# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Wind hat noch nicht gedreht | |
> Über 11.200 Gewalttaten an Frauen gab es in Berlin allein 2018. Der | |
> Verein Trixiewiz gibt Frauen mit Flucht- und Gewalterfahrungen eine | |
> Stimme. | |
Bild: Vor dem Roten Rathaus ließ der Senat am Montag Flaggen gegen Gewalt gege… | |
Berlin taz | Ein homosexueller Mann fasst Frau S. in der | |
Flüchtlingsunterkunft, in der sie wohnt, an ihre Brüste. Daraufhin sucht | |
sie sich Hilfe in ihrer Einrichtung. Die Sozialarbeiter*innen helfen ihr | |
nicht. Die Tat sei kein sexueller Übergriff gewesen, da von einem | |
homosexuellen Mann keine Gefahr für sie ausginge, erklären sie Frau S. | |
Diese ist eine von vielen Geschichten, die die Projektkoordinatorin des | |
feministischen Vereins Trixiewiz für Frauen mit Flucht-, Migrations- und | |
Gewalterfahrung am Montagnachmittag erzählt. Sie und viele der anwesenden | |
Frauen wollen aus Angst vor negativen Folgen namentlich nicht genannt | |
werden. 16 Frauen und ein Mann reden am Internationalen Tag zur Beseitigung | |
von Gewalt gegen Frauen in den Räumen des Vereins über Gewalterfahrungen, | |
Beratungsangebote und Präventionsmaßnahmen. | |
Dabei sind Katarina Niewiedzial, Integrationsbeauftragte des Landes Berlin, | |
Sybill Schulz, Leiterin der Koordinierungsstelle Flüchtlingsmanagement der | |
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, und Teresita | |
Cannella, Gründerin und Leiterin von Trixiewiz. | |
„Als wir mehrfach danach fragten, ob unsere Wohnungen behindertengerecht | |
ausgestattet werden könnten, sagten uns die Sozialarbeiter, wir hätten zu | |
viele Probleme. So haben sie uns Schuldgefühle für unsere Behinderungen | |
eingeflößt“, erzählt eine andere junge Frau ihre Geschichte. Auch diese | |
Diskriminierung zählt der Verein als Gewalterfahrung. | |
## Dunkelziffer ist hoch | |
Die Frau trägt einen gemusterten Schal über ihren Schultern, hat sich die | |
Haare pink gefärbt und geht auf Krücken durch den Raum. Da sie Russisch | |
spricht, übersetzt die Projektkoordinatorin für sie, die Frau sei zu 70 | |
Prozent schwerbehindert. Nachdem sie in einer Unterkunft mehrmals Kritik | |
geäußert hatte, habe man ihr Hausverbot erteilt. „Die Unterkünfte wollen | |
keine Beschwerden hören. Sonst wird man rausgeschmissen“, sagt sie. Deshalb | |
wünsche sie sich eine unabhängige Anlaufstelle, die die Möglichkeit gibt, | |
die eigene Sicht der Gewalterfahrungen zu vertreten. | |
„Trixiewiz ist ein wichtiger Verein, um Mehrfachdiskriminierungen | |
entgegenzuwirken“, sagt Schulz. Ihr gefalle der Ansatz, Frauen egal welcher | |
Herkunft zu ermutigen, für sich selbst zu sprechen. Ziel sei es, die | |
Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Kulturen zu reflektieren und | |
gleichberechtigte Beziehungen zu fördern. Auch wolle man dazu beitragen, | |
Migrationsprozesse zu verstehen und interkulturelle Kommunikation zu | |
ermöglichen. | |
2018 sind in Berlin laut Polizeilicher Kriminalstatistik 11.252 Frauen | |
Opfer innerfamiliärer oder partnerschaftlicher Gewalt geworden. Dabei | |
handelt sich aber nur um die Fälle, in denen Anzeige erstattet worden ist, | |
die Dunkelziffer ist deutlich höher. In 1.421 Fällen ist eine polizeiliche | |
Wegweisung erfolgt. Das bedeutet, dass der Täter die Wohnung und das | |
räumliche Umfeld des Opfers für einen bestimmte Zeitdauer nicht mehr | |
betreten darf. 2017 wurden 10.643 Anzeigen wegen partnerschaftlicher Gewalt | |
gegen Frauen aufgenommen, 2016 waren es 10.478. Die erfolgten Wegweisungen | |
sind mehr oder weniger konstant. | |
Die Datenlage zur Gewalt gegen Frauen mache Schulz fassungslos. „Das | |
Problem ist niemals die Frau, die Opfer von Gewalt wird, sondern die | |
Person, von welcher die Gewalt ausgeht“, betont sie. Wichtige | |
Notfallunterbringungen nach einer Gewalterfahrung seien Frauenhäuser, sagt | |
Schulz. | |
In Berlin gibt es sechs Frauenhäuser mit gesamt 301 Betten für Frauen und | |
Kinder. Der Bedarf sei deutlich größer, sagt Elisabeth Oberthür, Sprecherin | |
des Vereins Frauenhauskoordinierung, zur taz. Das Berliner Frauennetzwerk | |
teilte mit, dass die Berliner Frauenhäuser im vergangenen Jahr 1.341 | |
Frauen* und 1.586 Kinder wegen mangelnder Kapazitäten ablehnen mussten. | |
Dies sei mehr als eine Verdoppelung seit 2016. Lediglich ein Drittel der | |
von der Istanbul-Konvention empfohlenen Plätze stünden zur Verfügung, rügt | |
das Frauennetzwerk. Die Istanbul Konvention sehe 2,6 Schutzplätze auf | |
10.000 Einwohner vor. Wegen der Wohnungsknappheit verschärfe sich die Lage | |
immer mehr, weiß Elisabeth Oberthür. „Die Verweildauer im Frauenhaus wird | |
immer länger, weil kaum noch Wohnungen zu finden sind.“ Im gesamten | |
Stadtraum gibt es laut Frauennetzwerk nur ein rollstuhlgerechtes Zimmer. | |
Lena Högemann, Sprecherin der Senatsverwaltung für Frauen und | |
Gleichstellung, dementierte, dass es Kapazitätsprobleme gibt. Im Gegenteil, | |
die Situation habe sich gebessert, behauptet sie: 2016 seien die | |
Frauenhäuser noch zu 93,36 Prozent ausgelastet gewesen, 2017 zu 87,49 | |
Prozent, 2018 zu 88,52 Prozent. Das liege auch daran, dass das Angebot | |
durch neue Plätze in Zufluchtswohnungen erweitert worden sei. Mit dem neuen | |
Doppelhaushalt würden die Mittel in 2020 auf über 7 Millionen Euro für 827 | |
Plätze steigen. | |
Den Tag zu Beseitigung der Gewalt gegen Frauen gibt es seit Dezember 1999, | |
als die UN-Generalversammlung ihn erstmals am 25. November ausrief. Mit dem | |
Gedenktag solle das Interesse auf Gewalt gegen Frauen gelenkt werden. „20 | |
Jahre nach der UNO-Resolution sind Hilfe, Angebote und Betreuung für Frauen | |
mit Gewalterfahrungen dringender denn je“, so Cannella von Trixiewiz. | |
Deshalb setze sie sich ein für „einen intersektionellen Gewaltbegriff, mehr | |
Schutzräume für Frauen, mehr therapeutische Angebote und ein politisches | |
Organ, wo Frauen angehört werden können“. | |
25 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Luise Land | |
Plutonia Plarre | |
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Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen | |
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