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# taz.de -- Die Samstags-Mahnwachen in Berlin: In der Welt der Verschwörer
> Die Hygienedemos am Rosa-Luxemburg-Platz verändern ihre Strategie: Jetzt
> soll dezentral, an belebten Orten der Stadt verstreut demonstriert
> werden.
Bild: Willkommen in der Welt der Verschwörer: Demo am Rosa-Luxemburg-Platz am …
Berlin taz | Schon seit vier Wochen spielen sich jeden
[1][Samstagnachmittag auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und in den Seitenstraßen
absurde Szene ab]. Menschen stehen nah beieinander, halten Grundgesetze in
die Höhe, warnen auf Schildern vor der Coronadiktatur. Zu hören sind „Wir
sind das Volk“-Rufe und Durchsagen aus einem Lautsprecherwagen der Polizei:
„Ihre Versammlung stellt eine Straftat nach der Eindämmungsverordnung dar.“
Nach einer Weile beginnen PolizistInnen damit einzelne DemonstrantInnen
herauszugreifen und abzuführen. Die Menge buht – und fühlt sich bestätigt.
Etwa 500 Menschen sind an den vergangenen beiden Wochenenden jeweils dem
Aufruf des Vereins Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand
gefolgt, gegen die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie
und damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen zu demonstrieren. Doch
den meisten TeilnehmerInnen und den OrganisatorInnen der sogenannten
Hygienedemos geht es um mehr: Sie zweifeln die Grundlage für die Maßnahmen
an, also die Gefährlichkeit des Virus. [2][Vereinsgründer Anselm Lenz], der
bis vor Kurzem als freier Autor für die taz Berlin tätig war, spricht von
„mindestens zwei wissenschaftlichen Meinungen“.
In einem selbst produzierten Video, in dem er zusammen mit seinem
Mitstreiter, dem Kulturwissenschaftler Hendrik Sodenkamp, Einblick in seine
Gedankenwelt gewährt, referiert Lenz über die angeblichen Interessen hinter
der Virusausbreitung. Demnach gehe es den Eliten aus Politik und Wirtschaft
um eine „Rekalibrierung des kapitalistischen Herrschaftssystems“. Dafür
werde die Zeit des Lockdowns genutzt, unterlegt durch eine „massive
Betrugskampagne“ der „gleichgeschalteten Presse“. Regierung und
Journalisten müssten „vor Gericht gestellt werden“. Willkommen in der Welt
der Verschwörer.
Die Szene derjenigen, die den etablierten Medien abgeschworen haben und
stattdessen auf Blogs und Videokanälen von Verschwörungsideologen unterwegs
sind, hat verstanden und folgt auf die Straßen, inzwischen auch in anderen
Städten. Unter den Teilnehmenden finden sich vermeintliche
Friedensaktivisten, Impfgegner, Anhänger der Qanon-Verschwörung, die an
Geheiminformationen über Kinderhändlerringe glauben und vermehrt auch
klassische Rechtsextreme. So war am vergangenen Samstag etwa der
„Volkslehrer“ Nikolai Nerling vor Ort, ein verurteilter neonazistischer und
antisemitische Volksverhetzer.
## „Alternative“ Wahrheiten
Lenz und Sodenkamp, beide bislang in der politischen Linken zu verorten und
einst beim kapitalismuskritischen Kunstprojekt Haus Bartleby aktiv, nehmen
all das – eine Distanzierung von Nerling als einzige Ausnahme –
unwidersprochen hin.
Medial gefeatured werden sie von Kanälen wie Ken FM und anderen YouTubern
mit „alternativen“ Wahrheiten. Aber auch 3sat stellte sie als
Bürgerrechtler vor und die „Tagesschau“ sprach noch vergangenen Samstag
kontextlos von Menschen, die gegen die „Einschränkung ihrer Rechte während
der Coronapandemie demonstriert“ hätten. Auf Anfrage des Tagesspiegel
folgte die journalistische Kapitulation der ARD: „Innerhalb von 25 Sekunden
ist es leider nicht möglich, den Hintergrund, die Motive und die
Zusammensetzung der Demonstrierenden umfassend darzustellen.“
Vor der letzten Demo bekamen Lenz und Sodenkamp Besuch von der Polizei, die
den vermeintlichen Veranstaltern der nicht genehmigten Demo
Aufenthaltsverbote für den Bereich Rosa-Luxemburg-Platz aushändigen wollte.
Lenz veröffentlichte ein Video der Szene, die zeigt, wie er sich hinter
seiner Wohnungstür verschanzte und die Beamten immer panischer anbrüllte.
Nun sucht er mit einem Foto nach den Zivilpolizisten, die, so mutmaßt er,
womöglich gar keine Polizisten gewesen seien.
Angesichts der versammlungsrechtlichen Probleme, haben Lenz und Partner
ihre Strategie für diesen Samstag angepasst. Sie rufen nicht mehr zentral
auf den Rosa-Luxemburg-Platz, sondern wollen, dass sich ihre Anhänger an
belebten Orten der Stadt verstreuen und dort die zweite Auflage einer
selbst produzierten Zeitung verteilen. „Das ist presserechtlich und
grundgesetzlich noch stärker abgesichert“, heißt es im Newsletter des
Vereins. Auch für den 1. Mai gibt auf der Website des Vereins
nichtohneuns.de bereits einen ähnlichen Aufruf.
25 Apr 2020
## LINKS
[1] /Corona-Verschwoererinnen-demonstrieren/!5677960/
[2] /Corona-und-Verschwoerungstheoretiker/!5675712/
## AUTOREN
Erik Peter
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