| # taz.de -- Aufarbeitung im Berliner Verlag: Nochmal von vorn | |
| > Michael Maier ging einst hart gegen Stasi-Mitarbeiter in der „Berliner | |
| > Zeitung“ vor. Wie sieht er die IM-Vergangenheit von Holger Friedrich? | |
| Bild: Er verstehe die Seele der Zeitung, sagt Michael Maier | |
| Irgendwo im Niemandsland zwischen Berlin-Mitte und Kreuzberg liegt ein | |
| schwerer Archivband auf einem schlichten, runden Tisch. Darin versammelt | |
| sind historische Titelseiten der Berliner Zeitung, beige und schwarz, keine | |
| Farben. Aufgeschlagen ist die Ausgabe vom 21. November 1989, die Mauer ist | |
| da erst ein paar Tage gefallen. Die Zeitung berichtet über einen Besuch des | |
| bundesdeutschen Kanzleramtsministers Rudolf Seiters bei Egon Krenz, dem | |
| glücklosen Nachfolger Erich Honeckers als Staats- und Parteichef. | |
| Der Archivband liegt nicht zufällig in diesem hellen Eckbüro mit großen | |
| Fenstern im vierten Stock des noch immer neuen Gebäudes des Berliner | |
| Verlags, dessen bekannteste Marke die Berliner Zeitung ist. Michael Maier | |
| hat den Wälzer auf seinem Besprechungstisch platziert, zurzeit empfängt er | |
| viele Journalisten in seinem Büro. | |
| In den Gesprächen geht es um die DDR und ihren Geheimdienst, die Stasi, um | |
| Egon Krenz, um ostdeutsche Biografien und die Geschichte der Berliner | |
| Zeitung, mit der auch Maier eng verbunden ist. Der Archivband ist Maiers | |
| Eisbrecher in solchen Gesprächen. „Schauen Sie mal“, sagt er dann, „wie | |
| akkurat die Zeitung zu der Zeit schon war.“ | |
| Maier, 61 Jahre alt, randlose Brille, ist seit Anfang November Herausgeber | |
| der Berliner Zeitung. Und ihr Geschäftsführer. Berufen wurde der in | |
| Österreich geborene Maier von Silke und Holger Friedrich. | |
| ## Alias „Peter Bernstein“ | |
| Das Ehepaar gehört zu den wenigen Millionären, die aus der DDR stammen, | |
| ihre Biografien machen einiges her: Aktiengesellschaften, lukrative | |
| Verkäufe, Beratungsfirmen, eine Privatschule, eine Eventlocation. Im Sommer | |
| haben sie ihr Portfolio [1][um den Verlag erweitert], zu dem neben der | |
| Berliner Zeitung auch der Berliner Kurier gehört. Dazu erklärte das | |
| Ehepaar, bei dem Erwerb handle es sich um zivilgesellschaftliches | |
| Engagement. | |
| Holger Friedrich erzählt seitdem gelegentlich, dass er die Berliner Zeitung | |
| schon als Kind gelesen habe, sie sei ihm weniger gebeugt vorgekommen als | |
| das Neue Deutschland. Und nun ist er Eigentümer der Zeitung, ihr Verleger, | |
| und neben Maier auch ihr Geschäftsführer. | |
| In der DDR aber war Holger Friedrich [2][Inoffizieller Mitarbeiter der | |
| Stasi]. Die Welt am Sonntag hatte darüber zuerst berichtet, in der zweiten | |
| Arbeitswoche von Maier. Mittlerweile liegt auch der taz die Stasi-Akte von | |
| Holger Friedrich alias „Peter Bernstein“ vor. | |
| In Berichten an den Geheimdienst informierte er über rund zwanzig | |
| identifizierbare Personen aus seinem Umfeld während seiner Zeit bei der | |
| NVA, der Armee der DDR. Holger Friedrich erklärte sich [3][nach der | |
| Konfrontation] mit seiner Akte durch die Welt am Sonntag [4][„In eigener | |
| Sache“] auf der Webseite der Berliner Zeitung. Die Stasi habe ihn zu der | |
| Mitarbeit gezwungen. | |
| ## Nicht Ossi, nicht Wessi | |
| Inwieweit diese Erklärung den Tatsachen entspricht und ob Friedrich | |
| wirklich niemandem geschadet hat, wie er beteuert, soll nun ein | |
| Rechercheteam aus dem eigenen Haus klären. Wohl auch, um möglichen | |
| Interessenkonflikten vorzubeugen, werden die Journalisten von der früheren | |
| Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler und dem Historiker | |
| Ilko-Sascha Kowalczuk unterstützt. | |
| In den Gesprächen, die Michael Maier in diesen Tagen in seinem Büro führen | |
| muss, geht es viel um die frühere Tätigkeit seines Chefs. Jeder | |
| Herausgeber und jeder Geschäftsführer einer Zeitung müsste sich damit | |
| auseinandersetzen, wenn sich herausstellt, dass der Eigentümer für die | |
| Staatssicherheit Berichte anfertigte und dies erst auf Druck von außen | |
| öffentlich macht. Für Maier gilt das umso mehr. | |
| Denn der Österreicher ist der Berliner Zeitung schon lange verbunden. 1996 | |
| wurde er durch einen Headhunter vom damaligen Eigentümer Gruner und Jahr | |
| als Chefredakteur aus Wien nach Berlin geholt. Er war genau der Richtige | |
| für die Zeitung, hatte zuvor die erzkonservative Presse in Österreich | |
| modernisiert. Und vielleicht wichtiger: Er war weder Ossi noch Wessi. Noch | |
| heute erzählt Maier stolz, dass er derjenige war, der das noch immer | |
| aktuelle Logo der Berliner Zeitung mit entworfen hat. | |
| ## Die „Maier’schen Säuberungen“ | |
| Damals arbeiteten noch einige ehemalige Stasi-Mitarbeiter für das | |
| Ostberliner Blatt. Es war Maiers Job, damit umzugehen. Durch eine Studie, | |
| die 1994 in Auftrag gegeben wurde, bekam er 1997 Kenntnis von mehreren | |
| Mitgliedern der Redaktion, die als IMs gearbeitet hatten. Maier entschied | |
| sich für den harten Schnitt. | |
| Alle belasteten Redakteure mussten ohne weitere Diskussionen gehen. Dabei | |
| sollte die Studie „Willfährige Propagandisten. MfS und | |
| SED-Bezirkszeitungen“ ursprünglich nicht der Einzelüberprüfung und | |
| individuellen Enttarnung dienen, sondern eine wissenschaftliche | |
| Untersuchung der strukturellen Einflussnahme der Stasi auf die DDR-Medien | |
| sein. Entsprechend enttäuscht äußerte sich Autor Ulrich Kluge bereits im | |
| Vorwort der 1997 gedruckten Ausgabe über den Umgang mit Informationen, die | |
| den Leitungen der beteiligten Zeitungen unter der Bedingung der | |
| Vertraulichkeit überlassen worden waren. | |
| Die alte Stasi-Riege musste dennoch gehen. Gelegentlich wird diese Zeit im | |
| Haus als die „Maier’schen Säuberungen“ beschrieben. Auch Maier erinnert | |
| sich: „Mir war das wichtig. Hätte ich das nicht gewollt, hätten wir das | |
| nicht gemacht.“ Und: „Ich wurde zum Anti-Stasi-Chefredakteur.“ | |
| ## Ein Thema, das bleibt | |
| Wäre Holger Friedrich in den 1990er Jahren Redakteur der Berliner Zeitung | |
| gewesen, hätte Maier ihn wohl umstandslos vor die Tür gesetzt. Wie denkt | |
| der Mann, über den viele ehemalige Redakteure und Betriebsräte wenig Gutes | |
| zu sagen haben, weil er zusammen mit seinem damaligen Personalchef | |
| ostdeutsche Redakteurskarrieren beendete, während er viele Kollegen aus | |
| Westdeutschland einstellte, heute darüber, dass es auch über seinen | |
| Verleger eine solche Akte gibt? Und was heißt das für die Zukunft der | |
| Berliner Zeitung? | |
| „Seit das Stasi-Thema aufgekommen ist, pflege ich zu sagen: ‚Es ist so, als | |
| ob ich nie weg gewesen wäre.‘ Es war ein Thema, als ich ging, jetzt ist es | |
| immer noch eins“, sagt Maier, nicht ohne das als Scherz zu kennzeichnen. | |
| „Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, kann man aber nicht nur die | |
| DDR-Geschichte einer Person beurteilen, sondern muss auch seine | |
| BRD-Biografie anzuschauen.“ | |
| Als im Jahr 2008 weitere Stasi-Fälle in der Berliner Zeitung ans Licht | |
| kamen, war Maier schon lange nicht mehr dort. Er war 1999 wegbefördert | |
| worden, für ein paar Monate war er Chefredakteur des Sterns, bevor Gruner | |
| und Jahr sich von ihm trennte und er sich im Bereich digitale Medien | |
| selbstständig machte. | |
| Trotzdem äußerte er sich 2008 zu neu aufgedeckten Stasi-Fällen in ähnlich | |
| versöhnlicher Weise: „Die nun aufgetauchte Akte über meinen ehemaligen | |
| Reportagechef interessiert mich nicht.“ Der Reporter habe sie inzwischen | |
| überlebt. Das Urteil des damals eingesetzten Ehrenrates aus Stasi-Experten | |
| und Personen des öffentlichen Lebens war ebenfalls differenzierter. Eine | |
| weitere Tätigkeit für die Berliner Zeitung sollte nach Abwägung der | |
| konkreten Umstände zwar möglich sein, lediglich Leitungspositionen schloss | |
| man für frühere Stasi-Mitarbeiter generell aus. | |
| ## Wie eine Brandmauer | |
| Doch was bedeutet das heute für eine unabhängige Aufarbeitung, die | |
| schließlich zu einem vernichtenden Urteil über Holger Friedrich kommen | |
| könnte? Einen Eigentümer kann man schließlich weder entlassen noch | |
| degradieren. | |
| Holger Friedrich könnte trotzdem geschwächt aus der Affäre hervorgehen. | |
| Nicht unbedingt, weil er der Stasi zulieferte, sondern vielmehr, weil er | |
| diesen Teil seiner Biografie nicht von sich aus öffentlich machte. Schon | |
| vor dem Bericht über seine IM-Akte hatten er und seine Frau angekündigt, | |
| sich nach der vollständigen Übernahme wieder etwas aus dem aktiven | |
| Tagesgeschäft zurückzuziehen. Durch die Enthüllung scheint das nun manchem | |
| im Haus noch wahrscheinlicher zu sein. | |
| In dem Fall bliebe Maier zurück als der erfolgreiche Krisenmanager und als | |
| Scharnier zwischen Redaktion und Eigentümer. Seine Doppelrolle als | |
| Geschäftsführer und Herausgeber stärkt ihn dabei noch zusätzlich. Sowohl im | |
| Verlag als auch in der Redaktion kann er an zentraler Stelle mitreden. Eine | |
| ungewöhnliche Konstruktion. Maier selbst sieht sich als Vermittler zwischen | |
| den Ebenen. Und als „Brandmauer, um die Redaktion zu schützen“. Durch sein | |
| Auftreten garantiere er der Redaktion, dass sie unabhängig arbeiten könne. | |
| Bei keiner anderen Zeitung wolle Maier Herausgeber sein. „Deswegen, weil | |
| ich emotional an der Zeitung hänge, weil ich sie damals umgebaut habe. Und | |
| weil ich ihre Seele ganz gut verstehe.“ | |
| 23 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neue-Eigentuemer-fuer-den-Berliner-Verlag/!5627209 | |
| [2] /Verleger-der-Berliner-Zeitung/!5642378 | |
| [3] https://www.welt.de/kultur/medien/article203493762/Holger-Friedrich-Besitze… | |
| [4] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/holger-friedrich-in-ei… | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Nabert | |
| Daniél Kretschmar | |
| ## TAGS | |
| Berliner Zeitung | |
| Printmedien | |
| Medien | |
| DDR | |
| Stasi | |
| Stasi-Unterlagen | |
| Holger Friedrich | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen | |
| Stasi-Unterlagen | |
| Mord | |
| Stasi | |
| Medien | |
| Berliner Zeitung | |
| Medienwandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neuer Chef der „Berliner Zeitung“: Die innere Pressefreiheit | |
| Matthias Thieme leitet neuerdings die „Berliner Zeitung“. Wichtiger noch: | |
| Die Redaktion arbeitet an einem Statut, um die Friedrichs im Zaum zu | |
| halten. | |
| Kartenspiel über Stasi-Erstürmung: Der größte Aktenvernichter gewinnt | |
| In Zusammenarbeit mit dem DDR-Museum und dem Stasi-Unterlagen-Archiv | |
| entstand aus einer historischen Broschüre ein Kartenspiel. Taugt das? | |
| Falsche Berichte über Mordrate in Berlin: Dünne Beweislage | |
| Berlin bleibt relativ sicher: Medienberichte über eine sehr hohe Mordrate | |
| in der Stadt haben sich als Quatsch entpuppt. | |
| Stasi-Vorwurf gegen Holger Friedrich: Kein abschließendes Urteil | |
| Die Stasi-Akten des Eigentümers des Berliner Verlags wurden Expert*innen | |
| vorgelegt. Diese bewerten sie in einem Bericht mit großer Vorsicht. | |
| Verleger der „Berliner Zeitung“: Deckname Bernstein | |
| Holger Friedrich soll Stasi-IM gewesen sein. Sein Umgang mit der | |
| Vergangenheit bedroht die Glaubwürdigkeit der Zeitung. | |
| Verkauf des Berliner Verlags: Idealismus oder Profit | |
| Ein Unternehmerpaar kauft die „Berliner Zeitung“ und will künftig auf | |
| digitale Angebote setzen. Es täte gut daran, auch in Köpfe zu investieren. | |
| Neue Eigentümer für den Berliner Verlag: „Berliner Zeitung“ verkauft | |
| DuMont verkauft den Berliner Verlag an ein Ehepaar. Die Zukunft der | |
| „Berliner Zeitung“ und des „Berliner Kuriers“ sind ungewiss. |