# taz.de -- Ukrainische und russische Bücher: Boykottiert Öl – nicht die Ku… | |
> Die Autor*innen aus dem östlichen Europa gehören in die Schaufenster | |
> der Bücherläden. Sie liefern eine ehrliche gesellschaftliche | |
> Selbstbeschreibung. | |
Bild: Lesende in einem Bunker in Kiew | |
Einer der interessantesten Romane dieses Frühjahrs, „Zukunftsmusik“ von | |
[1][Katerina Poladjan], beschreibt den 11. März 1985 – den Tag, an dem | |
Michail Gorbatschow sowjetischer Staatschef wurde und der vieles bis dahin | |
Undenkbares plötzlich möglich erscheinen ließ: den Fall des Eisernen | |
Vorhangs sowie die Träume von Demokratie und offenen Gesellschaften. | |
Dieser Tag ist längst historisch geworden, ausgehöhlt und zerschrammt von | |
den auf ihn folgenden Erfahrungen vom Turbokapitalismus in Osteuropa, von | |
enttäuschten Hoffnungen und gesellschaftlichen Rollbacks. Und der russische | |
Überfall auf die Ukraine lässt sich als Versuch Wladimir Putins verstehen, | |
dieses Datum endgültig auf die – aus seiner Sicht – Müllhalde der | |
Geschichte zu bomben. | |
Nicht nur deshalb ist es gut, wenn Romane nun daran erinnern, wie groß das | |
Verlangen nach Aufbruch in der Sowjetunion war und dass sie nicht ohne | |
Grund auseinandergebrochen ist. Bei aller Desillusionierung an den | |
Umständen um die EU-Osterweiterung lässt sich an solchen Büchern auch | |
erkennen, dass vielfältige kulturelle Verflechtungen zwischen den | |
westlichen und östlichen Gesellschaften Europas längst existieren; so | |
traurig es ist, dass erst ein Krieg kommen musste, um sie ins breite | |
Bewusstsein zu bringen. | |
Mag sein, dass unsere Gesellschaft die literarischen Stimmen aus der | |
Ukraine und auch aus Russland politisch zu lange nicht ernst genommen hat, | |
aber jetzt werden sie gehört und gedruckt, und es zeigt sich, wie stabil | |
die literarischen Kanäle sein können. Sie sind wichtig. Schaut man kühl auf | |
die [2][Proteste der so mutigen russischen Zivilgesellschaft], zeigt sich | |
in Russland gerade, dass eine gesellschaftliche Selbstbeschreibung mit | |
überkommenen Begriffen wie nationaler oder gar imperialer Größe nur um den | |
Preis verschärfter Repressionen und Realitätsverdrehungen möglich ist. | |
Und gleichzeitig bieten literarische Stimmen aus dem ehemals sowjetischen | |
Raum – Serhij Zhadan und Jury Andruchowytsch, Oksana Sabuschko und Andrej | |
Kurkow – andere, zivilere Möglichkeiten der Selbstbeschreibungen an, | |
zerrissene teilweise, aber vor allem auch ehrlichere. | |
Was heißt das? Erstens: Deutschland sollte [3][Russland wirklich kein Öl | |
und Gas mehr abkaufen], denn mit diesem Geld werden gerade die | |
Bombardierungen Kiews und Mariupols bezahlt. Zweitens sollte der | |
Wirtschaftsboykott aber keineswegs von einem kulturellen Boykott begleitet | |
werden. Im Gegenteil. Gerade in dieser Woche, in der die wegen Corona | |
abgesagte Leipziger Buchmesse stattgefunden hätte, sollten die | |
Buchhandlungen verstärkt osteuropäische Autor*innen ins Schaufenster | |
stellen. | |
So weit weg einem Putin in seinem zynischen Machtpanzer gerückt ist, so nah | |
ist einem doch die Aufbruchsbedürftigkeit in vielen Büchern dieser | |
Autor*innen. | |
15 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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