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# taz.de -- Verleger der „Berliner Zeitung“: Deckname Bernstein
> Holger Friedrich soll Stasi-IM gewesen sein. Sein Umgang mit der
> Vergangenheit bedroht die Glaubwürdigkeit der Zeitung.
Bild: Friedrich hat vor wenigen Tagen über seine Zeit bei der NVA geredet und …
Holger Friedrich, einer der neuen [1][Eigentümer der Berliner Zeitung],
arbeitete als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) unter dem Decknamen „Peter
Bernstein“ für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Das geht aus
[2][Recherchen der Welt am Sonntag] hervor, die sich auf Friedrichs IM-Akte
aus der Stasiunterlagenbehörde stützen. Aus rund 125 Seiten der Akte habe
die Behörde der Zeitung auf Antrag 80 Seiten zur Verfügung gestellt.
Die Recherchen belasten den Verleger schwer. Demnach soll er während seines
dreijährigen Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) über
Kameraden an die Stasi berichtet haben. Einige davon seien durch Friedrich
schwer belastet worden. In zwölf größtenteils handschriftlichen
Spitzelberichten werden nach Angaben der Welt am Sonntag mehr als 20
Personen in identifizierbarer Weise genannt.
Gegen einige der Betroffenen seien auf Grundlage der Berichte „Maßnahmen“
durch die Stasi verfügt worden. „Er belastet in den Gesprächen Personen aus
seinem Umgangskreis“, zitiert die Welt am Sonntag eine schriftliche
Beurteilung Friedrichs durch seinen Führungsoffizier. Von Dezember 1987 bis
Februar 1989 soll Friedrich mit Stasi-Offizieren zu konspirativen Treffen
zusammengekommen sein.
[3][Im September hatte Holger Friedrich den Berliner Verlag, zu dem neben
der Berliner Zeitung auch der Berliner Kurier gehört, gemeinsam mit seiner
Frau Silke Friedrich gekauft.] Den Kauf sähen die beiden als
„zivilgesellschaftliches Engagement“, hieß es damals. Zuvor war das Ehepaar
nicht publizistisch oder journalistisch in Erscheinung getreten. Nach ihrem
Erwerb des Verlags starteten die Friedrichs ein Modernisierungsprogramm bei
der Berliner Zeitung, erneuerten etwa die digitale Infrastruktur des
Unternehmens.
## „Editorial“ erscheint in neuem Licht
Sowohl Holger Friedrich als auch seine Ehefrau stammen aus der DDR. In
einem Interview, das das Paar der Berliner Zeitung nach dem Bekanntwerden
ihrer Übernahme des Verlags gaben, sagte Holger Friedrich, er habe als Kind
nur die Berliner Zeitung gelesen, weil diese ihm „zu DDR-Zeiten etwas
weniger gebeugt vorkam“.
Bisher wurden Silke und Holger Friedrich als redaktionell einflussnehmende
Verleger wahrgenommen. So veröffentlichten sie Anfang November ein
umfangreiches „Editorial“, [4][in dem sie recht ungelenk ihren Blick auf
die Gesellschaft darlegten.] Einige Aussagen in Verbindung mit dem als
„Manifest“ wahrgenommenen Text erscheinen durch die Veröffentlichung der
Welt am Sonntag in einem neuen Licht.
So danken die Friedrichs etwa dem SED-Funktionär Egon Krenz, der in den
Mauerschützenprozessen im Jahr 1997 wegen Totschlags verurteilt wurde.
„Egon Krenz hat mit dieser persönlichen Entscheidung [1989 keinen Befehl
zur Anwendung von Gewalt gegeben zu haben] Millionen Menschen
selbstbestimmte, positive Lebenswege ermöglicht, die uns unter anderem
diesen Text in dieser Zeitung veröffentlichen lassen“, heißt es in dem
Editorial. „Dafür sind wir ihm dankbar und möchten fragen, ob es in
gleichem Maße groß war, ihn neben anderen zu viereinhalb Jahren Haft zu
verurteilen.“
Zu dieser Passage sagte Holger Friedrich in einem Interview mit der
Deutschen Presseagentur Aufschlussreiches über seine Zeit bei der NVA. „Ich
war zu dieser Zeit bei der Armee, bin wenige Wochen vorher von der Armee
entlassen worden. Die Soldaten hatten die Munition, es war Urlaubssperre.
Und es war allen von uns klar: Wenn das eskaliert, müssen wir hier ran.“
## Friedrich äußert sich erst auf Anfrage
Und weiter: „Wir haben diese Diskussion geführt, nachts, in ganz kleinen
Kreisen: Wie verhält man sich dann? In meiner engen Sozialisation einer
Stube bei der Armee hatten wir die komprimierte Gesellschaft. Es gab die,
die sagten: ‚Wir müssen die Errungenschaften des Sozialismus verteidigen.
Und ja selbstverständlich werde ich dann schießen.‘ Und es gab die: ‚Ich
renne sofort weg, verstecke mich im Wald und ich möchte daran nicht
teilhaben.‘“
Holger Friedrich hat also nur wenige Tage vor Konfrontation mit seiner
Stasi-Akte durch die Welt am Sonntag ausführlich über seine Zeit bei der
NVA gesprochen. Dabei unerwähnt ließ er, dass er der Stasi über Kameraden
berichtete. Er sagte nicht, ob er zu jenen gehörte, die den Sozialismus
verteidigen wollten, oder zu jenen, die sich im Wald verstecken würden.
Stattdessen gab er zu Protokoll, er sei dankbar, dass nicht weiter
eskaliert wurde, womit er Krenz meinte. „Weil ich war in dieser Zeit, wie
viele andere, ebenfalls in einem moralischen Dilemma.“
Erst auf Anfrage der Welt am Sonntag äußerte Friedrich sich öffentlich zu
seiner Zeit als IM der Stasi. [5][In einem Beitrag mit dem Titel „Holger
Friedrich: In eigener Sache“], der Freitagmittag auf der Webseite der
Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, werden die Fragen, die von der Welt
am Sonntag an Friedrich gestellt wurden, inklusive seiner Antworten
publiziert. Ausführungen über die gestellten Fragen hinaus oder eine
längere Stellungnahme blieben dabei aus.
## Plausible Erzählung
Die Darstellung der abgefragten Sachverhalte erscheint dabei durchaus
plausibel. So schreibt Holger Friedrich, dass er während seines
Wehrdienstes unter dem Verdacht der Republikflucht verhaftet worden war.
Unter dem Druck einer drohenden längeren Haftstrafe im berüchtigten
Militärgefängnis in Schwedt habe er eine Verpflichtungserklärung
unterschrieben. Er wäre damit beileibe nicht der erste informelle
Mitarbeiter, der in eine Mitarbeit bei der Stasi erpresst worden ist.
Auch die Beschreibung seiner „Dekonspiration“ passt in ein nicht
ungewöhnliches Muster. So gibt es mehrere dokumentierte Fälle, bei denen
Dissidenten zum Beispiel in Haft zur Vermeidung von Repressionen einer
Mitarbeit zustimmten, diesen Umstand nach Entlassung aber im Kreis von
Bekannten und Freunden öffentlich machten. Sie waren so nicht mehr als IM
einsetzbar.
Den absichtlich laxen Umgang mit den Anforderungen an Konspiration durch
die Stasi machten sich aber auch viele potentielle IMs in weniger
spektakulären Fällen zu eigen. An den richtigen Stellen platziert,
verhinderten Indiskretionen über Kontaktaufnahmen weitere Versuche des
Geheimdienstes, eine Zusammenarbeit herbeizuführen. Eines der bekanntesten
Beispiele der freiwilligen Dekonspiration ist das des Bürgerrechtlers
Wolfgang Templin, der noch als Student 1975 seine Tarnung aufgab und danach
zu einem wichtigen Kopf der DDR-Opposition wurde.
Holger Friedrich erklärt weiter, dass er sich einer der Personen, die er
aushorchen sollte, offenbart und eine Verabredung getroffen habe, wie er
der Stasi berichten sollte. Auch ein solcher Vorgang ist nicht ohne
Beispiel, wäre jedoch von der betroffenen Person noch zu bestätigen. Die
Frage, ob Holger Friedrich anderen geschadet hat, wird alleine aus dem
Studium seiner Akte nur eingeschränkt zu beantworten sein.
## „Maier'sche Säuberung“ in der Zwickmühle
In anderen Fällen, auch bei der Berliner Zeitung selber, ist deutlich
geworden, dass hierfür eine ausführlichere Prüfung unter Einbeziehung
weiterer Unterlagen und gegebenenfalls der Einholung von Aussagen Dritter
nötig ist.
Dem Herausgeber der Berliner Zeitung, Michael Maier, ist die Situation
nicht gänzlich unbekannt. Er war als Chefredakteur 1996-98 verantwortlich
für die Stasi-Überprüfungen in der Redaktion und vertrat einen äußerst
ungnädigen Umgang mit belasteten Redakteuren, der im Haus gelegentlich als
„Maier'sche Säuberung“ erinnert wird. In seine neue Funktion ist Maier erst
vor zwei Wochen zur Berliner Zeitung zurückgekehrt.
In einer [6][Stellungnahme zum aktuellen Fall versucht Maier,] den früheren
Umgang mit Ex-Stasi-Mitarbeitern in der Zeitung zu erklären. Er verweist
dabei insbesondere auf den Ehrenrat, der eingerichtet worden war, um eine
differenziertere und auf persönliche Lebensumstände achtende Beurteilung
der Einzelfälle zu ermöglichen.
In der Praxis bedeutete diese Einzelfallprüfung für Mitarbeiter, die weiter
für die Berliner Zeitung arbeiten durften, den Ausschluss von leitenden
Funktionen. Andere Mitarbeiter verloren ihren Job wegen einer früheren
Arbeit für die Stasi. Mit Blick auf diese Geschichte wird der Umstand, dass
der Eigentümer und Verleger selbst dem Vorwurf der Spitzeltätigkeit
ausgesetzt ist, zu einer argumentativen Zwickmühle – auch gegenüber der
eigenen Redaktion.
## Versäumte Kommunikation
Für die neuen Verleger könnte es nun schwierig werden. Unabhängig von der
persönlichen Schuld Holger Friedrichs stellt sich die Frage nach seinem
Umgang mit der Vergangenheit. Er hatte viel Zeit und die Möglichkeit, sich
mit dem Schritt an die Öffentlichkeit, die der Kauf des Berliner Verlags
darstellt, proaktiv zu seiner Vergangenheit als IM zu äußern.
Dass er das versäumt hat, könnte nicht nur innerhalb der Redaktion für
Unmut sorgen, sondern für die Berliner Zeitung zu einem
Glaubwürdigkeitsproblem werden. Die Veröffentlichung der Fragen der Welt am
Sonntag stellt eine Schadensbegrenzung für die im Vorfeld versäumte
Kommunikation dar, wird aber kaum das letzte Wort in der Sache gewesen
sein.
Die frühere Stasi-Tätigkeit ihres Eigentümers ist derweil nicht der einzige
medienethische Konflikt, mit dem sich die Berliner Zeitung jetzt wird
auseinandersetzen müssen. [7][Nach einem Bericht des Spiegels], ebenfalls
vom Freitag, hält Holger Friedrich Aktien an einem Gentechnik-Unternehmen,
das am 8. November auf der Titelseite seiner Zeitung als „Ostdeutsche
Erfolgsstory“ gefeiert wurde. Zum möglichen Interessenkonflikt befragt,
wollte sich Friedrich laut Spiegel nicht äußern.
15 Nov 2019
## LINKS
[1] /Verkauf-des-Berliner-Verlags/!5622989
[2] https://www.welt.de/kultur/medien/article203493762/Holger-Friedrich-Neuer-B…
[3] /Neue-Eigentuemer-fuer-den-Berliner-Verlag/!5627209
[4] https://www.salonkolumnisten.com/daemliches-manifest/
[5] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/holger-friedrich-in-ei…
[6] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-berliner-zeitung-u…
[7] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/holger-friedrich-gibt-es-interes…
## AUTOREN
Alexander Nabert
Daniél Kretschmar
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