblé durch die nachträgliche Anpassung nicht | |
– auch wenn die Unterschriften nun streng genommen für eine veraltete | |
Version geleistet wurden: Es handele sich ja nicht um eine grundlegende | |
Änderung. In Kauf nehmen muss die Initiative, dass die | |
Senatsinnenverwaltung nun eigentlich bis Anfang März Zeit hat, ihre Prüfung | |
abzuschließen, zwei Monate später als geplant. | |
Dann liegt der Entwurf für vier Monate im Abgeordnetenhaus, das über ihn | |
beraten kann. Lehnt es ihn ab und gibt es auch keine Kompromisslösung mit | |
der Initiative, kann „Berlin autofrei“ mit der „großen“ | |
Unterschriftensammlung beginnen. Dann müssen innerhalb von vier Monaten | |
rund 175.000 BerlinerInnen das Volksbegehren unterzeichnen. | |
Obwohl die Innenverwaltung sich in der Vergangenheit nicht darin | |
auszeichnete, Fristen zu unterlaufen, ist die Initiative laut Nina Noblé | |
„guten Mutes“, dass es schon im Februar weitergeht: „Die Prüfung war ja … | |
Großen und Ganzen schon abgeschlossen.“ Man habe der Senatsverwaltung auch | |
bereits mit Vorlauf angekündigt, den ursprünglichen Entwurf nachbessern zu | |
wollen. | |
Um im Juni oder Juli die Unterschriftensammlung starten zu können, werde | |
man schon jetzt damit anfangen, weitere Stadtteilgruppen aufzubauen. Es | |
gehe außerdem darum, das Thema weiter zu etablieren und den SkeptikerInnen | |
die Vorteile einer „autoreduzierten Stadt“ klarzumachen. „Wir wollen mit | |
dieser Vision alle mitnehmen.“ | |
Die politische Richtung der für Mobilität zuständigen Verwaltung von | |
Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) begrüße man und hoffe auf den notwendigen | |
Ausbau von Nahverkehr und Radinfrastruktur. Auch die Schaffung | |
verkehrsberuhigter Kiezblocks sei richtig. Aber, so Noblé: „Auch Menschen, | |
die an großen Straßen leben, sollen an einer menschenfreundlichen Stadt | |
teilhaben.“ Klar sei auch: „Wir haben klare rote Linien festgelegt.“ An | |
eine Verhandlungslösung mit der Politik glaube „Berlin autofrei“ eher | |
nicht. | |
19 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://volksentscheid-berlin-autofrei.de | |
[2] /Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5786462 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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