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# taz.de -- Kultur-Stimmen zum Krieg gegen Ukraine: Stoppt die Aggression!
> Seit Mittwochnacht greift Russland die Ukraine an. Hier dokumentieren wir
> Reaktionen von ukrainischen, russischen und deutschen Künstler:Innen.
Bild: Proteste gegen den russischen Angriff auch in Deutschland vor dem Branden…
## „Die Ukraine ist europäischer, als es der Westen glaubt“
Die erste Nachricht, die ich heute früh gelesen habe, war von meinem Vater,
er beruhigte mich und schrieb mir – keine Panik, bei ihnen in Odessa sei
bisher alles ruhig geblieben, draußen fließe der Verkehr so wie sonst, die
Supermärkte haben geöffnet. Es zirkulieren viele Falschinformationen im
Internet. Natürlich steckt genau dahinter auch die Absicht, dass die
Menschen in der Ukraine in Panik geraten, damit Unruhe einkehrt. Das wird
aber nicht passieren. Die Bevölkerung tut alles, um gelassen zu bleiben und
um irgendwie rational denken zu können. Ich persönlich kann den russischen
Angriff noch nicht fassen, bis zuletzt hatte ich die Hoffnung, dass alles
nur ein Spiel ist, nur ein Informationskrieg.
Was ich daher vom Westen erwarte, kann ich auch noch nicht exakt
formulieren. An der Stelle will ich mich bei jedenfalls bei allen Menschen
bedanken, die mit Herzen und Gedanken bei der Ukraine und den
Ukrainer:innen sind. Ich höre auch viel aus Russland, wo die Menschen
angesichts des bewaffneten Konflikts ebenfalls völlig entsetzt sind. Sie
wollen keinen Krieg und schämen sich sehr für das, was gerade geschieht.
Ich glaube, es setzt jetzt ein großer Wandel in der russischen Gesellschaft
ein. Ich kann nicht sagen, ob die Menschen dort mutig genug sind, sofort
gegen den Krieg aufzustehen, ob es überhaupt möglich ist. Wir werden sehen,
wie es sich entwickelt.
Wichtig ist mir, dass die Menschen im Westen kapieren, die Ukraine ist sehr
europäisch, viel europäischer als die Vorstellung, die man im Westen über
sie hat. Unterschiedliche Kulturen leben seit langem zusammen, Lviv
erinnert sehr an Wien. Meine Heimatstadt Odessa war immer international und
tolerant. Verschiedenste Religionen existieren nebeneinander, und niemand
hat ein Problem damit, die Menschen sind friedlich und respektieren sich
gegenseitig.
Tamara Lukasheva, geboren 1988 in Odessa, ist Jazzmusikerin. Die Pianistin
und Sängerin lebt seit 2010 in Köln. Sie spielte unter anderem beim
Bundesjazzorchester, wirkt als Solistin und nimmt Alben mit
unterschiedlichen Künstler:Innen auf. Ihr Werk wurde vielfach
ausgezeichnet, etwa 2021 vom WDR und 2014 beim internationalen „Wettbewerb
der Jazzsänger“ in Moskau.
## „Bombenangriff, 400 Meter von unserem Club entfernt“
Es tut uns leid, wir können gerade nicht ausführlich schreiben, weil wir
uns inmitten eines Krieges befinden. Unser Club liegt 400 Meter vom
Stützpunkt der Nationalgarde in Kiew, es gab einen Bombenangriff auf den
Stützpunkt. Alle Mitglieder unseres Teams hörten Explosionen in
verschiedenen Teilen der Stadt. Danke für ihre Solidarität, aber es ist zu
spät für Meinungen.
Statements des Kiewer Technoclubs Closer in einer Mail an die taz.
## „Wenn es nötig ist, schließe ich mich den Partisanen an“
Jetzt kommt es darauf an, ob unsere Armee in der Lage sein wird, die Russen
zu stoppen. Ob sie Widerstand leisten und sich der Invasion entgegenstemmen
kann, ob sie die Euphorie im Kreml abkühlen kann. […] Putin kennt nur zwei
Lösungen der Krise. Entweder ergeben wir uns und erkennen damit an, dass
wir zusammen mit den Russen eine Nation sind. Oder er zerstört uns. Wenn es
nötig ist, schließe ich mich den Partisanen an.
Jurij Andruchowytsch, geboren 1960 in Stanislaw, ist einer der wichtigsten
ukrainischen Schriftsteller. Viele seine Bücher und Essays sind ins
Deutsche übersetzt.
## „Wir glauben an den Sieg“
Liebe Freunde in aller Welt, das, was wir befürchtet haben, aber wofür wir
auch bereit sind, ist eingetreten. Wladimir Putin, der Hitler des 21.
Jahrhunderts, will unser Land erobern. Ukrainische Städte und das Militär
geraten unter Beschuss der russischen Armee. Aber wir glauben an unseren
Sieg, den Sieg des Guten über das Böse, den Sieg des Lichts über die
Finsternis Russlands, das die ganze Welt zerstören will. Wir glauben an die
internationale Unterstützung und vor allem an die ukrainische Armee.
Wir werden siegen!
Wir versuchen ruhig zu bleiben und helfen unseren Familien.
Gorban Iryna, Manager der Band DakhaBrakha. Das ist ein Global-Pop-Quartett
aus Kiew. In der Musik mischt sich Folk mit Punk, HipHop und elektronischen
Klängen, die Gruppe selbst bezeichnet ihren Sound als „Ethno-Chaos“.
## „Ich spüre Verzweiflung“
Gestern Abend schrieben mir Freunde aus Kiew: „Wir haben alle unseren
Notfallkoffer gepackt … Die wichtigen Sachen und Dokumente liegen so
griffbereit direkt neben dem Bett. Wenn wir uns schlafen legen, tun wir das
mit dem Gedanken, dass wir nachts wohin laufen müssen. Wir alle wissen
längst, wo sich der nächste Bunker befindet.“ Trotz all der schlechten
Nachrichten war für mich selbst Mittwochnacht das Szenario eines russischen
Angriffs auf Kiew immer noch unvorstellbar.
Und heute, am Donnerstagmorgen, war das die erste Nachricht nach dem
Aufstehen. Ich kann es nicht fassen! Etwas in mir weigert sich, zu
begreifen, dass russische Streitkräfte die Ukraine angreifen. Das ist
dermaßen außerhalb meiner Vorstellungskraft … und das ist jetzt die
Wirklichkeit. Ich stehe noch unter Schock. Wann ich aus diesem Zustand
wieder rauskomme, ich habe keine Ahnung. Ich habe keine Worte mehr, ich
habe keine Argumente mehr. Auch der Großteil meiner Emotionen ist
verschwunden, was ich spüre ist Fassungslosigkeit, im Grunde ist es
Verzweiflung.
Artur Solomonow, 45, lebt in Moskau. Er arbeitete lange als
Theaterkritiker, sein Debütroman „Eine Theatergeschichte“ (2014) wurde
zum Bestseller in Russland. Sein Stück „Wie wir Josef Stalin beerdigten“
wurde in sieben Sprachen übersetzt und hat – hoffentlich – am Sonntag, dem
27. Februar, im „Teatr.doc“ seine Moskauer Premiere.
## „Geschichte wird gerade umgeschrieben.“
Wir erleben gerade, was passiert, wenn Geschichte kontinuierlich
umgeschrieben wird. Bereits vor 15 Jahren sprach der russische Präsident
von dem Zerfall der Sowjetunion als der größten Katastrophe des 20.
Jahrhunderts und nun versucht er, diese „Katastrophe“ wieder rückgängig zu
machen. Der angekündigte Überfall auf die Ukraine ist ein Verstoß gegen das
Völkerrecht und ein Warnzeichen an den gesamten Westen, nicht nur an die
ehemaligen Sowjet-Länder. Putin glaubt, er führt einen Krieg gegen eine von
den USA manipulierte faschistische Regierung (die von einem Juden angeführt
wird). Letztlich ist anzunehmen, dass er glaubt, er führt auf ukrainischem
Boden Krieg gegen die USA.
Menschen werden flüchten. Das heißt, wir müssen Platz machen. Wir müssen
Geld spenden. Wir müssen uns weiterbilden. Masha Gessen und Timothy
Schneider, Swetlana Alexejewitsch und Karl Schlögel schreiben seit
Jahrzehnten darüber, wie im russischen Bewusstsein Geschichte umgeschrieben
wurde. Wenn wir der Ukraine helfen wollen, müssen wir die Situation
verstehen.
Sasha Marianna Salzmann, geboren 1985 in Wolgograd, ist Dramatikerin,
Kuratorin und Autorin und lebt in Berlin. Kürzlich erschien ihr Roman „Im
Menschen muss alles herrlich sein“ (Suhrkamp).
## „Die Welt muss hinschauen!“
Nun ist das schlimmste Szenario für unser Land wahr geworden. Um 5 Uhr
heute früh haben russische Truppen uns angegriffen, eine breit angelegte
Offensive in vielen Regionen der Ukraine. Flughäfen, Truppen, Stützpunkte.
Es ist tatsächlich Krieg. Unsere Armee wehrt heroisch Attacken an allen
Fronten ab. In Kiew sind die Menschen nicht panisch, jeder glaubt an unsere
Armee. Wir haben keinen Rückzugsort. Wir rufen die ganze Welt dazu auf,
hinzugucken, was geschieht, und den Hitler des 21. Jahrhunderts zu stoppen.
Wir brauchen dringend Unterstützung und Hilfe! Wir werden gewinnen, Ehre
der Ukraine.
Anton Slepakov ist Musiker des Elektropop-Trios Vagonovozhatye, er lebt in
der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
## „Dieser Krieg ist ein Verbrechen“
Es gibt Momente, in denen Worte nur einen Bruchteil der Wut und des
Schmerzes wiedergeben können, die ich und meine Kollegen und Freunde im
Moment empfinden. Der Krieg in der Ukraine ist ein Verbrechen. Der 24.
Februar 2022 ist der Tag einer schrecklichen Tragödie. Das russische
politische Regime hat den Krieg in der Ukraine begonnen. Die russischen
Streitkräfte griffen einen Nachbarstaat an, dessen Bevölkerung als
„brüderlich“ bezeichnet wird. Dieses abscheuliche Verbrechen wird für
immer eine der schwärzesten Seiten der russischen Geschichte bleiben.
Wladimir Putin und seine Verbündeten leben in einer von ihnen erfundenen
Welt, aber es sind die Menschen – die Bürger:innen der Ukraine, deren
Städte gerade bombardiert werden –, die den Preis für diesen Wahnsinn
zahlen müssen. Wie viele Berliner:innen aus der ehemaligen Sowjetunion
sind wir durch viele freundschaftliche, verwandtschaftliche und kollegiale
Beziehungen mit der Ukraine verbunden. Für uns ist das eine persönliche
Tragödie. Wir bringen unsere Solidarität und Unterstützung für unsere
ukrainischen Freunde und Kollegen zum Ausdruck. Ihnen und allen
Bürger:innen wünsche ich Kraft und Stärke! Frieden für die Ukraine!
Stoppt die Aggression!
Elena Stein ist Soziologin und Leiterin des Center for Independent Social
Research e. V. Berlin.
„Schwere Zeiten“
Heute ist kein einfacher Tag – und es stehen uns noch schwere Zeiten bevor.
Der Mittwochmorgen begann bei mir mit einem Anruf einer Freundin, die
fragte: Hörst du es? Ich habe mitgehört und habe genau gehört, von was sie
sprach. Als erstes kam mir in den Sinn – bloß keine Panik schieben und
Informationen suchen. Ich wünsche mir, dass es in den Köpfen der anderen
Menschen auch so abläuft. Dann bin ich einkaufen gegangen. Auf dem Weg habe
ich die Schlangen vor den Geldautomaten und der Apotheke gesehen. Ich
möchte, dass die Menschen verstehen, wenn du viel Bargeld hast, bist du
auch eine leichte Beute. Man sollte jetzt nicht überstürzt handeln.
Im Laden standen die Leute auch in der Schlange – die Leute haben einfach
alles gekauft. Das ist die Angst – ich verstehe. Nur…Ich habe viel mit den
Leuten gesprochen, die in der Ostukraine stationiert waren. Die haben das
überlebt – und sie raten uns: nicht in Panik geraten und die Informationen,
die man bekommt, unbedingt überprüfen. Geht den Fake-News nicht auf den
Leim! Ich höre auf die Anweisungen, die vom Präsidenten kommen sowie vom
Oberkommandierenden der Armee und vom Kiewer Bürgermeister. Gerade jetzt
sollen wir auf die Regierenden des Landes hören.Wichtig: vergessen wir
nicht, dass wir eine Armee haben, die stark ist. Wir müssen an diese Armee
glauben. Wenn ihr für die Stiftung @safelife.in.ua spendet, könnt ihr
unserer Armee helfen.Bleibt mit denen, die euch wichtig sind, in Kontakt,
vermeidet Panik! Die Ukraine bleibt bestehen!
Die Rapperin Alyona Alyona alias Alyona Olehivna Savranenko kommt aus einem
Dorf nahe Kiew. Die 30-Jährige wurde 2018 mit dem Song „Рибки“ zum St…
Aufgezeichnet von Julian Weber, Jens Uthoff, Uwe Rada, Tania Martini, Katja
Kollmann und Dirk Knipphals
24 Feb 2022
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