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# taz.de -- Verquerer Protestmix in Stuttgart: Deutschlands größte Corona-Par…
> An zahlreichen Orten protestierten Menschen am Samstag gegen den
> Corona-Lockdown. Der Schwerpunkt der Demonstrationen lag in Stuttgart.
Bild: Abstandsregeln und Mund-Nasen-Schutz waren bei den Stuttgarter Demonstran…
Stuttgart taz | Die Akzeptanz zu Maskenpflicht, Abstandsregeln und
sonstigen coronabedingten Einschränkungen scheint bei Teilen der
Bevölkerung zu schwinden. Tausende Menschen protestierten am Samstag gegen
die Einschränkungen von Grundrechten wegen der Corona-Pandemie. In München
waren etwa 3.000 Menschen auf dem Marienplatz versammelt, rund 2.000 kamen
in Nürnberg. In Frankfurt am Main, Köln, Gera, Berlin und zahlreichen
anderen Städten hatten sich mehrere hundert Menschen versammelt.
Schwerpunkt der Proteste war Stuttgart. Dort hatten Demonstranten sogar die
Wahl gehabt zwischen zwei Veranstaltungen – wenn auch mit höchst
unterschiedlicher Intention. Wer gegen Ungerechtigkeiten bei der
Lastenverteilung in der Coronakrise demonstrieren wollte, konnte zu einer
eilends von der Gewerkschaft Verdi, den Fridays for Future, der Linkspartei
und antifaschistischen Gruppen organisierten [1][Kundgebung vor dem
Cannstatter Kurhaus] gehen – und damit gleichzeitig ein Statement gegen
Rechts und gegen Verschwörungsideologen abgeben.
Man konnte sich aber auch einer wilden Mischung aus besorgten Bürgern und
Verschwörungsideologen fast aller politischen Schattierungen anschließen.
Zu deren Veranstaltung hatte keine Partei oder Gewerkschaft, sondern der
Unternehmer Michael Ballweg aufgerufen.
Schon am frühen Nachmittag ist klar, die weitaus höhere Anziehungskraft hat
die digitale Graswurzelbewegung von Ballweg. Gegen 15.30 Uhr ist das
Stuttgarter Festgelände auf dem Cannstatter Wasen voll mit Menschen. Manche
von ihnen tragen das Grundgesetz um den Hals, Deutschlandfahnen flattern
neben Pace-Fahnen im Wind.
Andere kommen mit selbstgebastelten Transparenten, mit Aufschriften wie:
„Wegen 137 Toten zerstört die Politik die Psyche der Menschen“, „Wir sind
nicht die Sklaven der Diktatur Angela“. Vor allem fallen viele T-Shirts auf
deren Träger Bill Gates und seine Stiftung hinter dem Corona-Lockdown
vermuten: „Gib Gates keine Chance“, oder noch geschmackloser „Kill Bill“
ist da zu lesen.
## Mehr als 10.000 Teilnehmer
Auf 10.000 Teilnehmer hatte die Stadt Stuttgart die Zahl der Demonstranten
wegen des Infektionsschutz begrenzt. Aber man muss kein Freund der Bewegung
sein, um die Zahl der Teilnehmer auf wesentlich mehr zu schätzen. Auch aus
der Region sind Leute angereist. In den kommenden Wochen könnte sich die
Demo als größte Corona-Party Deutschlands herausstellen.
Zwar haben die Organisatoren weiße Kreuze im Abstand von zwei Metern auf
den Boden gesprayt, doch vor allem vor der Bühne wird es trotzdem eng. Und
unter den einzelnen Gruppen, die angeben, zum gleichen Haushalt zu gehören,
werden gern demonstrativ Hände geschüttelt und umarmt. Familien mit Kindern
haben sich mit Klappstühlen und Decken niedergelassen, eine Frau markiert
den Corona-Sicherheitsabstand mit einem Hulahup-Reifen.
Die Menge, die sich bei Sonnenschein versammelt hat, sieht aus, als hätte
jemand Pegida-Klientel mit linken Protestbewegungen verquirlt. Am Rande
wird meditiert und zum Frieden aufgerufen; Impfgegner und Tierfreunde
treffen auf Leute, die sagen, es sei ihre erste Demonstration. Darunter
viele Kleinunternehmer, Gastronomen, Friseure, die stolz ihr Firmenlogo auf
Mütze oder Poloshirt gedruckt haben. Leute, die die Krise in ihrer Existenz
trifft.
Aber man erkennt auch geübte Demonstrationsgänger. Darunter Rechtsextreme,
die etwa [2][Jürgen Elsässers Compact-Magazin] verteilen. Die Rechten
stehen etwas unentschlossen herum, während von der Bühne „We shall
overcome“ gesungen wird, die Hymne der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in
den USA. Die Mischung könnte altgediente Grüne entfernt an ihren
Gründungsparteitag 1980 in Karlsruhe erinnern, wo ebenfalls Bürgerliche und
Esoteriker auf Linke und Ganzrechte trafen.
Doch um so eine solch amorphe Menge zu einer echten Protestbewegung zu
formen, braucht es politische Köpfe, wie sie die Grünen damals hatten. Der
Initiator der „Querdenken“-Bewegung, [3][der Digital-Unternehmer Ballweg],
ist das erkennbar nicht. Auch der Sinzheimer Internist Bodo Schiffmann und
der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, die Ballweg unterstützen und im
Netz angeblich eine Corona-Protestpartei gegründet haben, machen nicht
diesen Eindruck.
## Wissenschaftler „weitgehend korrumpiert“
Was auch immer die Versammelten ansonsten trennen mag, sie alle verbindet
ihre bisweilen fanatische Gegnerschaft zum Lockdown. So beschimpft der
Hannoveraner Professor Stefan Homburg von der Bühne herab unter Jubel,
Wissenschaftler, die die Regierung in der Corona-Krise beraten, als
„weitgehend korrumpiert“. Homburg, der als Ökonom im Staatsdienst gerne mal
Rentenkürzungen fordert, schreckt auch vor Nazi-Vergleichen nicht zurück.
Seit Corona verstehe er besser, was 1933 bei der Machtergreifung passiert
sei.
Zweifelhafter Höhepunkt des Nachmittags ist Ken Jebsen, [4][ein digitaler
Wanderprediger], [5][der auf seinem Youtube-Kanal immer wieder
Verschwörungstheorien verbreitet]. Ein Lob auf das Grundgesetz verbindet er
mühelos mit der Behauptung, dass Deutschland seit 1949 nur eine
„Demokratiesimulation“ sei.
Jebsen, der sich mit der rätselhaften Formel „Ich bin Ken Jebsen, meine
Zielgruppe bleibt der Mensch“ vorstellt, ist dabei selbst so etwas wie eine
Politiksimulation. Er verschwindet nach wenigen Minuten von der Bühne, weil
er, wie er sagt, mit den Menschen „auf Augenhöhe sprechen“ wolle.
Der nun unsichtbare Jebsen warnt dann vor einer angeblichen Impfpflicht.
Sie nutze angeblich nur einem, dem amerikanischen Milliardär Bill Gates,
der das alles von langer Hand eingefädelt habe.
Michael Ballweg sagte vorab, er wisse, dass Jebsen umstritten sei. Dann
nennt er den ebenso schlichten wie populistischen Grund, warum er ihn
dennoch Reden lässt: „Jemand, der mit einem Youtube-Video 2,7 Millionen
Menschen erreicht, ist qualifiziert, seine Meinung zu sagen.“
Richtigstellung: In einer früheren Version haben wir geschrieben, dass der
Hannoveraner Professor Stefan Homburg von der Bühne herab unter Jubel
Wissenschaftler, die die Regierung in der Corona-Krise beraten, als
„allesamt korrumpiert“ beschimpfte. Diese Darstellung war falsch. Er sagte
„weitgehend korrumpiert“.
10 May 2020
## LINKS
[1] https://stuttgart.verdi.de/service/veranstaltungen-und-seminare/++co++9be1a…
[2] /Compact-Magazin-in-der-Krise/!5676890
[3] /Koepfe-der-Corona-Relativierer/!5681132
[4] /Koepfe-der-Corona-Relativierer/!5681132
[5] https://correctiv.org/faktencheck/2020/05/08/grosse-verschwoerung-zum-coron…
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
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