| # taz.de -- Unfallforscher über SUV-Unfall in Berlin: „Ein ganz bedauerliche… | |
| > Tempo 30 an Orten mit verstärktem Fußgängeraufkommen und automatische | |
| > Notbremssysteme könnten viele Unfälle verhindern, sagt Forscher Heiko | |
| > Johannsen. | |
| Bild: „Das Unfallgeschehen ist noch nicht klar genug“, sagt Forscher Johann… | |
| taz: Herr Johannsen, der Fahrer eines SUV hat in Berlin [1][vier Menschen | |
| getötet]. Wäre so ein Unfall mit einem Kleinwagen anders ausgegangen? | |
| Heiko Johannsen: Vermutlich nicht. | |
| Warum nicht? | |
| Für einen Fußgänger spielt die Masse des Fahrzeuges nicht so eine große | |
| Rolle. Im Vergleich zu einem Passanten ist so ein Auto immer unendlich | |
| schwer. Viel entscheidender sind die Aufprallgeschwindigkeit und der | |
| Aufprallort, die überlebenswichtigen Körperregionen Kopf und Thorax. Hier | |
| ist der Scheibenrahmen deutlich gefährlicher als die Motorhaube. | |
| Das heißt? | |
| Je kleiner ein Fahrzeug ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ich | |
| mit dem Kopf oder dem Oberkörper gegen den Scheibenrahmen stoße. | |
| Also je kleiner der Pkw, desto gefährlicher? | |
| In dieser spezifischen Unfallsituation, wenn also ein erwachsener Fußgänger | |
| oder ein Radfahrer frontal angefahren wird, ist das tendenziell so. In | |
| anderen Unfallsituationen sieht das schon wieder ganz anders aus. | |
| Und zwar? | |
| Zum Beispiel wenn Kinder beteiligt sind. Jetzt nicht ganz kleine, wie das | |
| dreijährige in dem Berliner Unfall, denn für diese Kinder ist die | |
| Frontstruktur jedes Autos ungünstig, sondern eher so in Richtung sechs | |
| Jahre. Da kann es sein, dass wegen der anderen Aufprallstelle ein Unfall | |
| mit einem Kleinwagen glimpflicher ausgeht als mit einem SUV. Auch wenn wir | |
| uns Unfälle anschauen, in denen zwei Fahrzeuge beteiligt sind, geht von den | |
| SUVs ein bedeutend höheres Risiko aus. | |
| Und in anderen Unfallsituationen, zum Beispiel bei Abbiegeunfällen? | |
| Da ist die große Gefahr, dass man durch die große Bodenfreiheit unter die | |
| Räder kommt. Daher sind Unfälle mit Lkws ja so problematisch. Aber die | |
| meisten SUVs haben dafür noch eine zu geringe Bodenfreiheit. Aber wenn es | |
| um Unfälle zwischen Pkws und Personen geht, ist die Geschwindigkeit ein | |
| ganz wichtiger Punkt. | |
| Wo liegt da die kritische Grenze? | |
| Wir können einmal den Vergleich anschauen: eine Kollision zwischen einem | |
| Fußgänger und einem Auto, einmal bei einer Geschwindigkeit von 50 | |
| Kilometern pro Stunde und einmal bei einer Geschwindigkeit von 30 | |
| Kilometern die Stunde. Wir schauen uns an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit | |
| ist, dabei schwerstverletzt zu werden oder zu sterben. Ist das Auto mit 50 | |
| Kilometern pro Stunde unterwegs, liegt die Wahrscheinlichkeit einer | |
| schwersten Verletzung bei 30 Prozent, die zu sterben bei 4 Prozent. Bei 30 | |
| Kilometern pro Stunde liegt das Risiko einer schwersten Verletzung bei 5,5 | |
| Prozent, das zu sterben bei 0,25 Prozent. | |
| Also Tempo 30 überall? | |
| Vor allem ist es wichtig, an Orten mit verstärktem Fußgängeraufkommen | |
| Tempo 30 vorzuschreiben. Ganz speziell an Orten, an denen Menschen | |
| unterwegs sind, die sich vielleicht nicht immer zuverlässig an die Regeln | |
| halten können oder in der Lage sind, die Umgebung komplett wahrzunehmen, | |
| also vor Schulen, Kindergärten oder Seniorenheimen. | |
| Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft sagt nun, in dem Berliner | |
| Fall hätte eine an der Kreuzung befindliche Ampel einen Polo möglicherweise | |
| gestoppt. | |
| Ich finde das Unfallgeschehen noch nicht klar genug, um das zu beurteilen. | |
| Wenn der Ampelmast sich tatsächlich vor den Fußgängern befand, hätte er | |
| einen Kleinwagen zumindest deutlich stärker gebremst. Im Gegensatz übrigens | |
| zu Pollern, die hätten gar nichts ausgerichtet. | |
| Was sagen Sie zu den Forderungen, [2][SUVs zu verbieten]? | |
| Der Unfall in Berlin ist ein ganz bedauerlicher Einzelfall. Ich glaube aber | |
| nicht, dass der geeignet ist, um darauf basierend Maßnahmen zu ergreifen. | |
| Gibt es nichts, was ihn hätte verhindern oder abmildern können? | |
| Doch einen Ansatzpunkt gibt es, und der ist aktive Sicherheit, wenn also | |
| ein Auto versucht, einen Unfall zu vermeiden oder abzuschwächen. Zum | |
| Beispiel mit einem automatischen Notbremsassistenten. Wenn der registriert, | |
| dass sich Fußgänger in einer gewissen Entfernung vor dem Auto befinden, | |
| dann kann er einen Unfall deutlich entschärfen oder sogar verhindern. | |
| Allerdings muss man dazu sagen: In dieser spezifischen Situation hätte auch | |
| so ein Assistent möglicherweise ausgehebelt werden können. | |
| Wieso? | |
| Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand sieht es so aus, als hätte der Fahrer | |
| das Gaspedal durchgetreten. Für so ein Assistenzsystem ist das das Signal: | |
| Der Fahrer möchte gerne weiterfahren. Und da momentan noch im Wiener | |
| Übereinkommen (internationales Abkommen von 1968, das Standards für den | |
| Straßenverkehr festlegt; Anm. d. Red.) festgelegt ist, dass ein Fahrer | |
| jederzeit die Kontrolle über sein Fahrzeug bekommen muss, wenn er das | |
| möchte, ist es schwierig, sie ihm an dieser Stelle zu nehmen. | |
| Aber das lässt sich doch ändern, oder? | |
| Ja, teilweise wird das Wiener Übereinkommen an der Stelle auch schon anders | |
| ausgelegt. Allein deshalb, weil man sonst gar nicht zum autonomen Fahren | |
| kommen würde. Und was die intelligenten Assistenzsysteme angeht, lässt sich | |
| durchaus noch einen Schritt weitergehen. In dem aktuellen Unfall sieht es | |
| ja danach aus, als hätte der Fahrer die Kontrolle über sich selbst | |
| verloren. Auch so etwas könnte ein Auto erkennen und sagen: Der | |
| Fahrerwunsch ist mir egal. Ich bremse jetzt, auch wenn der Fahrer Gas geben | |
| will. Aber momentan ist die Technologie noch nicht so weit. | |
| Sind zumindest automatische Bremssysteme nicht schon auf dem Markt? | |
| Ja, nur leider werden sie noch viel zu selten eingebaut. Zwar haben die | |
| meisten Hersteller sie im Angebot, aber die Kunden fragen sie nicht nach. | |
| Und wenn man diese Bremssysteme verpflichtend macht? | |
| Das würde wirklich etwas bringen. Dadurch, dass fast alle Hersteller sie eh | |
| im Angebot haben, wäre das auch kein schlimmer Eingriff. Natürlich dauert | |
| es dann noch einige Jahre, bis diese Systeme dann auch in nennenswertem | |
| Umfang auf der Straße angekommen sind. Aber es wäre ein guter Anfang. | |
| 9 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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