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# taz.de -- Verhinderte Straßenumbenennung: Lieber Hindenburg als Sophie Scholl
> In Northeim wollten SPD und Grüne die Hindenburgstraße in
> Sophie-Scholl-Straße umbenennen. CDU, FDP, AfD und eine Wählerliste
> machten da nicht mit.
Bild: Konnten gut miteinander: Hitler und Hindenburg, hier im „Reichsehrenmal…
Göttingen taz | Im südniedersächsischen Northeim gibt es eine
Hindenburgstraße. Zeitgleich mit dem Adolf-Hitler-Wall und der Göringstraße
bekam die frühere Bergstraße ihren Namen im April 1933, kurz nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten. Während Hitler und Göring kurz nach
Ende des Zweiten Weltkrieges als Namensgeber dran glauben mussten, blieb
Hindenburg unangetastet.
Doch nun, nach 88 Jahren, sei es allerhöchste Zeit für einen neuen Namen,
befanden SPD und Grüne im Northeimer Stadtrat. Die Hindenburgstraße solle
künftig Sophie-Scholl-Straße heißen, forderten die Parteien in einem
Antrag, die Umbenennung solle zum 100. Geburtstag der Widerstandskämpferin
erfolgen. Doch der rot-grüne Vorstoß scheiterte im Kommunalparlament. CDU,
FDP, AfD und die Freie Unabhängige Liste (FUL) lehnten den Antrag für ein
Umbenennungsverfahren am 25. Februar mit 19 gegen 15 rot-rot-grüne Stimmen
ab.
Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, dem 1933
gemeinsam mit Hitler und Göring auch die Ehrenbürgerwürde der Stadt
Northeim verliehen worden war, verdiene keine Ehrung, so der
Grünen-Ratsherr Hans Harer, der den Antrag initiiert und bei der
Einbringung in den Stadtrat am 25. Februar begründet hat. In den beiden
letzten Jahren des ersten Weltkriegs hatte Hindenburg als Chef der Obersten
Heeresleitung quasi diktatorisch die Regierungsgewalt ausgeübt. Im Herbst
1918 erklärte er, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei.
Vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung verbreitete
er 1919 gleichwohl die so genannte Dolchstoßlegende, wonach das Heer „im
Felde unbesiegt“ von den Novemberrevolutionären und Politikern durch einen
Waffenstillstand „von hinten erdolcht“ worden sei. Mit dieser Behauptung
trug er in der Folge wesentlich zum Legitimationsverlust und zur
Destabilisierung der Weimarer Republik bei.
Als Reichspräsident ernannte Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum
Reichskanzler. Damit sowie durch die Dolchstoßlegende trug er wesentlich
zum Untergang der Weimarer Republik und zum Entstehen der totalitären
NS-Diktatur bei. Hindenburg starb im August 1934 im Alter von 86 Jahren.
Die Northeimer CDU-Fraktion brachte zur betreffenden Ratssitzung einen
Gegenantrag ein. Demnach sollten die Bürger bei einer Befragung mit der
Kommunalwahl im September entscheiden, ob die Straße umbenannt werden
solle.
Inhaltlich wandten sich die Christdemokraten gegen eine Umbenennung. Zwar
könne die Rolle Hindenburgs bei der Machtübernahme Hitlers „als
mitentscheidend angesehen“ werden, auch „legitimieren wir damit keinesfalls
die Handlungen von 1933, noch heißen wir sie gut“. Aber: „Ob es uns gefäl…
oder nicht, Paul von Hindenburg war Teil der deutschen Geschichte“:
„Löschen wir nun diesen Namen aus dem Stadtbild, so löschen wir Teile
unserer Erinnerungskultur aus, die uns anhält, uns mit dem Thema im Alltag
auseinanderzusetzen.“
Im Übrigen, gab die CDU zu bedenken, müsse im Fall einer Umbenennung der
Straße die Frage der Kostenübernahme für die Anwohner geklärt werden. Das
gelte „insbesondere natürlich für die ansässigen Arztpraxen“. In der
Hindenburgstraße wären 94 Haushalte und drei Praxen betroffen. Tatsächlich
entstehen für eine Ummeldung im Bürgerbüro keine Kosten. Ausgaben für neue
Visitenkarten etwa können Ärzte von der Steuer absetzen.
In der Ratssitzung wurde zunächst über den rot-grünen Antrag abgestimmt.
Nach der Ablehnung zog die CDU ihren Antrag zurück. Eine Bürgerbefragung
wird es also nicht geben. „Gegen unseren Antrag haben sich alle ohne
Ausnahme rechts von der SPD versammelt“, sagte Grünen-Ratsherr Harer der
taz.
Inhaltlich sei nicht darüber diskutiert worden: „Man faselte von der
Entsorgung der Geschichte, verwies auf den Bürgerwillen und zog dann die
Forderung nach der Befragung aller Bürger zurück.“ Unterm Strich habe der
Rat am 25. Februar mit Mehrheit einen Ehrungsbeschluss des NS-Stadtrats vom
April 1933 bestätigt, dass Hindenburgs Verhalten mit der Machtübertragung
an Hitler im Zusammenhang gestanden habe.
Aus Sicht von Harer eifern die Northeimer Christdemokraten ihren
Parteifreunden in Hannover nach. Auch dort hat sich die CDU lange gegen die
Umbenennung der Hindenburgstraße gewehrt. SPD, Grüne und Linke konnten aber
durchsetzen, dass die Straße dort künftig Loebensteinstraße heißt. Die neue
Namensgeberin Lotte-Lore Loebenstein lebte als Kind mit ihrer jüdischen
Familie in der Straße und wurde 1943 von Nationalsozialisten in einem
Konzentrationslager ermordet.
3 Mar 2021
## AUTOREN
Reimar Paul
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