# taz.de -- Unterbringung von Geflüchteten: „Kümmert euch um uns!“ | |
> Immer noch leben geflüchtete Frauen und Kinder in abgeschiedenen Heimen, | |
> kritisiert Women in Exile – und erinnert an das Schicksal einer | |
> Verschwundenen. | |
Bild: Protest gegen die skandalösen Umgang mit einer Verschwundenen vor dem He… | |
Wie abgeschieden und tief im Wald die Flüchtlingsunterkunft Hohenleipisch | |
im Landkreis Elbe-Elster im Süden Brandenburgs liegt, das konnten | |
Teilnehmer*innen einer Bustour am Montag am eigenen Leib erfahren. Der | |
Reisebus braucht von der Kreisstadt Herzberg eine gute Dreiviertelstunde, | |
bis Potsdam werden es später zwei Stunden Fahrt sein. Supermärkte, Bahnhof | |
und Nachbarhäuser sind mehrere Kilometer entfernt. | |
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hatte die Initiative Women | |
in Exile zu der Rundfahrt eingeladen, um auf die Lebensbedingungen von | |
Frauen und Kindern in Brandenburger Flüchtlingsheimen aufmerksam zu machen. | |
Die Initiative fordert außerdem Gerechtigkeit für Rita Awour Ojungé. Die | |
32-Jährige war im April aus der Unterkunft in Hohenleipisch | |
[1][verschwunden]. Erst bei einer Suchaktion im Juni fand die Polizei | |
Überreste ihrer Leiche im Wald in der Nähe. Ojungé hatte laut Women in | |
Exile zu dem Zeitpunkt schon sieben Jahre in der Unterkunft in | |
Hohenleipisch gelebt. Sie hinterließ zwei Kinder im Alter von zwei und vier | |
Jahren. | |
Als Teilnehmer*innen der Tour am Montag vor dem Tor zur Unterkunft Kerzen | |
für Rita anzünden, wird es bereits dunkel. Ab und zu braust auf der | |
unbeleuchteten Landstraße ein Auto vorbei. „Wir haben Fragen, und einige | |
der Antworten können wir nur hier finden“, sagt Elizabeth Ngari von Women | |
in Exile vor dem Wohnheim. „Rita war an diesem Ort zu keiner Zeit in | |
Sicherheit.“ | |
Die Lagerleitung trage [2][eine Mitverantwortung] für ihren vermutlich | |
gewaltsamen Tod, Rita habe sich vor ihrem Verschwinden über Drohungen und | |
Übergriffe beschwert. „Wie kann es sein, dass ihr Verschwinden angeblich | |
wochenlang nicht bemerkt wurde?“, fragt Ngari und zeigt auf die | |
verschlossene Pforte zwischen einem schweren Eisentor und einem Kabuff, in | |
dem Wachdienstmitarbeiter sitzen. „Ihr seht selbst, dass niemand hinein- | |
oder hinausgehen kann, ohne dass die Security es mitbekommt.“ | |
Auch während der Kundgebung bleiben Pforte und Eisentor geschlossen. Laut | |
Women in Exile würden die Bewohner*innen der Unterkunft es nicht wagen, | |
sich an der Kundgebung zu beteiligen, weil sie Repressionen von Heimleitung | |
und Sicherheitsdienst fürchten. „Wäre Rita eine weiße Frau mit weißen | |
Kindern, wäre sie jeden Tag in den Nachrichten, und die Polizei wäre | |
gezwungen, uns schneller Antworten zu geben“, sagt Jennifer Kamau vom | |
International Women’s Space Berlin. „Frauenhass und Rassismus haben sie | |
getötet.“ | |
Women in Exile kritisieren auch den Umgang mit Ojungés Familie. Ojungés | |
Mutter sei im September von Kenia nach Deutschland gereist, um ihre Tochter | |
zu beerdigen. Hier habe sich dann plötzlich herausgestellt, dass dies noch | |
nicht möglich sei, da die Untersuchungen andauerten. | |
Martin Vesely von der Opferperspektive Brandenburg bestätigt das: „Die | |
Staatsanwaltschaft hatte uns im August mitgeteilt, dass die Untersuchungen | |
im September abgeschlossen sein würden.“ Sie hätten dann die Reise der | |
Mutter und weiterer Angehöriger mitgeplant und unterstützt. | |
Doch dann seien von der Staatsanwaltschaft keine Informationen mehr | |
gekommen, etwa dazu, welche Untersuchungen noch durchgeführt werden | |
sollten. „Man kann sich vorstellen, was das emotional bei der Familie | |
ausgelöst hat, so im Unklaren gelassen zu werden“, sagt Vesely. „Fehler | |
können passieren, und alle haben Verständnis, wenn die Untersuchungen | |
länger dauern. Aber dass die Staatsanwaltschaft dann nicht auf die Mutter | |
oder die Anwälte zugegangen ist, um mitzuteilen, dass die Beerdigung nicht | |
wie angekündigt stattfinden kann, ist inakzeptabel.“ | |
## Es bleibt vieles im Dunkeln | |
Dies reihe sich ein in den Mangel an polizeilichen Ermittlungen und den | |
zögerlichen Umgang der Staatsanwaltschaft mit dem Todesfall. Die | |
Todesursache ist laut der zuständigen Staatsanwaltschaft Cottbus weiterhin | |
unklar. Auch dazu, wie lange Ojungé beim Auffinden der Leichenreste bereits | |
tot war, lasse sich keine Aussage treffen. Nach wie vor werde „in mehrere | |
Richtungen“ ermittelt, ein dringender Tatverdacht habe sich bisher nicht | |
ergeben. Das Obduktionsgutachten sei erst vor kurzer Zeit fertiggestellt | |
worden. | |
Die rund 60 Teilnehmer*innen der Bustour kritisieren auch die Behörden, | |
die Frauen und Kinder weiterhin dazu zwingen, jahrelang in Unterkünften zu | |
leben. Mit einer Demo von der Ausländerbehörde zum Sozialamt in Herzberg | |
fordern sie, dass Hohenleipisch und vergleichbare Heime geschlossen werden. | |
Das hat der Landkreis allerdings nicht vor. Zurzeit leben in Hohenleipisch | |
nach Auskunft von Sprecher Holger Fränkel 100 Menschen, insgesamt gibt es | |
in den beiden Gebäuden 132 Plätze. Der Vertrag mit dem jetzigen Betreiber | |
läuft laut Fränkel zum Jahresende aus, doch laufe ein neues | |
Vergabeverfahren für 2020, das nächste Woche abgeschlossen sein soll. Auch | |
dieser Vertrag könne dann jeweils wieder um ein Jahr verlängert werden. | |
Selbst die Demo und ihre Tour sind laut Women in Exile im Landkreis nicht | |
gern gesehen. In einem Gespräch vorab hätten offizielle Vertreter*innen | |
ihnen nahegelegt, ihre Aktion doch bitte zu überdenken, sagt Ngari. Man | |
fürchte Diskussionen mit der AfD. Bei den Veranstalter*innen kam dies | |
nicht gut an. „Ihr solltet euch um uns kümmern und nicht um die AfD“, sagt | |
eine Rednerin. Denn die von den Behörden verantwortete Isolation mache es | |
unmöglich, Teil der Gesellschaft zu werden. Auch dies sei ein Grund dafür, | |
dass Frauen leicht Opfer von Gewalt würden durch Menschen innerhalb oder | |
außerhalb der Unterkünfte. | |
26 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
Malene Gürgen | |
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