| # taz.de -- Verfassungsrichter gegen Betreuungsgeld: Einheitliche Regelung nich… | |
| > Der Bund hätte das Betreuungsgeld-Gesetz nicht einführen dürfen. Er hat | |
| > seine Kompetenzen überschritten. Zuständig sind die Länder. | |
| Bild: Mädchen in einer Kita: Die Alternative Betreuungsgeld vom Bund ist nicht… | |
| KARLSRUHE taz | Das 2012 eingeführte Betreuungsgeld ist verfassungswidrig | |
| und „nichtig“. Das entschied am Dienstag der Erste Senat des | |
| Bundesverfassungsgerichts. Der Bund hätte das Gesetz nicht einführen | |
| dürfen. Ob entsprechende Landesgesetze zulässig wären, ließen die Richter | |
| offen. | |
| Das Betreuungsgeld prämiert Eltern mit monatlich 150 Euro, wenn sie ihr | |
| Kind im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine staatlich geförderte | |
| Kita schicken. Eingeführt wurde die Sozialleistung auf Druck der CSU 2012 | |
| unter der schwarz-gelben Koalition. | |
| Die Bundes-SPD wollte die sogenannte Herdprämie eigentlich wieder | |
| abschaffen, konnte sich bei Bildung der Großen Koalition aber nicht | |
| durchsetzen. Im Gegenzug akzeptierte die Union, dass eine im Februar 2013 | |
| eingereichte Verfassungsklage des Landes Hamburg aufrechterhalten wurde. | |
| Wieder musste das Bundesverfassungsgericht also Schiedsrichter spielen. Das | |
| Urteil befasst sich jedoch nur mit Kompetenzfragen. Durfte der Bund das | |
| Gesetz beschließen? Oder können nur die Länder ein Betreuungsgeld | |
| einführen? | |
| Im ersten Schritt stellte Karlsruhe fest, dass der Bund Sozialgesetze für | |
| Familien beschließen darf. Die Kompetenz für „soziale Fürsorge“ erfasse | |
| nicht nur Notfälle, sondern auch den erhöhten Bedarf von Familien. | |
| Im zweiten Schritt prüften die Richter, ob beim Betreuungsgeld eine | |
| bundeseinheitliche Regelung „erforderlich“ ist – was sie verneinten. Ein | |
| bundeseinheitliches Betreuungsgeld sei weder nötig, um „einheitliche | |
| Lebensverhältnisse“ herzustellen noch um die deutsche „Rechts- und | |
| Wirtschaftseinheit“ zu wahren. „Der bloße Wille, eine bundesweite Regelung | |
| zu schaffen, genügt nicht“, sagte Ferdinand Kirchhof, der konservative | |
| Senatsvorsitzende. | |
| ## Teil eines Gesamtkonzeptes | |
| Die Bundesregierung und Bayern hatten argumentiert, dass das Betreuungsgeld | |
| seit 2008 Teil eines „Gesamtkonzeptes“ war, das einerseits den Ausbau der | |
| Kitas mit einem Rechtsanspruch für Eltern vorsehe, andererseits auch die | |
| Leistung von Eltern finanziell „anerkennen“ wolle, die auf eine staatliche | |
| Einrichtung verzichten. | |
| Doch diesen Trick ließen die Verfassungsrichter nicht gelten. Der Bund | |
| könne nicht einfach mit einem großen Kompromiss-Paket die | |
| Kompetenzschranken des Grundgesetzes überspielen. Immerhin war die | |
| Erforderlichkeitsprüfung erst 1994 auf Wunsch der Länder eingeführt worden. | |
| Zwar war sie 2006 für die meisten Gebiete wieder abgeschafft worden, aber | |
| nicht für die „soziale Fürsorge“. Deshalb musste Karlsruhe die | |
| Kompetenzfrage hier streng prüfen. Das Urteil der acht Richter fiel | |
| einstimmig. | |
| Weil der Bund das Betreuungsgeld nicht einführen durfte, war das Gesetz von | |
| Anfang an nichtig. Die bisherigen Leistungsbezieher müssen das Geld aber | |
| nicht zurückbezahlen. Auch bereits ergangene Leistungsbescheide bleiben | |
| wirksam. Wer also bereits Betreuungsgeld bekommt, kann dies bis zum Ende | |
| des 3. Lebensjahrs weiterbeziehen. | |
| ## Keine neuen Bewilligungen mehr | |
| Im ersten Quartal 2015 bezogen laut Statistischem Bundesamt bundesweit | |
| Eltern für 455.321 Kinder Betreuungsgeld. Ein Dreivierteljahr zuvor waren | |
| es erst 224.400. Neue Leistungsbescheide kann es aber ab sofort nicht mehr | |
| geben – es sei denn, Länder wie Bayern schaffen per Landesgesetz ein | |
| eigenes Landesbetreuungsgeld. | |
| Ob ein Betreuungsgeld inhaltlich gegen das Grundgesetz verstößt, ließen die | |
| Richter offen. Im zweiten Teil seiner Klage hatte Hamburg kritisiert, dass | |
| das Betreuungsgeld überkommene Rollenbilder zementiere und Frauen an den | |
| Herd binden wolle. Dies verstoße gegen die Pflicht des Staates „zur | |
| tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“, | |
| die 1994 ausdrücklich im Grundgesetz verankert wurde. Dazu sagte Karlsruhe | |
| nichts, weil die Hamburger Klage ja bereits aus Kompetenzgründen Erfolg | |
| hatte. | |
| En passant erklärten die Verfassungsrichter noch, dass das Bundesgesetz zum | |
| Elterngeld nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Wenn Eltern nach der | |
| Geburt des Kindes zu Hause bleiben und dafür 67 Prozent des früheren | |
| Einkommens erhalten, dann habe das „erhebliche“ Auswirkungen auf den | |
| Arbeitsmarkt. Hier sei ein Bundesgesetz zur Wahrung der Rechts- und | |
| Wirtschaftseinheit erforderlich. | |
| 21 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| Betreuungsgeld | |
| Herdprämie | |
| Bundesverfassungsgericht | |
| BVG | |
| CSU | |
| Bayern | |
| Betreuungsgeld | |
| Betreuungsgeld | |
| Pkw-Maut | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar CSU und Betreuungsgeld: Tradierte Dickschädlichkeit | |
| Die Christsozialen in Bayern haben seit jeher einen Hang zur | |
| Verfassungswidrigkeit. Doch die früheren Schlappen zeigen: Ihre Misserfolge | |
| kommen an. | |
| Nach dem Ende der Herdprämie: Bayern bleibt Bayern | |
| Bundesregierung, Landesregierungen, Parteien und Sozialverbände feiern das | |
| Ende des Betreuungsgeldes. Nur die CSU will es weiterzahlen. | |
| Kommentar Urteil zum Betreuungsgeld: Jetzt muss der Kitaausbau kommen | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld für rechtswidrig | |
| erklärt. Die Millionen, die nun frei werden, werden dringend benötigt. | |
| Verfassungsgericht über Betreuungsgeld: Herdprämie gekippt | |
| Das Bundesverfassungsgericht erachtet das Betreuungsgeld als unrechtmäßig. | |
| Die Bundesregierung habe mit der Einführung ihre Befugnisse überschritten. | |
| Kommentar Pkw-Maut: Betreuungsgeld für Dobrindt | |
| Dass die CSU die Autobahnmaut durchsetzt, entspricht der Arithmetik der | |
| Großen Koalition. Der Schaden des Vorhabens hält sich in Grenzen. |