# taz.de -- Verstimmung bei Anti-NSA-Protesten: Presse in den Knast | |
> Wenn die Menschen gegen Überwachung auf die Straße gehen, ist das auch | |
> die Stunde der Medienfeinde und Verschwörungstheoretiker. | |
Bild: Guy-Fawkes-Maske als Sonnenschutz bei der Demo in Berlin. | |
BERLIN taz | Der Mann, der bis zum Hut und Sonnebrille ganz in schwarz und | |
grau gekleidet ist, schimpft: Dass die Demo ausgerechnet über Facebook | |
organisiert wurde, dass sei schlimm. Schließlich sei das soziale Netzwerk | |
eine der bösesten Datenkranken. | |
Wahrscheinlich denken andere genauso oder zumindest so ähnlich. Jedenfalls | |
sind in Berlin mit knapp 2000 Menschen mehr Leute auf die Straße gegangen, | |
als vorher bei Facebook ihre Teilnahme angekündigt haben. Bundesweit | |
[1][waren es rund 10.000]. | |
Es sind Leute, denen ihre „Freiheit wichtiger ist als ein Badetag“, wie es | |
einer ausdrückt und die deshalb auch bei mehr als 30 Grad und Sonne durch | |
die Straßen der Hauptstadt bis zum Brandenburger Tor laufen. Manche mit | |
nacktem Oberkörper. Eltern sind dabei mit ihren kleinen Kindern im | |
Fahrradanhänger, die stolz ein Schild hochhalten, auf dem Edward Snowden | |
abgebildet ist. Dazu ein Daumen nach oben, „I like“. | |
„1984 ist da“, hat ein Mann auf sein Schild geschrieben und spielt damit | |
auf den Überwachungsstaat an, den George Orwell in seinem Roman beschrieben | |
hat. Eine Frau trägt ein Transparent, auf dem steht: „Schwitzen gegen | |
Prism“. Prism, eines der Überwachungsprogramme des US-Geheimdienstes NSA. | |
## Seit Jahrzehnten im Recht | |
Wenn gegen staatliche Überwachung und für den Schutz von Whistleblowern | |
demonstriert wird, dann ist das auch die Stunde der | |
Verschwörungstheoretiker. Manche sind jetzt in einer starken Position, denn | |
sie sind jetzt gar keine Verschwörungstheoretiker mehr. Weil ja durch die | |
Dokumente, die Edward Snowden enthüllt hat, klar geworden wist: Unsere | |
Kommunikation wird flächendeckend durch die Geheimdienste überwacht. Das | |
behaupten manche seit Jahrzehnten – und wurden nicht ernst genommen. Aber | |
muss deshalb alles stimmen, was so behauptet wird? | |
Einer bezeichnet Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seinem Schild als „IM | |
Erika“. Er habe sehr starke Zweifel, dass Deutschland noch eine Demokratie | |
sei, sagt er. Ein souveräner Staat sei die Bundesrepublik jedenfalls nicht. | |
Eine Schülerin im Bikinioberteil hat eine Pyramide mit einem wachenden Auge | |
auf ihr Schild gemalt, das Symbol der Illuminaten, rot durchgestrichen. Sie | |
beschäftige sich viel mit Dingen, über die Medien nicht berichten, sagt | |
sie. „Terrorismus ist nicht mehr real für mich.“ Alles Fake, alles ein | |
Konstrukt, ersponnen auf den Bilderberg-Konferenzen. „Ich protestiere, weil | |
ich mich nicht länger auf all die Lügen einlassen will.“ | |
Ungefähr nach der Hälfte der Demostrecke, kurz vor dem Gebäude der taz in | |
der Rudi-Dutschke-Straße, wird dann ein Audioclip abgespielt. Er sei an die | |
gerichtet, kommt aus dem Lautsprecher, die leider nicht hier seien, sondern | |
lieber am Schwimmbecken lägen. Und an die Medien. | |
## Medienterroristen mit Presseausweis | |
Der Spot stammt von Ken Jebsen, einem ehemaligen RBB-Moderator, der | |
[2][Ende 2011 vom Sender rausgeschmissen] wurde, nachdem | |
Antisemitismusvorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Die damalige Begründung | |
des RBB: Er habe journalistische Standards nicht eingehalten. Jebsen | |
veröffentlicht jetzt Sendungen auf eigene Faust im Internet. | |
Der Spot ist eine zehnminütige Anklage ([3][hier ein Live-Mitschnitt]). Von | |
der „Systempresse“ ist darin die Rede, eine Bezeichnung, die Neonazis gerne | |
verwenden. Von „Medienterroristen mit Presseausweis“, die mitverantwortlich | |
seien für „Mord und Totschlag, überall auf der Welt“. Die Journalisten | |
wüssten, dass Krieg geführt wird, „als Beschaffungsmaßnahme für | |
Bodenschätze“, aber sie hielten den Mund, weil sie „extrem feige“ seien. | |
„Ihr macht mit, indem ihr schweigt“, tönt es aus den Lautsprechern. Die | |
Forderung: „Die meisten Pressevertreter gehören hinter Gitter.“ Der Jubel | |
der Demonstranten wird etwas weniger, ein paar Pfiffe sind zu hören. | |
Neben dem bunt bemalten Wohnmobil, aus dem der Spot abgespielt wird, fangen | |
die Organisatoren der Demo an, zu diskutieren. „Es ist eine Scheiße, was | |
ihr macht“, sagt einer. Kurz danach verkündet ein Mann über den | |
Lautsprecher: „Der Clip, der gerade gespielt wird, ist nicht mit allen | |
Organisatoren abgesprochen. Es gibt mehrere Organisatoren, die sich davon | |
distanzieren.“ Sie seien ja wegen Edward Snowden hier, wegen der | |
NSA-Überwachung, das sei das Thema. Man sei parteiunabhängig und neutral. | |
Dann wird der Spot zu Ende gespielt. | |
Später auf diese Szene angesprochen, druckst der Friedensaktivist Steffen | |
Aumüller, der die Demo angemeldet hat, ein bisschen herum. „Ich finde den | |
auch nicht so toll“, sagt er über den Spot. „Er ist ein bisschen | |
populistisch.“ Aber es gelte ja die Meinungsfreiheit, deshalb sei es kein | |
Problem gewesen, dass er abgespielt wurde. | |
Ein junger Mann Anfang 20, der mit einer Guy-Fawkes-Maske zur Demo gekommen | |
ist, ist deutlicher. „Sehr gut“, fand er ihn. Ken Jebsen sei überhaupt der | |
beste Journalist. Vielleicht übertreibe er es ein kleines bisschen. „Aber | |
irgendwie muss man die Menge ja aufwecken.“ Die Forderung, dass | |
Journalisten ins Gefängnis gehören, sei ja durchaus differenziert: „Nur die | |
Journalisten, die lügen, sollen weggesperrt werden.“ | |
27 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] /!120758/ | |
[2] /!82461/ | |
[3] http://soundcloud.com/seberb/spot-demo-stop-watching-us-in | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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